Praxishandbuch Altersmedizin

Aktuell Auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie wurde mittlerweile ein weiteres Interview mit Herrn Prof. Pantel veröffentlicht. Des Weiteren findet sich in der Kategorie Fachbücher eine kurze Besprechung des Werkes.

Die Herausgeber:Umschlag von "Praxishandbuch Altersmedizin"
Prof. Dr. Johannes Pantel
Prof. Dr. Johannes Schröder
Prof. Dr. Cornelius Bollheimer
Prof. Dr. Cornel Sieber
Prof. Dr. Andreas Kruse

Anlässlich des Erscheinens des Bandes Praxishandbuch Altersmedizin haben wir mit dem Mitherausgeber Prof. Dr. Johannes Pantel das folgende schriftliche Interview geführt:

Herr Prof. Pantel, die Altersmedizin gewinnt aufgrund des demografischen Wandels immer mehr an Bedeutung. Wie steht es derzeit um die medizinische Versorgungssituation alter Menschen in Deutschland?

Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere einen Ausbau der stationären geriatrischen Versorgung erlebt. Die Geriatrie ist in Deutschland für den Bereich der stationären Krankenhausversorgung dort angekommen, wo sie in zahlreichen anderen europäischen Ländern schon lange Zeit platziert war. Dies ist zwar einerseits erfreulich, darf jedoch nicht davon ablenken, dass der tatsächliche Bedarf in Zukunft weiter wachsen wird. Dagegen hinkt die Versorgung gerontopsychiatrischer Krankheiten dem tatsächlichen Bedarf seit vielen Jahren hinterher. Dies gilt sowohl für die stationäre als auch für die ambulante Versorgung. Für letztere ist jedoch in Deutschland allgemein – d. h. sowohl für die Geriatrie als auch für die Gerontopsychiatrie – ein erhebliches Strukturdefizit zu beklagen. In Zukunft sollte also vor allem auch dem Auf- und Ausbau ambulanter altersmedizinischer Versorgungsstrukturen – z. B. durch Geriatrische Institutsambulanzen – sowie der transsektoralen Vernetzung ambulanter, teilstationärer und stationärer Versorgungselemente ein besonderes Augenmerk geschenkt werden. Dies sollte natürlich einhergehen mit intensiven und nachhaltig angelegten Qualifizierungsmaßnahmen. Altersmedizinische Kompetenzentwicklung muss bereits im Medizinstudium beginnen und schließlich nicht nur die fachärztliche Ebene (Innere Medizin, Psychiatrie, Neurologie) umfassen, sondern gerade auch der Allgemeinmediziner und Hausarzt – als Generalist und Primärversorger – bedarf einer breit angelegten altersmedizinischen Handlungskompetenz.

In Ihrem Buch „Praxishandbuch Altersmedizin“ betonen Sie, wie wichtig es ist, die verschiedenen Disziplinen der Altersmedizin – Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Gerontologie – zu vernetzen. Wie unterscheiden sich die Disziplinen und wie ergänzen sie sich?

Die Geriatrie ist traditionell internistisch geprägt. Tatsächlich gibt es von Seiten der internistischen Fachgesellschaften aktuell starke Bestrebungen, die Geriatrie bundesweit als neunte Subspezialisierung der Inneren Medizin zu implementieren. Analog hierzu ist die Gerontopsychiatrie eine Subdisziplin der Psychiatrie. Idealerweise sollte jedoch sowohl der Geriater als auch der Gerontopsychiater ein Generalist sein, der bei Bedarf flexibel über die engeren Grenzen seines Fachgebietes hinausschauen kann. Denn somatische und psychiatrische Krankheitsbilder sind gerade im Alter sehr häufige Komorbiditäten, die dann in ihren funktionellen und psychosozialen Auswirkungen den ganzen Menschen betreffen. Sowohl der internistische Geriater als auch der Gerontopsychiater ist daher gut beraten, sich in dem jeweils komplementären Fachgebiet fortzubilden. Tatsächlich kann und darf die fachgerechte Behandlung vieler altersmedizinischer Krankheitsbilder jedoch weder auf die internistische noch auf die psychiatrische Facharztkompetenz verzichten. Dort, wo eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit gelingt, profitieren die Patienten dann am meisten. Die von den Verhaltens- und Gesellschaftswissenschaften geprägte Gerontologie – hier sticht die Psychologie als zentrale akademische Disziplin hervor – kann ihrerseits ein unverzichtbares konzeptionelles Wissen und ein Handlungswissen beisteuern, über das weder der Geriater noch der Gerontopsychiater aufgrund seines Qualifikationsweges und seiner Sozialisation per se verfügt. Denn eine ganzheitlich verstandene Altersmedizin geht über die reine Diagnostik und Therapie von Krankheitszuständen deutlich hinaus. Sie sollte z.B. auch Verhaltens- und Verhältnisprävention, Beratung, Sozialraumgestaltung sowie ethische und rechtliche Aspekte umfassen.

Fachärzte z. B. der Inneren Medizin, der Psychiatrie, der Neurologie oder der Allgemeinmedizin können die Zusatzbezeichnung „Geriatrie“ erwerben. Wie viele Ärzte dieser Qualifikation gibt es derzeit? Deckt diese Zahl den Bedarf ab?

