Nach dem Krieg: Wohin steuert der Iran?
Im August erscheint die Ali-Khamenei-Biografie des Deutschiraners und Journalisten Ali Sadrzadeh. Khamenei war jahrelang die zentrale Figur des Nahostkonflikts. Heute steht seine Außenpolitik aus Terror und Stellvertreterkriegen vor einem selbstverschuldeten Scherbenhaufen, der sogar seine Macht im Innern zu gefährden droht. Wohin steuert der Iran nach dem Krieg? Lesen Sie Einschätzungen der aktuellen Lage des Autors.

Ali Sadrzadeh
Ali Khamenei
Aufstieg und Herrschaft
250 Seiten, gebunden
€ 22,-
ISBN 978-3-17-046309-7

Die von Donald Trump ausgerufene Feuerpause nach dem Zwölftagekrieg mit Israel ist brüchig. Sie scheint kaum mehr als eine Atempause, in der nichts sicher ist. Ali Khameneis „Republik“ befindet sich dieser Tage (Mitte Juli 2025) in einem Schwebezustand: Es scheint keine Nach-, eher noch eine Vorkriegszeit zu sein.
Die Dimensionen dessen, was im kurzen, aber heftigen Krieg geschehen ist, bleiben im Dunkeln. Der gesamte iranische Militärapparat ist praktisch enthauptet. Ob aber auch das iranische Atomprogramm der Geschichte angehört, ob es nur für einige Jahre ausgebremst oder sogar noch fast vollständig intakt ist, bleibt nach dem zwölftägigen Bombardement in der zweiten Junihälfte ungewiss. Die Islamische Republik liefert wie immer keine glaubwürdigen Informationen und das, was Israel und die USA über ihren Krieg preisgeben, sind schwer zu verifizierende Geheimdienstangaben. Und so ist die Bandbreite für Propaganda noch immer groß. Gründe, Vorwände und Anlässe für einen neuen Krieg gibt es genug.
Was wird aus der Islamischen Republik, was aus Khameneis Lebensmission und, noch wichtiger, was wird aus der territorialen Integrität Irans? Klar ist nur: Es kann, es wird nicht so bleiben, wie es ist. Erleben wir heute bereits die Anfänge der Post-Khamenei-Ära? Die neue Zeit beginnt in einer sehr gefährlichen Atmosphäre. Die Suche nach Mossad-Spionen in Iran ist, offen und verdeckt, in vollem Gange.
Nationalismus im Aufwind
Die Propagandisten jedenfalls haben bereits umgeschaltet: vom Islamismus auf Nationalismus und Patriotismus. Neben schiitischen Märtyrern tauchen auf ihren Plakaten und in offiziellen iranischen Medien plötzlich Figuren aus der vorislamischen Mythologie auf. Alte Nationalhymnen werden aus verstaubten Archiven geholt, wenn auch noch oft um eine schiitische Konnotation ergänzt.
Augenfällig ist auch der Versuch, die Bevölkerung gegen einen Sündenbock zu vereinen: Unmittelbar nach dem Zwölftagekrieg begann in Iran die Jagd auf afghanische Flüchtlinge. Bis zum Niederschreiben dieser Zeilen wurden 717.685 afghanische Flüchtlinge deportiert, meldet das iranische Innenministerium. Warum diese Menschen plötzlich aus dem Land vertrieben werden, dafür liefert die Propagandamaschinerie eine schier unendliche Liste von Rechtfertigungen. Sogar von Spionage und vom Mossad ist die Rede. Mit den Einzelschicksalen dieser Menschen und den Umständen dieser gewaltsamen Massenrückführung ließen sich Bände füllen.
Gegen die Remigration à la Islamische Republik regt sich kein Widerstand, kein Protest. Die Menschen haben andere Sorgen, sie sind sich nicht mal ihrer eigenen Zukunft sicher. Bei der Suche nach Spionen und Kollaborateuren der „Zionisten“ ist dieser Tage alles gerechtfertigt.
Quo vadis Iran?
Ist ein friedlicher Übergang zu einer Post-Khamenei-Ära möglich? Kann die zersplitterte Opposition sich einigen? Und wer wird ein Wiederaufflammen des Brandes verhindern können, das diesmal zu einem wahren Flächenbrand führen könnte?
Auch ein beseitigter Tumor könne immer wieder Metastasen bilden, das gelte es zu verhindern, sagte Benjamin Netanjahu am 5. Juli 2025 bei einem Dinner im Weißen Haus. Tags zuvor hatte sein Verteidigungsminister Israel Katz verkündet, die israelische Armee habe weiterhin die totale Lufthoheit über den Iran, die gelte es zu bewahren.
Netanjahus Gastgeber, Donald Trump, nickte an diesem Abend zu alldem zustimmend und fügte in Richtung von Khameneis Anhängern hinzu, sie sollten aufhören, „Tod Amerika“ und „Tod Israel“ zu rufen. Doch dieses „Sie“ dürfte nicht plural gemeint sein, der Adressat ist in erster Linie Khamenei selbst.
Ali Khamenei lebt derweil in Verborgenheit. Nur zweimal hat er sich seit dem Kriegsende kurz in der Öffentlichkeit gezeigt. Er wirkte gebrochen, gealtert und verloren. Der einstige Großrhetoriker schien geradezu geistesabwesend zu sein.
