„They’re eating the cats, they’re eating the dogs!“ – Erst jüngst machten erneut Fake News im US-Wahlkampf die Runde. Hierzulande weniger bekannt, aber perfider: ein gefälschtes Video, das Kamala Harris der Fahrerflucht bezichtigt. Doch auch Deutschland steht im Fokus der organisierten Desinformation. Im September wurde bekannt, dass Russland systematisch gefälschte Videos und Webseiten verbreitet, um die AfD zu unterstützen und ein „Bild von Märtyrern“ zu schaffen. Das beste Mittel gegen solche Einflussnahme: vorgewarnt sein. Höchste Zeit also, für das neue Buch von Hanno Beck und Aloys Prinz, dessen Themen die Autoren im Folgenden vorstellen:

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Verbotene Teekessel und Leben auf dem Mond –
was hilft gegen Fake News?
Ob im amerikanischen Wahlkampf, bei der Abstimmung zum Brexit, an der Börse oder im Unternehmensalltag – kein Bereich unseres Lebens, der nicht durch Fake News, also absichtlich gefälschte Informationen bedroht ist. Die Schäden von Fake News gehen in die Milliarden. Moderne Technologie macht es immer einfacher und billiger, falsche Nachrichten zu verbreiten, mit der Folge, dass dem Staat und der Wirtschaft bei der Bekämpfung erhebliche Kosten entstehen. Eine Hoffnung im Kampf gegen Fake News: eine Impfung.
Am 4. Dezember 2016 stürmt ein mit einem AR-15-Gewehr bewaffneter Mann die Pizzeria „Comet Ping Pong“ in Washington, um Kinder zu befreien, die dort von einem Kinderpornoring festgehalten werden. Aus dem Internet weiß der Schütze, dass dieser Ring existiert und vom amerikanischen Präsidenten Barack Obama, der Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton und der Popsängerin Lady Gaga geleitet wird. Der Schütze findet – nichts, er ist Falschnachrichten aufgesessen.
Fake News kosten Leben
Solche Fake News, wie sie auf Neudeutsch genannt werden, sind längst zu einem festen Bestandteil des modernen Nachrichtenwesens geworden. Sie vergiften das politische Klima, führen zu Kursstürzen an der Börse, schädigen Unternehmen, bedrohen Privatpersonen. Fake News beeinflussten 2016 das Brexit-Referendum, beispielsweise durch Meldungen, die EU wolle Teekessel verbieten und Großbritannien könne rund 350 Millionen Pfund pro Woche sparen, wenn es die EU verlässt. Fake News über eine mögliche Aussage gegen US-Präsident Donald Trump bezüglich russischer Unterstützung im Wahlkampf führten 2017 dazu, dass der amerikanische Aktienmarkt rund 340 Milliarden Dollar verlor. Falschmeldungen im Gesundheitswesen haben während der Covid-19-Pandemie vermutlich die Zahl der Impfverweigerer nach oben getrieben. Eine Studie der renommierten Beraterfirma „London Economics“ schätzt, dass allein in den acht Monaten von April bis November 2020 in Großbritannien 509 Personen aufgrund von Falschinformationen ums Leben gekommen sind. Auch Unternehmen leiden unter Fake News: So fiel der Kurs von Pepsico nach einer Falschmeldung, dass der Vorstand des Unternehmens Trump-Wählern geraten habe, nicht mehr Pepsi zu kaufen, um fast vier Prozent. Forscher der Universität Baltimore schätzen die von Fake News verursachten Schäden auf 78 Milliarden Dollar jährlich.