Einer kürzlich publizierten Umfrage des Kompetenz-Centrums Geriatrie zufolge sind in Deutschland aktuell ca. 3000 berufstätige Ärzte geriatriespezifisch weitergebildet. Dies entspricht zwar einer Zunahme von 44 % gegenüber dem Jahr 2007. Mit 0,9 % aller in Deutschland berufstätigen Ärzte ist der Anteil altersmedizinisch qualifizierter Ärzte jedoch verschwindend gering. Tatsächlich bedeutet dies, dass pro 100 000 Einwohner heute lediglich 4 Ärzte mit geriatrischer Weiterbildung zur Verfügung stehen. Und diese sind überwiegend in Krankenhäusern tätig. Niedergelassene Geriater in eigener Praxis können Sie mit der Lupe suchen. Angesichts des demografischen Wandels bedarf es keiner besonderen Vorstellungskraft, um zu erkennen, dass diese Zahlen viel zu niedrig sind.

Mit welchen besonderen Herausforderungen sehen sich Ärzte in der Altersmedizin konfrontiert?

Der gute Altersmediziner – sei er nun von Haus aus Internist, Neurologe, Psychiater oder Hausarzt – ist ein Generalist, der stets sowohl die körperlichen, die psychischen und die sozialen Besonderheiten seines Patienten im Auge haben und hinsichtlich seiner diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen angemessen gewichten muss. Er sollte daher übergreifend weitergebildet sein. Alte und hochaltrige Menschen sind jedoch auch eine besonders vulnerable Patientengruppe, auf die nicht alle gängigen Leitlinien und evidenzbasierten Maßnahmen uneingeschränkt anwendbar sind. Manchmal kann es richtiger sein, Schaden abzuwenden und die auch im Alter noch vorhandenen Selbstheilungskräfte zu fördern – z.B. im Rahmen einer geriatrischen Rehabilitation – als therapeutische hohe Risiken mit zweifelhaftem Nutzen einzugehen. Die Vermeidung iatrogener Schäden durch unreflektierte Multimedikation ist hier ein gutes Beispiel. Häufig ist der altersmedizinisch Tätige dabei auch mit ethisch bedeutsamen Grenzfragen konfrontiert, etwa bei medizinischen Entscheidungen am Lebensende oder bei der Hierarchiesierung von Therapiezielen. Er ist aber auch ein Teamplayer, der gut und zielführend mit vielen anderen Berufsgruppen, aber auch mit Angehörigen zum Wohle des Patienten kommunizieren muss. Wie man sieht, ist dies eine komplexe und spannende Aufgabe, deren Bewältigung auf ein breites Spektrum von Wissen und Fertigkeiten gestellt sein sollte.

Welches sind die häufigsten Krankheitsbilder und Symptome, aufgrund derer alte Menschen in der Ambulanz oder Klinik vorstellig werden?

Im Gegensatz zum monodisziplinären Vorgehen hat sich in der Altersmedizin die Orientierung an geriatrischen Syndromen bewährt. Diese besitzen zwar in der Regel gewisse Leitsymptome sind jedoch ätiologisch sehr komplex und nur schwer aus einem Geflecht von Multimorbiditäten und Risikofaktoren herauszutrennen. Die „klassischen“ und häufigen geriatrischen Syndrome „Immobilität“, „Instabilität“, „intellektueller Abbau“ (= Demenz und Delir) sowie „Inkontinenz“ wurden inzwischen durch die ebenfalls in der Praxis sehr häufigen Syndrome „Mangelernährung“, „Depression“, „iatrogene Schädigung durch Polypharmazie“ und „Exsikkose“ ergänzt. Wir haben in unserem Buch diesen Syndrom-orientierten Ansatz durch die Berücksichtigung weiterer Syndrome, so z. B. „Suizidalität“, „Substanzmissbrauch“, „Angst“, „psychotische Syndrome“, „Schmerzen“ und „soziale Isolation“, noch weiterentwickelt und uns zur Aufgabe gemacht, auch die für die Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation relevanten inhaltlichen Querbezüge herauszuarbeiten. Dies entspricht auch am ehesten der praktischen altersmedizinischen Realität, in der sich der Patient eben häufig nicht mit einer isolierten Symptomatik oder einem präzise abgegrenzten Krankheitsbild vorstellt.

In welchen Bereichen lässt sich hier evtl. schon präventiv entgegenwirken?

Ansätze und konkrete Handlungsempfehlungen für Primär- und Sekundärprävention gibt es bereits für viele der genannten Krankheitszustände. Diese sind jeweils in die entsprechenden Unterkapitel unseres Praxishandbuches integriert und werden darüber hinaus in einem umfassenden Querschnitts-Kapitel gewürdigt bzw. kritisch gewichtet. Dies gilt auch für den kontrovers diskutierten Bereich des „Anti-Aging“ bzw. „Pro-Aging“. Der Blick auf die Prävention darf jedoch nicht davon ablenken, dass präventive Maßnahmen die Entstehung von Krankheiten und Funktionseinbußen im Alter möglicherweise hinauszögern, aber nicht notwendigerweise ganz verhindern können. Altersmedizin muss sich auch gerade um diejenigen Menschen vorbehaltlos bemühen, bei denen Prävention zu spät kommt oder bereits ausgereizt ist.

Wir danken Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.

Das Interview führte Andrea Bronberger.

Das Praxishandbuch Altersmedizin ist als gebundenes Printprodukt sowie als E-Book im PDF-Format erhältlich.

 

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