Offener Brief von 180 Professoren
Wie der Zufall es will, haben kurz nach dem Washingtoner Dinner 180 iranische Universitätsprofessoren in einem offenen Brief an Präsident Peseschkian aufgelistet, was zu tun sei, um eine Katastrophe zu verhindern. Der Titel ihres Briefes lautet: „Totaler Paradigmenwechsel“. Auch hier ist nicht Peseschkian der eigentliche Adressat des Briefes, das ist auch den Briefeschreibern klar. Doch sie wissen auch: Khamenei, den Gottesvertreter, kann man, darf man nicht belehren. Und belehren wollen sie. Unmissverständlich zählen die Wissenschaftler auf, was in diesen historischen Tagen geschehen müsse, um den totalen Niedergang Irans zu verhindern – wer will, kann es hören.
Zuallererst schreiben bzw. warnen sie: „Die territoriale Integrität des Landes gilt es zu bewahren.“ Weiter fordern sie „eine Garantie der Meinungs- und Redefreiheit“, die „Freilassung der politischen Gefangenen und ein Ende der Hausarreste“, das „Ende des Monopols einer kleinen Gruppe über Funk und Fernsehen“, die „Neumodellierung des gesamten Sicherheitsapparats“ sowie ein „gründliches Umkrempeln der Wirtschafts-, Handels- und Währungspolitik, damit die systematische Korruption ein Ende findet“. Am Ende ihres Briefes werden die Wissenschaftler sehr deutlich: Ohne eine echte Beteiligung der Bevölkerung und ohne eine völlige Änderung der Außenpolitik lasse sich keine dieser Forderungen realisieren.
Ob der eigentliche Briefadressat diese Forderungen erfüllen will bzw. kann, ist mehr als fraglich. Von seiner „Republik“ bliebe dann nur eine Hülle. Außerdem lassen sich die Geister, die er in den 36 Jahren seiner Herrschaft um sich scharte, nicht so leicht in die Flasche zurückpressen. Zumal er selbst die Inkarnation dieses Geistes ist.
Wird wieder verhandelt und worüber?
Donald Trump behauptet, Iran wolle und werde mit ihm verhandeln. In Anwesenheit Netanjahus verkündete er sogar, bald werde sein Sondergesandter, Steve Witkoff, sich auf den Weg machen. Doch zuvor müssten die USA und Israel garantieren, dass sie den Iran nie mehr angreifen würden, erst dann sei man zu Verhandlungen bereit, sagt der iranische Außenminister Abbas Araghtschi. Und nicht nur das Datum erneuter Gespräche ist offen, auch ihr Ziel ist ungewiss. Wenn Irans Atomprogramm nicht mehr existiert, wenn Israel in jenen zwölf Tagen tatsächlich alle führenden Wissenschaftler, die mit dem Bau der Sprengköpfe beschäftigt waren, ausfindig gemacht und umgebracht hat, worüber sollte dann verhandelt werden? Die „Tod Amerika, Tod Israel“-Rufe zu stoppen, ist ein sehr weites, wenig handgreifliches Ziel.
Verhandelt werden soll jedenfalls in Norwegen, wenn alle zustimmen. Trump sagt, er wolle keinen Krieg mehr. Israelische Zeitungen wiederum schreiben, Netanjahu gebe sich nicht mit weniger zufrieden als mit einem „Libyen-Modell“. Will heißen: Genau so, wie Gaddafi 2003 unter strenger Aufsicht der Welt sein gesamtes Atomprogramm aufgab, so müsse es heute auch Khamenei tun. Mit dem Wort „Libyen“ lässt sich viel assoziieren: das völlige Verschwinden jeglicher Staatlichkeit, ein unendlicher Bürgerkrieg mit mehreren Machtzentren, kurzum, eine Hölle auf Erden. Steht Iran nach Khameneis langer Herrschaft etwas Ähnliches bevor?
Wer bestimmt den Kurs im Iran?
Die Verborgenheit ist eine schiitische Konstante. Der zwölfte Imam, in dessen Namen Khamenei regiert, lebt seit 1.250 Jahren im Verborgenen, regiert aber weiterhin die Welt. Auch Khamenei, der geehrte Führer, erfülle aus seinem Versteck die Rolle des Oberbefehlshabers mustergültig, schreiben ihm nahestehende Webseiten. Ob und wie sich der 86-Jährige für die „totale Verborgenheit“ vorbereitet, wissen wir nicht. Dabei dürften hinter den Kulissen die Diadochenkämpfe längst toben. Lange dürfte es nicht mehr dauern, bis wir erfahren, wer sie gewonnen hat. Klar ist aber bereits: Die Revolutionsgarden verloren zwar ihre Köpfe und sind für einen Krieg mit dem Ausland kaum noch brauchbar, im Inneren aber sind sie präsenter denn je. Sie werden bestimmen, wohin die Reise geht.
Ali Sadrzadeh ist Journalist und Autor. Er wurde in Iran geboren und kam Ende der 1960er Jahre nach Deutschland, um Germanistik und Politologie zu studieren. Er arbeitete für die Frankfurter Rundschau, die Deutsche Presseagentur und den Hessischen Rundfunk und war mehrere Jahre lang ARD-Hörfunkkorrespondent in Nordafrika.