Strategischer Erfolgsfaktor statt Lückenfüller – Internationale Fachkräfte in der Pflege
Interview mit Benjamin Nabert und Thomas Röhrßen zum Erscheinen des Buches „Internationale Fachkräfte in der Pflege - Kommen, um zu bleiben!“
„Internationale Fachkräfte in der Pflege - Kommen, um zu bleiben!“. Die Herausgeber Röhrßen und Nabert beleuchten eine der Antworten, mit denen die Pflegebranche auf den allseits bekannten Fachkräftemangel im Gesundheitswesen reagiert. Wie sich das System etabliert, worauf man achten muss und wie die Herausgeber selbst in diesem Bereich tätig sind, lesen Sie hier!

Thomas Röhrßen/Benjamin Nabert (Hrsg.)
Internationale Fachkräfte in der Pflege - Kommen, um zu bleiben!
Erfolgreiche Praxis nachhaltiger Gewinnung, Qualifizierung und Integration
2025. 204 Seiten
€ 38,–
ISBN 978-3-17-045364-7
Herr Nabert, Herr Röhrßen, herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung Ihres Werkes „Internationale Fachkräfte in der Pflege - Kommen, um zu bleiben!“ – ein Buch, was wirklich den Nerv der Zeit trifft, denn Sie sagen selbst „Ohne Fachkräftegewinnung aus dem Ausland wird unser Gesundheitssystem es nicht schaffen“ (T. Röhrßen & B. Nabert, 2025).
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Benjamin Nabert: Laut Statistischem Bundesamt werden in Deutschland bis 2049 zwischen 280.000 und 690.000 Pflegefachkräfte fehlen. Diese Entwicklung wird durch den demografischen Wandel noch an Dynamik gewinnen. Das ist ohne internationale Fachkräfte nicht zu bewältigen. Zumal die weltweite Nachfrage steigt: Die USA, Kanada und Japan suchen händeringend qualifiziertes Pflegepersonal. Wir stecken in einer globalen Fachkräftekrise.
Wenn Deutschland nicht aktiver und professioneller im Ausland um Fachkräfte wirbt, droht uns auf den internationalen Arbeitsmärkten der Anschlussverlust. Politik und Unternehmen sind sich dessen bewusst – dennoch fehlen vielerorts tragfähige, nachhaltige Konzepte sowie eine langfristige strategische Planung.
Genau hier setzt unser Buch an: Es verbindet strategische, konzeptionelle und praxisnahe Impulse – mit dem Ziel, mehr Sicherheit in der Personalplanung zu schaffen.
Was sind Ihre Erfahrungen und Empfehlungen aus der internationalen Arbeitsmarktforschung und Unternehmenspraxis?
Benjamin Nabert: Ich war viele Jahre im Nahen und Mittleren Osten sowie in Asien unternehmerisch tätig, bevor ich die TRUECARE GmbH gründete. Mittlerweile habe ich meinen Blickwinkel neben Europa auch auf die Arbeitsmärkte in Lateinamerika erweitert. Internationale Fachkräfte, die ihr Heimatland langfristig verlassen wollen, prüfen das weltweite Arbeitsplatzangebot heute sehr souverän und kritisch. Nur wer die besten gesellschaftlichen, administrativen und rechtlichen Rahmenbedingungen schafft, wird im globalen Wettbewerb bestehen – und hier hat Deutschland noch Nachholbedarf.
Die deutsche Sprache wird gegenüber anglophonen Ländern immer ein gewisses Handicap bleiben, und auch die bürokratischen Hürden sind im internationalen Vergleich weiterhin hoch. Das muss sich ändern. Wir stehen hierzu im engen Dialog mit dem Gesundheitsministerium, den Landesbehörden und den Verbänden. Zudem ist das Integrationsmanagement in der deutschen Gesundheitswirtschaft noch nicht ausreichend ausgereift.
