Mit dem Buch „Empathische Kommunikation in der Palliativbetreuung“ lässt der Krankenpfleger Klaus-Dieter Neander aufhorchen. Er zeigt in diesem vielfältigen Buch, wie wichtig ganz unterschiedliche Formen der Kommunikation sind. Über die Unterschiedlichkeit der Interaktionen hat Neander mit Christoph Müller bei einer Tasse Tee gesprochen.
Klaus-Dieter Neander
Empathische Kommunikation in der Palliativbetreuung
Grundlagen und Hinweise für die Praxis
2021. 210 Seiten, 48 Abb., 3 Tab. Kart. € 34,–
ISBN 978-3-17-040852-4
Christoph Müller Mit der „Gewaltfreien Kommunikation“ ist der Begriff der Empathie verbunden. Was macht denn eigentlich die Empathie in der Palliativbetreuung aus?
Klaus-Dieter Neander Die Empathie unterscheidet sich nicht von der in anderen Situationen. Es geht darum, sich in den Anderen hineinzuversetzen, was in einer für alle extrem belastenden Situation besonders schwer ist. Geht es überhaupt, sich in einen Menschen hineinzuversetzen, der im Sterben liegt? Geling es nachzuspüren, wie sich ein Mensch fühlt, wenn er weiß, dass sein liebster Mensch im Sterben liegt? In der Praxis zeigt sich, dass die Menschen verbittert sind, Angst vor dem Ende oder Schmerzen haben, erleichtert sind, weil es nun endlich zu Ende geht. Empathische Kommunikation versucht, die Sprachlosigkeit in emotional belastenden Situationen zu durchbrechen, in dem die Pflegekraft emotional-verbale Angebote macht.
Christoph Müller Rosenberg befähigt nach Ihrer Interpretation, Bedürfnisse und Wünsche leidender Menschen zu erkennen und gemeinsam Wege des Miteinanders zu finden. Wie können professionell Pflegende den eigenen Rucksack der Fertigkeiten packen?
Klaus-Dieter Neander Nun, Rosenberg hat sein Konzept natürlich nicht nur für leidende Menschen entwickelt. Er versucht jedem von uns klarzumachen, dass wir einander mit unbedachten, lässig hingeworfenen Worten „Gewalt“ antun. Rosenberg betont, dass sein Kommunikationskonzept keine „Technik“ darstellt, sondern eine Änderung meiner „Haltung“ erfordert: Mut, Emotionen und Bedürfnisse anzusprechen, Bewertungen zu unterlassen und klare Bitten auszusprechen. In den Rucksack gehört also, um in Ihrem Bild zu bleiben, die Sensibilität für eine empathische, befreiende Sprache, einige „Werkzeuge“, die in Seminaren gelernt werden, aber vor allem eine Idee davon, wie ich mich in meiner Haltung gegenüber meinen Mitmenschen verhalten möchte. Machen wir uns klar, wie es Reinhard Mey in einem seiner wunderbaren Chansons ausdrückt:
„Doch jedes Wort, mit dem ich dir wehgetan hab‘
Bereute ich, während ich es sprach, schon
Denn von jeder Wunde, die ich dir zugefügt hab‘
Trag‘ auch ich eine Narbe davon…“
Christoph Müller Im Buch nehmen Sie auch Kritik an der „Gewaltfreien Kommunikation“ ernst, überprüfen sie an der Matrix der Palliativbetreuung. Spätestens seit Fritz Breithaupt wissen wir nun mehr über die dunklen Seiten der Empathie. Welche dunklen Seiten der Empathie gibt es denn in der Palliativbetreuung?
Klaus-Dieter Neander Ich denke, dass ein gewisser „Übereifer“, wie ich ihn in meinem Buch auch beschreibe, als „dunkle Seite“ bezeichnet werden kann: ich kann Menschen nicht dazu „zwingen“, auf ein empathisches Gesprächsangebot zu reagieren. Möglicherweise beendet ein Mensch die Kommunikation mit mir, weil er sich „missioniert“ fühlt. Als helfende Person muss ich zudem daran denken, dass ich in einer gewissen Machtposition gegenüber den Klient_innen sowie deren An- und Zugehörigen bin. So kann es durchaus passieren, dass die Pflegeperson glaubt, die Gefühle und Bedürfnisse der Patient_innen zu kennen und sich nicht mehr die Mühe macht, diese wirklich – gemeinsam mit den Patient_innen – zu ergründen.
