Peter Kostorz
Mit dem Inkrafttreten des Pflegeberufegesetzes zum 1. Januar 2020 wird die Pflegeausbildung grundlegend reformiert: Statt der bisherigen drei Berufe in der Gesundheits- und Krankenpflege, der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie der Altenpflege soll es künftig grundsätzlich nur noch den generalistisch ausgerichteten Beruf der Pflegefachfrau bzw. des Pflegefachmanns geben, der zur „Pflege von Menschen aller Altersstufen in akut und dauerhaft stationären sowie ambulanten Pflegesituationen“ befähigen soll (§ 5 Abs. 1 Satz 1 PflBG). In der Gesetzesbegründung zum Pflegeberufegesetz heißt es hierzu: „Die Trennung der Ausbildungsziele nach Altersgruppen in den bisherigen Ausbildungen nach dem Altenpflegegesetz und dem Krankenpflegegesetz wird damit aufgehoben“ (BT-Drucks. 18/7823, 67). Hintergrund der Reform sind vor allem demographische und epidemiologische Entwicklungen, die zu geänderten Anforderungen an die pflegerische Versorgung sowie das Pflegepersonal geführt haben und damit zukünftig eine klienten- bzw. altersgruppenübergreifende Qualifikation der Pflegekräfte erfordern.
Sonderlich konsequent umgesetzt hat der Gesetzgeber dieses Vorhaben indes nicht: Mit dem Abschluss des Ausbildungsvertrages müssen die Ausbildungsträger mit den Auszubildenden einen 500-stündigen sogenannten Vertiefungseinsatz für die praktische Ausbildung im dritten Ausbildungsjahr vereinbaren, der nach dem bestandenen Examen auch auf der Urkunde zur Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung vermerkt wird. Eine daran anknüpfende Möglichkeit der beruflichen Spezialisierung bieten die Maßgaben der §§ 58 bis 62 PflBG, die sich gesetzessystematisch am Ende des Pflegeberufegesetzes unter der Überschrift „Besondere Vorschriften über die Berufsabschlüsse in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie in der Altenpflege“ finden. Danach können sich diejenigen Auszubildenden, die mit ihrem Ausbildungsträger einen Vertiefungseinsatz in der pädiatrischen Versorgung bzw. in der Langzeitpflege vereinbart haben, entscheiden, sich im letzten Ausbildungsdrittel nicht nur vertieft, sondern gänzlich klientenspezifisch ausbilden zu lassen, um nach dem Bestehen der staatlichen Prüfung die entsprechende Berufsbezeichnung Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger(in) bzw. Altenpfleger(in) zu führen. Damit soll die Entscheidung, welcher Berufsabschluss angestrebt wird, vor allem bei den Auszubildenden liegen. Der Gesetzgeber verspricht sich hiervon, dass diese (weiterhin) interessensorientiert ausgebildet und so mehr Bewerberinnen und Bewerber für den Pflegeberuf akquiriert werden können – mit anderen Worten: Niemand soll für den Wachstumsmarkt Pflege verloren gehen. Nutzt ein Auszubildender dieses sogenannte Wahlrecht, ist im dritten Ausbildungsjahr sowohl der theoretische und praktische Unterricht an der Pflegeschule als auch die praktische Ausbildung an dem neuen Ausbildungsziel des klientenspezifischen Berufsabschlusses auszurichten.
Dass der Gesetzgeber trotz dieser Dreigliedrigkeit der Berufsabschlüsse gleichwohl von der Notwendigkeit der Generalisierung in der Pflege(ausbildung) überzeugt und sich daher der Sinnhaftigkeit des Wahlrechts und der damit verbundenen Spezialisierungsmöglichkeiten offensichtlich selbst nicht ganz so sicher ist, belegt dabei § 62 Abs. 1 PflBG, nach dem die Bundesregierung dem Bundestag bis zum 31. Dezember 2025 zu berichten hat, welcher Anteil der Auszubildenden das Wahlrecht zur Ausbildung in der Kinderkrankenpflege einerseits und zur Ausbildung in der Altenpflege andererseits ausgeübt hat. Für den Fall, dass der jeweilige Anteil geringer als 50 % ist, soll der Bericht gleichzeitig Vorschläge zur Anpassung des Pflegeberufegesetzes enthalten. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu vielsagend: „Wählen weniger als die Hälfte der jeweiligen Auszubildenden den entsprechenden gesonderten Abschluss, ist es gerechtfertigt, die besonderen Regelungen dieses Teils zu dem entsprechenden Abschluss wieder aufzuheben“ (BT-Drucks. 18/12847, 115).
Die Frage, ob das Wahlrecht bei der Vereinbarung eines entsprechenden Vertiefungseinsatzes im Einzelfall tatsächlich ausgeübt wird, hängt im Wesentlichen von den berufstaktischen Überlegungen der Auszubildenden ab.
