Tourismus am Wendepunkt – Zwischen Klimakrise und Zukunftsfähigkeit

Während die Welt im Bann wirtschaftlicher und politischer Krisen steht, boomt der Tourismus weiterhin. Auch deshalb gibt es kaum einen Dienstleistungszweig, der so polarisiert. Da immer mehr Menschen Urlaub in immer mehr Ländern machen, entstehen verstärkt Probleme – etwa bezüglich der Mobilität oder in den Destinationen. Nicht nur hinsichtlich der Umsetzung der Klimaziele ist hier ein gesellschaftliches Umdenken erforderlich.

Die Beiträge des von Prof. Harald Pechlaner und Dr. Madlen Schwing herausgegebenen Bandes bieten eine facettenreiche interdisziplinäre Auseinandersetzung mit den aktuellen Fragen rund um die Zukunft des Tourismus. Das Erscheinen des Bandes sowie dessen Nominierung für den „International Travel BookAward 2025“ in der Kategorie „Touristisches Fach-/Sachbuch“ nehmen wir zum Anlass, mit den Herausgebern zu sprechen:

Buchcover von

Harald Pechlaner/Madlen Schwing
Ist der Tourismus noch zukunftsfähig?
Evolution oder Revolution

372 Seiten, kartoniert, 232mm x 154mm x 15mm
€ 29,–
ISBN 978-3-17-042320-6

Inwiefern beeinflusst der Klimawandel den Tourismus und welche Maßnahmen sollten Dienstleister ergreifen, um nachhaltiger zu werden? 

Ein Mann in dunkelblauem Anzug und grauen Haaren sowie Bart. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt. Im Hintergrund ist ein Flur mit Glaswand und einer Treppe am Ende.
Harald Pechlaner ©Tiberio Sorvillo

Der Klimawandel verändert den Tourismus radikal, da die Branche in hohem Maße von natürlichen Ressourcen abhängt. Natürliche Ressourcen sind nicht nur zentrale Attraktionsfaktoren für Reiseziele, sondern wirken sich entscheidend auf die Qualität touristischer Produktangebote sowie deren Kosten aus. Doch steigende Temperaturen, Extremwetterereignisse und der Anstieg des Meeresspiegels bedrohen viele Destinationen: Skigebiete leiden unter Schneemangel, Küstenregionen kämpfen mit Erosion, und tropische Reiseziele sind häufiger von Stürmen betroffen. Gleichzeitig beschleunigt der Klimawandel den Verlust der Biodiversität – eine zentrale Grundlage vieler touristischer Attraktionen. Das Artensterben, etwa durch das Absterben von Korallenriffen, der Verlust von Lebensräumen infolge des Abschmelzens der Polkappen sowie die Störung ökologischer Nahrungsketten verringern die Attraktivität einiger Destinationen und machen sie auf lange Sicht unbereisbar.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen touristische Dienstleister sich als Teil eines größeren Systems verstehen und aktiv an ganzheitlichen Lösungen arbeiten. Das System Tourismus mit seinen verschiedenen Branchen, Sektoren und Akteuren sollte zu einem „Agent of Change“ werden und die nachhaltige Transformation aktiv vorantreiben. Reisen wird ein zentrales Schaufenster gesellschaftlicher Lifestyles bleiben oder sogar noch mehr werden, womit die Vorbildwirkung des Tourismus ins Spiel kommt. Ethisches Handeln wird auch aus Kundensicht zunehmend zu einem Maßstab, abgesehen davon, dass die weltweite Nachhaltigkeitsagenda zu einer neuen Phase der Standardisierung rund um die Themen der Nachhaltigkeit nicht nur im Tourismus führen wird. Es geht also darum, den Klimawandel als Chance zu erkennen, gesellschaftliche Verantwortung für das gesamte Tourismussystem zu definieren – fürwahr eine Herkulesaufgabe, aber notwendig, weil ansonsten viele Facetten klassischen Reisens kaum mehr umsetzbar sind. Destinationen und touristische Dienstleister sollten ihr Klimarisiko sowie mögliche Chancen analysieren und ihre Geschäftsmodelle hinsichtlich ihrer Zukunftsfähigkeit anpassen. Die Polykrisen tun ein Übriges, um Anpassung zu erschweren, disruptive Entwicklungen werden häufiger und erfordern eine Art „Hyper-Adaptation“ an die Rahmenbedingungen von Politik- und Wirtschaftssystemen sowie gesellschaftlichen Veränderungen. Während einige Destinationen durch veränderte Bedingungen wettbewerbsfähiger werden, müssen andere gezielt die Transformation suchen und einleiten, gewissermaßen gestalten, jedoch mit dem Risiko, emergente Prozesse auszulösen, die sich schwer beherrschen oder gar steuern lassen. Eine langfristige Vision ist bei allen Turbulenzen trotzdem essenziell. Der Tourismus kann eine Schlüsselrolle im Wandel spielen, indem er Gäste für Nachhaltigkeit sensibilisiert und klimafreundliche Verhaltensweisen fördert. Wenn touristische Unternehmen Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil ihres Handelns begreifen und sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellen und vor allem sich bewusst werden, dass die touristischen Unternehmen am Ende Teil eines größeren Ganzen im System Tourismus sind, können sie als „Agent of Change“ nicht nur langfristig wirtschaftlich erfolgreich bleiben, sondern auch die Lebensgrundlage vieler Regionen sichern, die auf den Tourismus angewiesen sind oder diesen als sinnvolle Perspektive einer Entwicklung empfinden.

