Wie umgehen mit der Klimakrise?

Tauende Permafrost­böden, ab­schmel­zende Eis­schilde und immer häu­fi­gere Extrem­wetter-Ereig­nisse – die Folgen der Klima­krise werden immer sicht­barer. Die Be­völke­rung ist be­unru­higt und die von der Politik prä­sen­tier­ten Lösun­gen über­zeugen kaum. Der Umgang mit der Krise pola­ri­siert die Gesell­schaft: Einige meinen, der Klima­krise soll­ten wir im Rah­men unse­rer libe­ralen Wirt­schafts­ord­nung des freien Mark­tes begeg­nen, mit allen ver­füg­baren Tech­nolo­gien und ohne Ab­stri­che am Lebens­stan­dard. Andere lasten die vor­lie­gen­den Pro­bleme der kapi­talis­ti­schen Wirt­schafts­ord­nung und ihren ener­gie­inten­siven Indus­trien an. Sie suchen die Lö­sung im Ideal des Men­schen als Be­schüt­zer der Natur, for­dern Kon­sum­ver­zicht und sind zur Not auch be­reit, klima­freund­liches Ver­hal­ten auf Kos­ten demo­krati­scher Frei­heiten zu erzwin­gen.

Emil Kowalskis Essay ver­tritt die Auf­fas­sung, dass neben unse­ren Ãœber­lebens­be­ding­ungen in der Klima­frage ein wei­te­res hohes Gut auf dem Spiel steht: die libe­rale Demo­kratie. Zu oft werde über­sehen, dass ein breit ver­teil­ter Wohl­stand deren Voraus­set­zung ist. Vor diesem Hinter­grund plä­diert Kowalski ein­drück­lich für einen tech­nolo­gie­offenen Umgang mit dem Klima­wandel. Denn mit unse­rem Wohl­stand schüt­zen wir zu­gleich unsere Freiheit.

Lesen Sie erste Ein­drücke in unse­rem Inter­view mit dem Autor.

Umschlagabbildung des Buches

Emil Kowalski
Pathologie des Wohlstands
Bewährungsprobe der liberalen Demokratie

2023. 179 Seiten. Kartoniert. Ca. € 19,–
ISBN 978-3-17-043444-8

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Herr Dr. Kowalski, wer den Klima­wandel ohne per­sön­liche Ver­hal­tens­ände­rungen – Stichwort Konsum­ver­zicht – eindämmen will, setzt sich schnell dem Vor­wurf aus, das Thema nicht rich­tig ernst zu nehmen. Wurden auch Sie schon mit diesem Vor­wurf kon­frontiert?

Eher umgekehrt – man hält mir vor, dass ich über­treibe! Ich mache darauf auf­merk­sam, dass wir in einem histo­risch ein­mali­gen demo­krati­schen Wohl­stand leben, auf den wir nicht ver­zich­ten wol­len und kön­nen, und den wir noch so­zial­ver­träg­li­cher werden gestal­ten müssen. Wir haben seit dem Be­ginn der indus­triel­len Revo­lu­tion über 200 Jahre ge­braucht, um diesen Wohl­stand aufzu­bauen. Die Klima­pro­ble­matik zwingt uns, diesen Wohl­stand bis 2050 auf eine CO2-freie Basis zu stellen. Im Klar­text bedeu­tet das, unsere Zivi­lisa­tion in einer klima­freund­lichen Ver­sion neu zu erfinden. Und das binnen 30 Jahren, binnen einer ein­zi­gen Gene­ra­tion! Man wirft mir eine Ãœber­trei­bung vor, denn diese Schluss­folge­rung hört man nicht gern. Auch nicht in „grünen“ Kreisen, welche die Ener­gie­knapp­heit auch mal mit der Emp­feh­lung ver­nied­lichen, statt Duschen den Wasch­lappen zu benützen …

Windkraftanlagen in Biedesheim
Windkraftanlagen in Biedesheim (Foto: Karsten Würth via unsplash.com).

Ihr Hauptargument gegen eine Ver­zichts­kultur zur Bewäl­ti­gung der Klima­krise ist der Zu­sam­men­hang zwi­schen Wohl­stand und li­bera­ler Demokratie. Könnten Sie die­sen Zu­sam­men­hang kurz skiz­zieren?

Die rund zehntausend­jährige Kultur­geschichte des Menschen zeigt, dass er fähig war, viele Hoch­kultu­ren aufzubauen. Nahezu alle beruh­ten je­doch auf der Unter­drück­ung des Volkes durch eine Obrig­keit, von den orien­tali­schen Des­po­tien bis zu den spät­mittel­alter­lichen Kaiser­reichen. Die Vertei­lung des erar­beite­ten Sozial­pro­dukts war äu­ßerst unge­recht, weil es wenig zu ver­teilen gab. Die Herr­schen­den nahmen sich den Löwen­anteil und lebten im (zeit­ge­mäßen) Wohl­stand, für das Volk blieb dann kaum das Lebens­not­wendige. Mangel gerecht zu ver­teilen, ist schwierig …