Ziele und Verbreitung von Fake News
Die Ziele von Fake News – Meldungen, die wissentlich falsch oder irreführend sind – sind politischer Einfluss und Profit. Dieses Geschäft wird professionell betrieben: So gibt es in St. Petersburg eine sogenannte Troll-Fabrik, welche die Sozialen Medien 24 Stunden am Tag mit russlandfreundlicher Propaganda flutet. St. Petersburg ist nicht die einzige Troll-Fabrik. Allein im ersten Quartal 2023 hat der Meta-Konzern, zu dem die sozialen Netzwerke Facebook und Instagram gehören, Fake-News-Netzwerke in den Vereinigten Staaten, Venezuela, Iran, China, Georgien, Burkina Faso und Togo stillgelegt. An den Aktienmärkten verdient man mit Fake News, indem man zuerst Aktien billig einkauft, dann Fake News über die betreffende Aktie streut, um den Kurs hochzutreiben, und anschließend verkauft. Nicht zuletzt spielen auch persönliche Motive bei der Verbreitung Fake News eine Rolle: Geltungsbedürfnis, Rachegelüste, persönliche Befriedigung – die Liste menschlicher Schwächen ist lang.
Fake News im Wandel der Zeit
Dabei sind Fake News kein neues Phänomen: 1835 berichtet die New York Sun über die Entdeckung von Leben auf dem Mond, 1247 vor Christus lässt Pharao Ramses II. nach dem vergeblichen Versuch, im Krieg gegen das Hethiterreich die Stadt Kadesch einzunehmen, zu Hause einen großen Sieg verkünden. Was aber Fake News im 21. Jahrhundert gefährlicher macht, ist die Technik. Dank des Internets ist es heute möglich, von jedem Ort aus Falschnachrichten in die ganze Welt zu tragen. Und das mit wenig Aufwand und geringem Risiko, dafür belangt zu werden. Die Kosten der Verbreitung von Fake News sind dank der Technik drastisch gesunken, während der potentielle Ertrag in Form von steigender Reichweite von Fake News deutlich zugenommen hat. Künstliche Intelligenz, Algorithmen und sogenannte Bots, also Programme, die Fake News automatisch verbreiten, senken ebenfalls die Kosten der Produktion von Fake News.
Filterblasen und Echokammern
Menschliche Schwächen erhöhen die Wirksamkeit dieser Technologien: Software späht unser Informationsverhalten im Internet aus und liefert uns Inhalte, die diesem Suchverhalten entsprechen. Hat man beispielsweise ein paar kritische Artikel zur Corona-Politik gelesen, werden danach immer mehr kritische Artikel angeboten und es entsteht das, was Experten eine Filterblase nennen – unsere Informationsversorgung wird einseitig und unausgewogen. Wenn nun noch diese Informationen in sozialen Medien von anderen Teilnehmern verstärkt werden, entstehen Echokammern: Man befindet sich nur noch unter Gleichgesinnten. Fakten- und Meinungsselektion werden verzerrt, prädeterminiert und festgelegt. Die Echokammer wird zu anderen Meinungen abgegrenzt oder sogar abgeschottet, das Echo der eigenen Meinung immer wieder zurückgespiegelt und damit verstärkt.
Was können Faktenchecker?
Was hilft gegen Fake News? An erster Stelle wird oft auf Faktenchecker verwiesen, also Personen und Organisationen, die Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt testen. Seiten wie Factcheck.org oder PolitiFact.com überprüfen die Korrektheit der Aussagen von politischen Akteuren, auch spendenfinanzierte Organisationen wie Correctiv oder Mimikama beschäftigen sich mit Faktenchecks. Die Nachrichtenagenturen dpa und AFP haben eigene Faktencheck-Teams, ebenso die die öffentlich-rechtlichen Sender und sogar die Europäische Union. Neben dem Problem der Finanzierung solcher Organisationen bleibt die Frage, wer die Faktenchecker kontrolliert. Sollten diese eine eigene Agenda haben, können sie manipulativ tätig werden.