Während der Berufsabschluss Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann den Einsatz in allen Arbeitsfeldern der Pflege ermöglicht, befähigt ein klientenspezifischer Abschluss nur für eine Berufsausübung in der Alten- bzw. Langzeitpflege respektive in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Das schränkt die berufliche Flexibilität erheblich ein. So kann beispielsweise der examinierte Pflegefachmann – unabhängig vom absolvierten Vertiefungseinsatz – ohne weiteres auch in der stationären Altenpflege arbeiten, während der staatlich geprüften Altenpflegerin eine Tätigkeit in der stationären Akutpflege eines Krankenhauses dem Grunde nach verwehrt ist. Vergleichbare Einschränkungen ergeben sich auf dem europäischen Arbeitsmarkt: Zwar werden nationale Berufsabschlüsse in der Pflege nach der sogenannten Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG in allen EU-Mitgliedsstaaten automatisch anerkannt, doch gilt dies ausschließlich für „Krankenschwestern und Krankenpfleger für die allgemeine Pflege“ und damit nur für die generalistisch ausgebildeten Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner – für die Berufsabschlüsse in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie in der Altenpflege gilt dieser Automatismus nicht.
Diese Beschränkungen in der Berufsausübung werden vermutlich nicht wenige Auszubildende dazu bewegen, von einem dem Grunde nach bestehenden Wahlrecht bewusst Abstand zu nehmen – und das vermutlich insbesondere in der Altenpflege, auch wenn die staatliche Prüfung hier als weniger anspruchsvoll gilt als in der generalistisch ausgerichteten Pflege.
Hinzu kommt, dass auch die Ausbildungsträger die quantitative Verteilung der Auszubildenden auf die drei möglichen Pflegeberufe teils unmittelbar, teils mittelbar steuern können – auch wenn es sich bei dem Wahlrecht der Auszubildenden dem Grunde nach um ein sogenanntes einseitiges Gestaltungsrecht handelt: Aufgrund des höheren organisatorischen Aufwands in der praktischen Ausbildung und bei der Erteilung des theoretischen und praktischen Unterrichts werden viele Krankenhäuser und Pflegedienste davon absehen, mit ihren Auszubildenden einen Vertiefungseinsatz zu vereinbaren, der diesen eine Wahl beim angestrebten Berufsabschluss einräumt. So können insbesondere Krankenhäuser Bewerberinnen und Bewerbern um einen Ausbildungsplatz ausschließlich einen Vertiefungseinsatz in der stationären Akutpflege und eben nicht in der das Wahlrecht der Auszubildenden begründenden pädiatrischen Versorgung anbieten; Pflegedienste könnten sich entsprechend darauf beschränken, mit ihren Auszubildenden einen Vertiefungseinsatz im Bereich der allgemeinen ambulanten Pflege (ohne Ausrichtung auf die ambulante Langzeitpflege) zu vereinbaren. Die entsprechenden Auszubildenden werden dann ausnahmslos generalistisch befähigt. Einen deutlich geringeren Gestaltungsspielraum haben demgegenüber Pflegeheime, die den Vertiefungseinsatz aufgrund ihres spezifischen Versorgungsangebots regelmäßig in der stationären Langzeitpflege anbieten müssen, was deren Auszubildenden dem Grunde nach das Recht eröffnet, nicht den generalistischen Berufsabschluss in der Pflege anzustreben, sondern einen Abschluss in der Altenpflege zu wählen. Um zu vermeiden, in einem Ausbildungsjahrgang für zwei verschiedene Berufe ausbilden zu müssen, werden allerdings nicht wenige stationäre Pflegeeinrichtungen ihre Auszubildenden dahingehend beraten, gleichwohl einheitlich den generalistischen Beruf der Pflegefachfrau bzw. des Pflegefachmanns anzustreben – mit den für sie soeben beschriebenen Vorteilen auf dem Arbeitsmarkt.
Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben in diesem Zusammenhang zudem die Pflegeschulen, auch wenn sie dem Grunde nach keine Ausbildungsträger sind und mit den Auszubildenden insofern auch keinen Vertiefungseinsatz aushandeln. Um keine separaten Fachklassen für die Kinderkrankenpflege und die Altenpflege einrichten zu müssen, werden sie zum einen die kooperierenden Praxiseinrichtungen dahingehend beraten, mit den Auszubildenden – sofern möglich – keinen Vertiefungseinsatz in der pädiatrischen Versorgung bzw. in der Langzeitpflege zu vereinbaren, und zum anderen ihre Schülerinnen und Schüler darin bestärken, ihre Ausbildung auch im letzten Ausbildungsdrittel generalistisch fortzuführen bzw. zu beenden.
Zum Autor: Prof. Dr. Peter Kostorz ist Professor für Rechtswissenschaften mit den Schwerpunkten Gesundheitsrecht und Bildungsrecht am Fachbereich Gesundheit der Fachhochschule Münster.
Veröffentlichung bei Kohlhammer:
Peter Kostorz: Ausbildungsrecht in der Pflege, 2019, ISBN 978-3-17-036973-3