Zudem beruhte der Wohl­stand, den man in frü­he­ren Zeiten er­wirt­schaf­tete, wesent­lich auf der Arbeits­kraft von Sklaven. Die kei­men­den demo­krati­schen Bewe­gun­gen Ende des 18. Jahr­hun­derts in Nord­ame­rika und Eu­ropa haben das Glück gehabt, dass zu glei­cher Zeit die soge­nannte indus­trielle Revo­lu­tion begon­nen hat, welche die ma­schi­nelle Pro­duk­tion von Massen­gütern er­laubte, ohne Sklaven und Leib­eigene. Nach und nach gab es mehr zu ver­tei­len, und das Gebot der so­zia­len Ge­rech­tig­keit konnte dem­ent­spre­chend bes­ser be­folgt werden. Bevor die Ge­sell­schaft über Quellen der me­cha­ni­schen Kraft ver­fügte und man nur auf die Kraft des Men­schen und der Tiere an­ge­wie­sen war, blieb eine echte Demo­kratie für alle eine Utopie.

Die Kausalkette lautet: Technologie > Energie > Wohl­stand > Demo­kratie. Und wenn wir Wohl­stand und Demo­kra­tie nicht an ein diri­gisti­sches Regime ver­lie­ren wol­len, müs­sen wir am An­fang, bei der Techno­lo­gie anset­zen. Nicht bei Apellen zum Wohl­standsabbau.

Leibeigene bringen die Ernte ein; mittelalterliche Kalenderillustration
Leibeigene bringen die Ernte ein; mittel­alter­liche Kalender­illu­stra­tion (Queen Mary’s Psalter, Ms. Royal 2. B. VII, fol. 78v).

Dass es für unsere auf per­sön­liche Frei­heits­rechte ge­stützte Gesell­schaft pro­blema­tisch wäre, klima­freund­li­ches Ver­hal­ten zu er­zwin­gen, leuch­tet sofort ein. Aber haben Sie keine Hoff­nung, dass die Be­völ­ke­rung frei­willig um­denkt? Und setzt ein sol­cher Zwang „von oben“ in einer Demo­kratie nicht ohne­hin aus­rei­chen­den Rück­halt in der Wähler­schaft voraus?

Kurze Antwort: Nein. Aus ge­schicht­li­chen Grün­den – der Mensch be­weist durch seine Ge­schichte, was er ei­gent­lich will, und die Ge­schichte seit den Ur­zei­ten belegt das Stre­ben des Men­schen nach einem besseren Leben. Das bedeu­tet nicht, das der Mensch zu­guns­ten „höhe­rer“ Werte wie Natur­schutz nicht zur Ände­rung seiner Prio­ritä­ten be­reit wäre, aber stets ohne die Be­reit­schaft zur ech­ten Ein­buße am Wohl­stand. Auch die „in der Wolle ge­färb­ten“ grü­nen Akti­vis­ten wol­len gern ferne Länder bereisen …

Die Grünen in Deutsch­land haben zu­letzt immer häufi­ger stark ge­macht, dass sie „grüne“ Tech­nolo­gien auch als wich­tigen Wirt­schafts­fak­tor be­trach­ten. Ist der Gegen­satz zwi­schen tech­nolo­gie­feind­li­chen Natur­ro­man­ti­kern und prag­mati­schen Kapi­talis­mus­fans also über­haupt so stark, wie Sie ihn darstellen?

Genaugenommen besteht kein Gegen­satz zwi­schen den An­liegen der Grünen und der Markt­wirt­schaft, dem Kapi­talis­mus. In der Schweiz gibt es die Grün­libe­rale Partei GPL, welche die Auf­fas­sung ver­tritt, dass eine öko­logi­sche Re­form ohne freien Markt nicht möglich ist. Und da­durch zu­neh­mend Wahl­erfolge feiert.

Kapitalismuskritischer Klimaprotest
Kapitalismuskritischer Klima­protest (Foto: pennjohnson via flickr.com; CC BY-SA-ND 2.0).

Ihr Essay unter­sucht auch die Wur­zeln des ein­gangs skiz­zier­ten Gegen­satzes in den Kul­tu­ren, wie mit dem Klima­wandel umzu­gehen ist. Wo sehen Sie diese?

Das schweizerische Kernkraftwerk Gösgen an der Aare
Ein technologieoffener Umgang mit der Klima­frage wird auch die Kern­kraft nicht kate­go­risch aus­schlie­ßen können (Foto: Patrick Federi via unsplash.com).

Die „klassischen“ Grünen sind in den al­ten Kate­go­rien der „sanften“ Tech­nolo­gien befan­gen: dezentral, small is beauti­ful, no nukes etc. Das Bewusst­sein der Klima­ver­ant­wor­tung hat in­zwi­schen auch die tra­ditio­nell kon­ser­vati­ven Kreise erfasst, die mehr auf die Groß­techno­lo­gien setzen. Jetzt geht es pri­mär um die poli­tische Aus­ein­ander­set­zung, mit wel­chen Paro­len man die Wähler abholt. Letztlich wird aber die „nor­ma­tive Kraft des Fak­ti­schen“ die Ober­hand behal­ten, der ratio­nale Aus­gleich der Chancen und Pro­bleme der bei­den denk­baren extre­men Lö­sungs­strate­gien der Klima­krise im freien Markt.


Das Gespräch mit dem Autor Dr. Emil Kowalski führte Dr. Julius Alves aus dem Lektorat Geschichte/ Politik.

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