Interview mit Dr. Sabine und Prof. Dr. Tim Rohrmann
Liebe Frau Rohrmann, lieber Herr Rohrmann, Ihr neues Werk in der Reihe „Entwicklung und Bildung in der Frühen Kindheit“ behandelt das Thema „Begabte Kinder in der KiTa“. Worum geht es in Ihrem Buch?
Tim Rohrmann: Wir führen in das Thema Begabung ein, wir stellen Begabtenförderung in den Kontext aktueller Entwicklungen der Kindheitspädagogik, und wir stellen dar, wie jede KiTa den Bedürfnissen begabter Kinder gerecht werden kann.
Was heißt eigentlich Begabung und woran erkennt man Hochbegabung?
Sabine Rohrmann: Der Begriff „Begabung“ wird ganz uneinheitlich verwendet. Es gibt unterschiedliche Begabungen, und jeder Mensch hat individuelle Stärken und Besonderheiten. Wenn es um Hochbegabung geht, sind allerdings meist ausgeprägte kognitive Fähigkeiten gemeint. Als „hochbegabt“ werden die zwei Prozent der Bevölkerung bezeichnet, die die höchsten Werte in Intelligenztests erreichen.
In Ihrem Buch raten Sie ausdrücklich davon ab, schon kleine Kinder als „hochbegabt“ zu bezeichnen. Ab welchem Alter lässt sich Hochbegabung sicher feststellen?
Sabine Rohrmann: In der Kindheit und vor allem in den ersten Lebensjahren verläuft die Entwicklung der Intelligenz noch nicht stabil, und zwischen einer besonderen Begabung und den Folgen guter Förderung im Elternhaus kann oft nicht unterschieden werden. In der Regel macht es erst ab dem Ende des Grundschulalters Sinn, von Hochbegabung zu sprechen.
Trotzdem haben begabte Kindergartenkinder ein Recht auf Förderung. Wie können KiTas die Bedürfnisse begabter Kinder erkennen und aufgreifen?
Tim Rohrmann: Begabte Kinder sind oft gut darin, aktiv die Möglichkeiten zu nutzen, die ihre Umwelt ihnen bietet. Sie brauchen dazu ein anregendes und herausforderndes Umfeld, und interessierte Erwachsene, die kindliche Eigeninitiative fördern und sie aufmerksam begleiten. Also eigentlich genau das tun, was gute Pädagogik in KiTas heute ausmacht.
Wie können Fachkräfte die Zusammenarbeit mit Eltern von begabten Kindern am wirkungsvollsten gestalten?
Sabine Rohrmann: Das kommt auf die Eltern an. Manchmal geht es darum, dass die Eltern die Begabungen ihres Kindes überhaupt wahrnehmen. Diese Eltern müssen ermutigt werden, ihr Kind auch mal über das Altersübliche hinaus zu fördern. Andere Eltern schießen bei der Förderung über das Ziel hinaus. Da geht es eher darum, gelassener mit dem Thema Begabung umzugehen.
Wie kann der Ãœbergang in die Schule bei begabten Kindern gestaltet werden? Ist eine vorzeitige Einschulung sinnvoll?
Sabine Rohrmann: Das ist individuell unterschiedlich. Es hängt zum einen davon ab, in welcher Einrichtung die aktuellen Interessen und Bedürfnisse eines Kindes am besten aufgegriffen werden können, zum anderen von seinem sozial-emotionalen Entwicklungsstand und seiner Situation in der Gruppe. Wichtig ist in jedem Fall eine gute Zusammenarbeit von KiTa und Grundschule.
Hat Hochbegabung auch Schattenseiten?
Sabine Rohrmann: Hochbegabung ist zunächst einmal eine Ressource. Wenn ein begabtes Kind Probleme hat, sollte dies natürlich nicht losgelöst von seiner Begabung betrachtet werden, aber die Begabung ist nicht Ursache von Problemen. Begabte Kinder sind erst einmal Kinder. Sie haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse wie alle anderen Kinder auch, und nicht jedes ihrer Probleme hat mit Begabung zu tun.
Tim Rohrmann: Wir möchten die Diskussion über begabte und hochbegabte Kinder entdramatisieren und Kinder davor schützen, schon in den ersten Lebensjahren „besondert“ zu werden, nur weil sie schneller lernen als andere Kinder oder ungewöhnliche Fähigkeiten und Interessen zeigen. Gleichzeitig sehen wir Begabtenförderung als Herausforderung für die Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit mit Kindern. Sie macht Spaß und bereichert den Alltag in der KiTa.