Christoph Müller Beeindruckend ist es, dass Sie auch über die nonverbale Kommunikation schreiben. Dabei erwähnen Sie auch, dass die „Gewaltfreie Kommunikation“ diesbezüglich Nachholbedarf hat. Welche Ideen haben Sie, professionell Pflegenden in der Palliativbetreuung Handwerkszeug an die Hand zu geben?
Klaus-Dieter Neander Sprache wird gelernt, Bewegung ebenso. So hat uns z.B. die Kinästhetik gelehrt, wie wir Menschen mit körperlichen Einschränkungen bei der Bewegungsanbahnung unterstützen können. Sprache lernen wir von unseren Eltern und Geschwistern, in der Schule und in der Ausbildung – im Leben. Was wir weniger lernen (auch nicht im Fach „Krankenbeobachtung“), ist, mit welchen „Kanälen“ (um Schultz-von-Thun sinngemäß zu zitieren) wir – außer mit Worten – kommunizieren: mit Blicken, mit Mimik und Gestik. Oft sind es nur kleine „nonverbale“ Signale, mit der uns das Gegenüber eine Botschaft vermitteln will. Diese übersehen wir oft. So sollte es (nicht nur) in der Palliativbetreuung bzw. in der Ausbildung in Palliative Care deutlich mehr „Seh-Unterricht“ geben: Beschreiben von Pflanzen und Tieren, Malen von Gegenständen, Experimentieren mit Farben, viele Übungen zur Kommunikation, die wichtige Sinne ausschließen, um deren Bedeutung zu erkennen. Palliativ-Fachkräfte (egal ob Pflegende, Mediziner_innen, Theolog_innen oder andere Berufsgruppen) haben häufig extrem hohes Fachwissen – und das ist gut so. Dieses Fachwissen wenden wir an und gehen häufig genug davon aus, dass damit eine bestmögliche Betreuung gewährleistet ist. Dabei lechzen die Klient_innen sowie die An- und Zugehörigen eben häufig nach Worten.
Christoph Müller Zum Ende des Buchs kommen Sie auf das Nicht-Offensichtliche in der Kommunikation mit Menschen, die palliativ versorgt werden. Dabei kommen Begriffe wie das Verstandene und das Ungehörte in den Blick. Welche Bedeutung hat das, was nicht mehr miteinander besprochen werden kann / konnte, wenn ein Mensch verstorben ist?
Klaus-Dieter Neander Wir alle tragen kleine oder große Geheimnisse mit uns herum – Dinge, die wir getan haben und bereuen, Sätze, die wir nicht gesagt haben, (Liebes-)Geständnisse, die wir uns nicht trauten auszusprechen. Wir tragen Situationen in uns, wo wir wissen, dass wir versagt haben und schuldig geworden sind, aber auch Gedanken und Worte, die ungesagt geblieben sind, weil wir glauben, noch „Zeit“ zu haben.
Da ist der Vater, der auf dem Sterbebett seinem Sohn gesteht, dass berufliche Karriere und ökonomischer Erfolg häufig wichtiger waren als ein gemeinsamer Spielnachmittag. Da ist die Frau, die ihrer Lehrerin immer noch sagen wollte, wie sehr sie sie bewundert hat und welch großes Vorbild diese Lehrerin für ihr eigenes Leben war. Die Tochter, die ihrer Mutter nie gesagt hat, dass ihr Mann seine eigene Tochter missbraucht hat oder der Sohn, der seinem Vater nie gesagt hat, wie schwer es für ihn war, als der „Vater mit seiner Neuen“ abgehauen und ihn „allein“ gelassen hat. Aber auch die schönen Dinge können nicht mehr angesprochen werden: wie stolz der Vater auf seinen Sohn war, als dieser sein Juraexamen mit Auszeichnung bestanden hat; wie dankbar die Mutter war, als die Tochter ihre Pflege übernahm. Verpasste Chancen – die Wunden hinterlassen.
Christoph Müller Herzlichen Dank, lieber Herr Neander, für das Interview.
Dieser Artikel wurde von pflege-professionell.at zur Verfügung gestellt.
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