Kriege, Bomben, SelbstÂmordÂattenÂtäter – nirgends gab es in den letzten Jahren so viel Gewalt wie in der arabiÂschen Welt. Dabei hatte die arabiÂsche Jugend vor über zehn Jahren einen vielÂverÂsprechenÂden Anlauf genommen, sich FreiÂheit, SelbstÂbestimÂmung und Würde zu erÂkämpfen und das Joch der autoÂkratiÂschen HerrÂscher abzuÂstreifen. Doch heute müssen alle zentraÂlen Ziele des sogeÂnannÂten ArabiÂschen FrühÂlings als geÂscheiÂtert gelten. Die Folgen sind DespoÂtismus, isÂlamisÂtiÂscher Terror, BürgerÂkriege, aber auch bis dato unÂdenkÂbare WechselÂwirkunÂgen aus alledem. Haben also DemoÂkratie und Frieden im Nahen Osten keine Chance? In seinem neuen Buch spürt der JournaÂlist und ehemaÂlige ARD-KorresÂpondent für den Nahen und MittleÂren Osten, Jörg Armbruster, dieser Frage nach. Um die Lage vor Ort zu veranÂschauÂliÂchen, greift er auf zahlÂreiche perÂsönÂliche ErlebÂnisse und Kontakte zurück.
Wir haben mit Jörg Armbruster über sein neues Buch gesprochen.
Jörg Armbruster
Ewiger Krisenherd
Ist der Nahe Osten noch zu retten?
2023. 154 Seiten. Kartoniert. € 26,–
ISBN 978-3-17-043185-0
Reihe: Brennpunkt Politik
Lieber Herr Armbruster, schön, dass Sie heute zu uns gekommen sind, um mit uns über Ihr jüngst bei Kohlhammer erÂschieÂnenes Buch „Ewiger Krisenherd. Ist der Nahe Osten noch zu retten?“ zu sprechen!
Sehr gerne.
Lassen Sie uns zunächst mit einigen perÂsönÂliÂchen Fragen beginnen, wenn Sie erlauben?
Ja klar!
Sie haben eine äußerst beÂeinÂdruckende Karriere als ReporÂter und ModeÂrator gemacht und sind einer breiten ÖffentÂlichÂkeit vor allem als ARD-KorresÂponÂdent für den Nahen Osten bekannt. Viele vor allem junge Menschen stelÂlen sich das als Traumjob vor. Wie wird man Korrespondent?
Ich glaube nicht, dass man einen LeitÂfaden entwerÂfen kann, wie man KorresÂpondent wird. Aber wer den Wunsch hat, sollte ein paar VorausÂsetzunÂgen mitÂbringen. Zum Beispiel NeuÂgierde auf Fremdes, UnbeÂkanntes. Bei mir war es unter anderem der Islam. Ich wollte wissen, wie er funkÂtioÂniert, warum er eine ganz andere Rolle spielt in den arabiÂschen GesellÂschafÂten als etwa das ChrisÂtenÂtum bei uns. So habe ich unter andeÂrem gelernt, dass es den Islam gar nicht gibt, sondern viele SpielÂarten dieser Religion. Sodann sollte man sich für die MenÂschen des GebieÂtes inteÂresÂsieren, aus dem man berichÂten soll, für deren Leben und Denken. Wie beÂwälÂtigt ein ägypÂtiÂscher Bauer seinen AllÂtag – reine Mühsal? Wie lebt ein wohlÂhabenÂder Saudi – locker vom Hocker? Oder ein Jemenit in den Bergen seines Landes – ständig bedroht? Auch scheint es mir ganz wichtig zu sein, Respekt für das BerichtsÂgebiet und die dort lebenÂden MenÂschen mitÂzuÂbringen. Das heißt, niemals als BesserÂwisser aufÂtreten, sondern als LerÂnenÂder und ZuÂhörenÂder. Und man braucht allerÂdings auch ein bisschen Glück, um einen solÂchen Posten zu bekomÂmen – Glück und Geduld.
Es gibt also keinen ‚direkten Weg‘ zum Korrespondenten?
Nein, ich glaube nicht, dass es den gibt. Aber es lohnt sich, daran zu arbeiÂten. Ehe ich die LeiÂtung des ARD-Büros in Kairo überÂnahm, bin ich jahreÂlang als ReiseÂkorresÂponÂdent zwischen Stuttgart und der arabiÂschen Welt gepenÂdelt. Das Warten hat sich gelohnt. Ich kann mir jedenÂfalls für einen JourÂnalisÂten nichts SchöÂneres und SpanÂnendeÂres vorÂstellen.
