Weiblichkeit ist kein Naturgesetz – sie wird gedacht

Dr. Lisa Hoffmann analysiert in Female Mindsets, wie tief verankerte Denkstrukturen Frauen im Alltag prägen – vom Kreißsaal bis in die Chefetage

Dr. Lisa Hoffmann wirft in ihrem Buch Female Mindsets einen frischen, zugleich kritischen Blick auf die Denkstrukturen, die Weiblichkeit in unserer Gesellschaft prägen – oft unbewusst, oft tief verankert. Sie verbindet wissenschaftliche Analyse mit persönlichen Erfahrungen und stellt dabei unbequeme, aber notwendige Fragen: Warum fühlen sich viele Frauen nach der Geburt schuldig? Wieso erleben sie ihre Sexualität plötzlich anders? Und wie wirkt sich das Denken anderer – etwa von ÄrztInnen oder Forschenden – auf das Erleben von Frauen aus?

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Lisa Hoffmann
Female Mindsets
Wie Denkmuster Weiblichkeit formen - über Geburt, Sexualität und die Macht der Erwartungen 

2025. 216 Seiten, kartoniert
€ 22,–
ISBN 978-3-17-045584-9

Liebe Frau Dr. Hoffmann, was genau meinen Sie mit „Female Mindsets“ – und warum ist dieser Begriff für Sie so zentral?

Schwarz-weiß Bild der Autorin Annkristin Beier
© Autorinnenfoto: Annkristin Beier

Vielleicht vorweg: Female Mindsets ist kein psychologischer Fachbegriff, sondern ein Begriff, den ich verwende, beziehungsweise den ich von dem psychologischen Begriff Mindset abgewandelt habe. Mindsets beschreiben erst mal allgemein, dass Menschen die Welt nicht objektiv wahrnehmen, sondern dass unsere Wahrnehmung durch unsere Vorannahmen beeinflusst ist. Wie eine Art mentale Brille, die wir tragen und durch die wir die Welt sehen. Female Mindsets – so wie ich diesen Begriff nutze – beschreiben normative Annahmen über Weiblichkeit, also darüber, wie wir denken, dass Frauen sind oder sein sollen. Nämlich zum Beispiel fürsorglich, weich und empathisch. Es zeigt sich, dass in vielen Bereichen Mindsets einen Einfluss auf unser Verhalten haben können. Mit dem Begriff Female Mindsets möchte ich darauf aufmerksam machen, dass eben auch Mindsets über Weiblichkeit einen Einfluss darauf haben, wie wir uns verhalten und welche Lebenswege wir für uns wählen. Dabei sind die Annahmen über Weiblichkeit übrigens spiegelbildlich komplementär zu Annahmen über Männlichkeit. Female Mindsets sind also relevant für Frauen und Männer.

Was können Frauen und Männer bzw. die Gesellschaft tun, um verinnerlichte Denkmuster über Weiblichkeit zu erkennen und kritisch zu hinterfragen?

Ein erster Schritt ist es auf diese Annahmen aufmerksam zu machen, also ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass psychologische Eigenschaften zwar von Mensch zu Mensch variieren, aber eben nicht davon abhängig sind, ob ich eine Vulva oder einen Penis habe. Das heißt, Menschen unterscheiden sich darin, ob sie eher empathisch, ruhig oder wild sind. Aber diese Unterschiedlichkeit hat eben eher was mit der Person zu tun und nicht mit ihren Geschlechtsmerkmalen. Gesellschaftlich besteht aber sehr häufig eben genau diese Annahme: Frauen sind anders als Männer, weil Frauen Frauen sind und Männer Männer. Damit nehme ich aber einzelnen Personen letztlich die Freiheit sich individuell nach ihren Bedürfnissen zu entfalten. Es benötigt also ein gesellschaftliches Umdenken und dafür Wissen und Forschung. 

In welchen Lebensbereichen zeigen sich Female Mindsets besonders deutlich? 