Positiv hervorzuheben ist jedoch, dass Professionalität und Qualitätsbewusstsein spürbar wachsen. Ein gutes Beispiel ist das ‚Gütesiegel zur fairen Anwerbung in der Pflege‘, das ethische Kriterien definiert und es unseriösen Anbietern erschwert, im Gesundheitswesen Fuß zu fassen.
Welche zentralen Strategien empfehlen Sie Gesundheitsunternehmen, um internationale Pflegefachkräfte erfolgreich zu gewinnen und langfristig an sich zu binden?
Thomas Röhrßen: Langfristig binden heißt strategisch denken! Wer heute internationale Fachkräfte rekrutiert, muss begreifen, dass das kein „Quick Fix“ für den nächsten Monat ist, sondern Teil der strategischen Personalplanung der nächsten Jahre. Dabei müssen zahlreiche Kennzahlen berücksichtigt werden: Leistungsprognose, Pflegebudget, Fluktuationsquote, Anzahl der Renteneintritte, Ausbildungsrekrutierung usw. Strategisch denken beinhaltet auch die Auswahl von seriösen strategischen Partnern, die nicht einfach nur Menschen aus irgendeinem Land anheuern. Es geht um Partner, die möglichst viele internationale Arbeitsmärkte kennen. Es geht um Partner, die in ihrem Ansatz nach Neigung und Eignung ein optimales Matching zwischen internationaler Fachkraft und Arbeitsplatz im Unternehmen herstellen können. Es geht um Partner, die dann auch den weiteren Prozess qualitativ, wirtschaftlich und effizient steuern können. Manche Unternehmen setzen sich ein Patchwork zusammen. Sie beauftragen unterschiedliche Anbieter im Bereich Recruiting, Qualifizierung und Integration, die dann irgendwie „harmonieren“ sollen. In unserem Buch stellen wir dagegen das Konzept einer „geschlossenen Rekrutierungs-, Bildungs- und Integrationskette“ vor. Hier werden alle Maßnahmen von der Personalakquisition im Ausland bis zur Integration im Unternehmen innerhalb eines Budgets optimal abgestimmt und gesteuert. Das muss nicht immer komplett von einem „Systemanbieter“ geleistet werden. Aber es sollte unbedingt „wie aus einer Hand“ erfolgen. Alle Schritte von der Sprachqualifizierung, über die soziokulturelle Vorbereitung schon im Herkunftsland, bis hin zur beruflichen Anerkennung in Deutschland und der betrieblichen Integration im Unternehmen sind dann lückenlos verzahnt. Dieser Prozess endet nicht hier, sondern geht dann weiter bis zum Familiennachzug. Eine erfolgreiche Strategie braucht einen Masterplan für den Gesamtprozess.
Wie kann man denn die Qualität und den Erfolg der internationalen Fachkräftegewinnung und -bindung messen?
Thomas Röhrßen: Es gibt ein paar „hard facts“ – also Kennzahlen, die seriöse Anbieter erheben und nachweisen können. Dazu gehört etwa die Anerkennungsquote nach Erstprüfung in Deutschland. An dieser Kennzahl kann man ablesen, ob die gezielte Auswahl von internationalen Fachkräften und ihre Zusatzqualifizierung in Vorbereitungskursen zu einem optimalen Ergebnis geführt hat. Weiterhin zählt die Bindungsquote an das Unternehmen innerhalb der ersten zwei Jahre. Wenn diese Zahlen nicht stimmen, dann müssen Unternehmen mit einem höheren Zeit- und Kostenaufwand rechnen. Manche Anbieter erheben diese Zahlen nicht einmal. Viele haben einen zu kleinen Personalpool, der dann keine repräsentativen und belastbaren Daten erlaubt. Die qualitative Begleitforschung steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Es gibt zwar Befragungen zum Zufriedenheitsgrad von internationalen Fachkräften mit ihren Agenturen und den Unternehmen und auch Studien zu Effekten von interkulturellen Trainings, die auch in unserem Buch vorgestellt werden. Aber das ist alles noch am Anfang. Da wird sich in den nächsten Jahren noch sehr viel tun.
Vielen Dank für Ihre Einschätzung und Ihren Beitrag!