Darüber hinaus haben Faktenchecks weitere Probleme: Erstens ist der Aufwand, um Fake News und Falschmeldungen zu widerlegen, deutlich größer als der Aufwand, diese Fake News in die Welt zu setzen – in der Literatur ist diese Tatsache als „Brandolinis Gesetz“ bekannt, auch Bullshit-Asymmetrie-Gesetz genannt. Der Grund ist klar: Falsche Nachrichten sind rasch erfunden, aber es braucht Zeit und Mühe, die betreffenden Informationen zu suchen, die diese Falschinformationen widerlegen. Darüber hinaus muss man bezweifeln, dass Faktenchecker das Weltbild von Verschwörungstheoretikern, Aluhut-Trägern und Flachweltlern wirklich zurechtrücken können: Studien legen den Verdacht nahe, dass Beiträge, die Fake News widerlegen, bei Verschwörungstheoretikern eher dazu führen, dass sie sich noch mehr mit verschwörungstheoretischen Beiträgen beschäftigen. Aufklärung über falsche Fakten führt anscheinend eher dazu, dass man sich den falschen Fakten widmet – die Faktenchecker werden vermutlich als Teil der Verschwörung abgetan. Das würde bedeuten, dass Aufklärung Verschwörungsinhalten mehr Zulauf verschafft.
Rechtliche Maßnahmen gegen Fake News
Auch Strafen und Gesetze dürften nur wenig gegen Fake News ausrichten. Zum einen ist fraglich, ob man solche Gesetze überhaupt durchsetzen kann. Ihre Reichweite endet zumeist an der Staatsgrenze: Ein deutscher Staatsanwalt wird, selbst wenn es ihm gelingt, die ausländischen Urheber von Fake News zu identifizieren, diese kaum vor ein deutsches Gericht zerren können. Darüber hinaus wird es dem Gesetzgeber schwerfallen, Fake News eindeutig als solche zu identifizieren und zu benennen. Beleidigungen, falsche Tatsachen, Hetze kann man strafrechtlich gesetzlich verfolgen, aber darüber hinaus wird es schwierig: Propaganda, Demagogie, meinungsgetriebene Beiträge oder Vermutungen lassen sich kaum als gesetzeswidrige Tatbestände formulieren, ohne in die Meinungsfreiheit einzugreifen. Gesetzliche Regelungen gegen Fake News führen rasch zu einer heiklen Balance zwischen der Bekämpfung von Fake News und Zensur – der Kampf gegen Fake News wurde auch bereits von autokratischen Regimen dazu genutzt, die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Medienerziehung und Prävention
Die letzte Bastion im Kampf gegen Fake News bleibt der eigene Kopf: Wer nachdenkt, weiß, wie man Fake News entlarven kann und wie man Informationen auf Plausibilität überprüft. Hier setzt die Medienerziehung an und versucht das, was man im Fachjargon „Prebunking“ nennt: Man will Hörer, Leser, Zuschauer und Follower für die Wahrnehmung von Fake News sensibilisieren, sie gegen das Gift der Manipulation und Falschmeldung immunisieren. Das geschieht beispielsweise über Internet-Spiele wie „Harmony Bay“, „Cat Park“, „Lizards and Lies“ oder „Not for Broadcast“, in denen sich die Spieler als Verschwörungstheoretiker, Plattformmoderatoren, Medienerzieher, Chaosstifter oder Fernsehproduzenten versuchen können. Auf diese Weise lernen sie die Mechanismen und Tricks der Fake-News-Produktion kennen und können so, so die Hoffnung, Fake News besser erkennen. Das ist mit einer Impfung vergleichbar: Man setzt die Menschen einer kleinen Dosis des Fake-News-Virus aus in der Hoffnung, dass es sie resistenter macht. Erste Studien etwa von den niederländischen Psychologen Jon Roozenbeek und Sander van der Linden von der Universität Cambridge zeigen, dass so eine „Impfung“ gegen Fake News funktionieren kann: Wer solche Spiele spielt, schätzt Social-Media-Inhalte, die die entsprechenden Techniken nutzen, als deutlich weniger zuverlässig ein, ist beim Teilen von Inhalten vorsichtiger und blickt generell kritischer auf Nachrichten. Der Kampf gegen Fake News beginnt nicht in der nächsten Pizzeria, sondern im eigenen Kopf.
Hanno Beck/Aloys Prinz
Fake News: Macht der Lügen
2024. 156 Seiten mit 8 Abb. Kart.
€ 22,–
ISBN 978-3-17-043764-7