Der Beruf mag abÂwechsÂlungsÂreich und spanÂnend sein. Er kann aber auch geÂfährÂlich sein. Der franÂzösiÂsche ReporÂter Arman Soldin wurde beiÂspielsÂweise vor wenigen Wochen in der Ukraine getötet. Auch Sie wurden bei einer ReporÂtage 2013 in Syrien anÂgeschosÂsen. Wie sind Sie mit dieser teilÂweise unkalÂkulierÂbaren Gefahr im BerufsÂalltag eines ReporÂters umgegangen?
Man ist bei DrehÂarbeiÂten nicht allein. Da ist der KameraÂmann, TonÂmann und ein BeÂgleiÂter, der sich vor Ort gut ausÂkennt und hofÂfentÂlich die GefahÂren einÂschätÂzen kann. Solche Reisen in KriegsÂgebiete müsÂsen vor BeÂginn an sehr sorgÂfälÂtig vorÂbereiÂtet werden, um Gefahren zu miniÂmieren. Auch muss man sich mit dem Team abÂspreÂchen, welche RisiÂken man beÂreit ist einzuÂgehen, wie nahe man an das GeÂscheÂhen heran geht. Mich haben immer die MenÂschen in solchen KriegsÂgebieÂten mehr inteÂresÂsiert als der Blick durch eine SchießÂscharte. Aber es ist schon richtig: Man kann nicht alle GefahÂren ausÂschlieÂßen. Allerdings habe ich mich nie als KriegsÂreporÂter verÂstanÂden, sondern als ein KorresÂponÂdent, der halt auch aus Kriegs- und KrisenÂgebieÂten berichten muss.
Der Westen ist nicht an allem schuld, was nicht gut läuft im Nahen Osten. Viele KonÂflikte sind hausÂgeÂmacht.
Zu Ihrem Buch. Ist der Nahe Osten tatÂsächÂlich ein Krisenherd?
Ja, immer wieder. Nehmen Sie den Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen: eine humaÂniÂtäre KataÂstrophe, sagt die UNO. Oder den Krieg in Libyen: kaum zu beÂenden, weil viel zu viele Länder daran beteiÂligt sind. Syrien spricht für sich, die Türkei, RussÂland und der Iran mischen dort mit. Die SpanÂnunÂgen zwischen Iran und Saudi-Arabien scheinen sich ja nun allÂmähÂlich abzuÂbauen. Der Konflikt zwiÂschen PaläsÂtinenÂsern und Israel bleibt aber ungeÂlöst, jetzt mit der neuen extrem rechÂten Regierung noch mehr als je zuvor. Ich fürchte, viele Krisen werden als solche gar nicht mehr wirkÂlich wahrÂgenomÂmen, weil sie schon viel zu lange dauern …
Ja, in der Tat. Sie beginnen Ihre AusÂfühÂrunÂgen in der Zeit des Ersten WeltÂkriegs. Hier verorten Sie diverse UrÂsachen der aktuelÂlen Krisen. Wieso?
Während des Ersten WeltÂkrieges und unÂmittelÂbar danach haben die beiden wichÂtigsÂten KoloÂnialÂmächte in der Region, FranÂzosen und Briten, GiftÂkeime im Nahen Osten geÂpflanzt, aus denen dann etÂliche der KonÂflikte herÂvorgeÂganÂgen sind, mit denen wir es heute noch zu tun haben. Israel und PaläsÂtina zum BeiÂspiel, reliÂgiöse und ethniÂsche KonÂflikte im Irak oder KonÂflikte zwiÂschen Syrien und dem Libanon oder in Syrien selber … Die BeÂfrieÂdung der arabiÂschen Welt nach dem Ersten WeltÂkrieg kam nicht von den araÂbiÂschen HerrÂschern, sondern wurde ihnen von den EuroÂpäern aufÂgeÂdrängt. Der KoloniaÂlismus der FranÂzosen und Briten hat heute noch wirkÂmächÂtige Spuren in der Region hinterÂlassen – bei der GrenzÂziehung zum BeiÂspiel oder bei der BilÂdung von künstÂlichen Staaten, die es so vorÂher nicht gegeben hatte.
An der VorÂstelÂlung, man könne DemoÂkratie einÂfach mit Hilfe von BomÂben und PanÂzern exporÂtieÂren, sind zum BeiÂspiel die USA im Irak krachend gescheiÂtert.
Die westlichen Mächte haben sich also nicht mit Ruhm bekleckert. Steht die westÂliche Welt daher in der Pflicht, durch gezielÂte EinÂgriffe zu verÂsuÂchen, ihre Schuld von vor über 100 Jahren wiederÂgutÂzuÂmachen?