Ich würde behaupten, dass sich Female Mindsets letztlich in allen Bereichen zeigen. Denn fundamentale Annahmen darüber, wie wir sind, sind ausschlaggebend dafür, wie wir uns entscheiden und verhalten. In meinem Buch zeige ich auf, dass sie zum Beispiel eine Rolle im Gesundheitsbereich spielen, aber auch in der Wissenschaft. Dass sie einen Effekt auf die elterliche Rollenverteilung haben, also wie wir uns als Mütter und Väter verhalten und wie wir unsere Verantwortung in diesen Bereichen wahrnehmen. Female Mindsets sind aber auch relevant, wenn es um Sex geht und tragen dazu bei, dass Frauen seltener einen Orgasmus haben als Männer, weil etwa Annahmen darüber vorherrschen, dass Frauen weniger Interesse an Sex allgemein haben und Orgasmen für sie nicht so wichtig sind. 

Sie konnten in Ihrer Forschung zeigen, dass Mindsets auch für die Geburt bedeutsam sind. Können Sie dies genauer erläutern?

Ja. Für Gebärende und deren Partnerpersonen konnten wir in Studien konkret zeigen, dass das Mindset, das Schwangere über die Geburt haben, teilweise vorhersagen kann, wie die Geburt verläuft. Besteht die Annahme, dass Geburt ein eher medizinischer Vorgang ist, der medizinischer Unterstützung bedarf, werden während der Geburt tendenziell mehr medizinische Interventionen benötigt – und zwar nicht, weil Gebärende mehr Interventionen möchten, sondern weil es vermutlich zu einer Art Selbsterfüllenden Prophezeiung kommt. Habe ich die Erwartung, dass ich die Geburt nicht selbst bewältigen kann und sie gefährlich ist, erhöht dass die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen unter Geburt. Wichtig ist mir dabei explizit zu sagen, dass wie bei allen Mindsets auch das geburtsbezogene Mindset nichts ist, was ich mir frei aussuche, sondern ein Teil von mir ist, den ich nicht einfach mal so ablegen kann. Ich halte diesen Aspekt für so zentral, weil Female Mindsets oft (auch) dazu beitragen, dass sich insbesondere Frauen schuldig fühlen und denken, sie würden etwas falsch machen, wenn Dinge nicht so verlaufen, wie es in der Gesellschaft erwartet wird.

Was wünschen Sie sich, dass LeserInnen nach der Lektüre von Female Mindsets anders sehen oder anders tun?

Ich würde mich freuen, wenn ich es schaffe, mit Female Mindsets dazu beizutragen, den Blick der Lesenden ein bisschen zu erweitern und zwar dahingehend, dass es wichtig ist, dass sich gesellschaftliche Normen verändern. Vielleicht schaffe ich es, dass Individuen, vor allem eben Frauen, ein bisschen gütiger mit sich selbst werden können, weil sie verstehen, dass menschliches Verhalten immer auch im Kontext der Gesellschaft zu verstehen ist. Wir leben in der Annahme, dass Verhalten stets individuell verschuldet ist, dass jede und jeder selbst für das eigene Glück verantwortlich ist. Menschen sind aber nicht frei von sozialen Normen und ich mache nichts falsch, wenn ich es (noch) nicht schaffe, mich von diesen zu lösen. Eine Veränderung kostet Zeit und muss letztlich gesellschaftlich getrieben werden. 

Da ich in dem Buch auch konkret wissenschaftliche Strukturen und die Rolle der Psychologie für die Aufrechterhaltung dieser Mindsets kritisiere, wünsche ich mir darüber hinaus, dass das Buch vielleicht auch eine Debatte in der wissenschaftlichen Psychologie anregen kann. Denn ich glaube, dies wäre zwingend notwendig.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Hoffmann!

Dr. Lisa Hoffmann ist Dipl.-Psychologin und Wissenschaftlerin. Von 2012–2024 forschte und lehrte sie am psychologischen Institut der Universität Bonn in der Abteilung Sozial- und Rechtspsychologie. Seit August 2024 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lernbereichsleitung (Gesundheits-, Sozialwissenschaften und Psychologie) am Institut für Hebammenwissenschaft der Universität Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen v.a. im Bereich Geburt, Übergang zur Elternschaft, Mindsets, Emotionen, Genderstereotype und Sexualität. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit setzt sie sich in den sozialen Medien, v.a. Instagram (unter dem Handle @einanfang), für Wissenschaftskommunikation ein.