Von Schuld zu reden, halte ich nicht für so glückÂlich. Ãœber Schuld und Sühne können die KirÂchen viel besser entÂscheiÂden. Es wäre aber gut, wenn sich die EU und besonÂders DeutschÂland mit einer „femiÂnistiÂschen AußenÂpolitik“ tatÂsächÂlich für die Kräfte einÂsetzÂten, die eine ÖffÂnung der Region für mehr DemoÂkratie erreiÂchen wollen. Diese Gruppen gibt es. Das geschieht aber viel zu wenig … Gerade diese MenÂschen und deren BeweÂgunÂgen werden in LänÂdern wie ÄgypÂten oder Syrien verÂfolgt, eingeÂsperrt und oft genug geÂfolÂtert. Im Buch beÂschreibe ich ganz konkret einige solcher Fälle. Sie werfen dem Westen häufig DoppelÂmoral vor: Demokratie preÂdigen, aber mit den autoÂritäÂren RegiÂmen eng zuÂsammenÂarbeiÂten. Da kann man tatÂsächÂlich eine ganze Menge wiederÂgutÂmachen.
Aber der Westen ist nicht an allem schuld, was nicht gut läuft im Nahen Osten. Viele KonÂflikte sind hausÂgeÂmacht. Korruption zum BeiÂspiel, hohe JugendÂarbeitsÂlosigÂkeit und PerÂspekÂtivÂlosigÂkeit der Jugend. Oder totaÂliÂtäre und schlechte ReÂgieÂrungsÂfühÂrung und die miseÂrabÂlen BilÂdungsÂsysteme. Für all das sind die Regime selber verantÂwortÂlich.
Aber nahezu alle BemühÂungen, unsere WertÂvorÂstelÂlungen einer freien, demoÂkratiÂschen OrdÂnung in den Nahen Osten zu impleÂmentieÂren, sind ja kraÂchend geÂscheiÂtert – ich denke etwa an den Irak, an AfghaÂnisÂtan, Syrien, ÄgypÂten oder auch Libyen. Wäre es vor diesem HinterÂgrund nicht konseÂquenÂter zu sagen, wir ziehen uns ganz aus dem Nahen Osten zurück?
Ich glaube, in der VorÂstelÂlung, man könne unsere WertÂvorÂstelÂlunÂgen überÂtragen, steckt schon eines der ProÂbleme des Westens mit dem Nahen Osten. Die Menschen der Region müsÂsen selber herausÂfinden, wie ihr poliÂtiÂsches SysÂtem ausÂsehen soll, wie sie dieses also leben wollen. Viele sind geÂbilÂdet, klug und inÂforÂmiert, könÂnen daher selbst beÂstimÂmen. Der Westen sollte da sehr zuÂrückÂhalÂtend sein, zumal die PoliÂtiker hier vieles gar nicht verÂstehen oder falsch interÂpreÂtieÂren – siehe KopfÂtuchÂstreit. An der VorÂstelÂlung, man könne DemoÂkratie einÂfach mit Hilfe von BomÂben und PanÂzern exporÂtieÂren, sind zum BeiÂspiel die USA im Irak krachend gescheiÂtert. Sie haben die Region im ZweiÂstromÂland ins Chaos und ZerÂstöÂrung geÂstürzt. Der Westen kann helfen, bessere RahmenÂbedinÂgunÂgen zu schaffen, DemoÂkratieÂiniÂtiaÂtiven unterÂstützen … Als BesserÂwisser und selbstÂerÂnannÂter LehrÂmeister sollte er aber nicht auftreten.
Das bedeutet: Sie sehen für den Nahen Osten eine Chance auf Rettung?
Natürlich. Der Nahe Osten ist eine sehr junge Region. Dort leben rund 100 MillioÂnen junge Menschen im Alter von 15 bis 29 Jahren. Das sind zwei DritÂtel der BevölÂkeÂrung. Und die wollen etwas andeÂres als diese alten autoÂritäÂren Knochen, die jetzt noch in den ReÂgieÂrungsÂpaläsÂten sitzen!
Lieber Herr Armbruster: Vielen Dank für das InterÂview und den durchÂaus hoffÂnungsÂvollen Ausblick.
Sehr gerne!
Jörg Armbruster war Fernsehkorrespondent der ARD für den Nahen und Mittleren Osten und ist Autor mehrerer Bücher zum Thema. Für seine Berichterstattung wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus und dem Bayerischen Fernsehpreis für sein Lebenswerk.
Das Interview mit Jörg Armbruster führte Dr. Peter Kritzinger aus dem Lektorat Geschichte/ Politik/ Gesellschaft. Fotos: Tobias Merkle.
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