Wie können Destinationen vor den Auswirkungen von „Overtourism“ geschützt werden?

Eine Frau mit braunen Haaren und einem freundlichen Lächeln. Sie trägt einen dunkelblauen Anzug und im Hintergrund ist ein großer Tisch mit weißen Stühlen daran.
Madlen Schwing ©Katrin Wycik

Gar nicht, könnte man provokant sagen. Die Destinationen sollten mutiger das Phänomen beobachten und frühzeitig jene Entwicklungen antizipieren, welche die sozialen Konflikte um Overtourism erst gar nicht entstehen lassen. Overtourism beschreibt nicht nur das diffuse Unzufriedenheitsgefühl in der Bevölkerung hinsichtlich eines überbordenden Massentourismus, sondern zunehmend auch in Bezug auf die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Strategien, die aufgrund der Vulnerabilität des Tourismussystems auf diesen Sektor projiziert werden. Der Tourismus als System ist daher in der Pflicht, eine führende Rolle in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation einzunehmen. Bislang hat das Tourismussystem noch keinen klaren Ansatz gefunden, um auf die sich schnell verändernden Rahmenbedingungen angemessen zu reagieren. Eine gründliche Analyse der Veränderungen ist jedoch erforderlich, um die Zukunftsfähigkeit des Tourismus in den Destinationen mit den gesellschaftlichen Entwicklungen in Einklang zu bringen und gleichzeitig die Bedürfnisse der ansässigen Bevölkerung in den Blick zu nehmen. Overtourism sollte als Chance für die erforderlichen Veränderungen betrachtet werden. Eine grundlegende Neuausrichtung der Tourismuspolitik ist erforderlich, die auf regenerative Aspekte setzt und welche die traditionellen Geschäftsmodelle hin zu „twin business models“ entwickelt, also zu Geschäftsmodellen, in welchen durch die digitale Transformation auch neue Nachhaltigkeitsmaßstäbe gesetzt werden können. Tourismuspolitik bedeutet zukünftig eher Sozialpolitik denn Wirtschaftspolitik, weil es zumindest in etablierten Tourismusregionen längst nicht mehr darum geht, eine reine Wirtschaftslogik der Nachfrage von Märkten entgegenzusetzen, sondern weil es darum geht, attraktive Formen des Reisens zu entwickeln, die Lifestyles darstellen können, und vor allem auch von der Bevölkerung der bereisten Regionen akzeptiert wird. In Regionen, in welchen die Bevölkerung zuerst gegen Tourismus protestiert und im weiteren Verlauf keine Verbesserung der Verhältnisse erfährt, wird es dann auch immer weniger Tourismus geben, denn durch das Sinken der Akzeptanz touristischer Aktivitäten bei der Bevölkerung sinkt die Qualität der Dienstleistungen und weiters die Qualität der Begegnungen – dies ist dann das Ende eines nachhaltigen Tourismus in den betroffenen Regionen.

Welche Reisearten oder Destinationen könnten in der Zukunft stark an Relevanz verlieren oder gewinnen?

Die Relevanz bestimmter Reisearten und Destinationen wird sich in Zukunft möglicherweise stark verändern, abhängig von Faktoren wie Digitalisierung, nachhaltiger Entwicklung, geopolitischen Krisen und den sich wandelnden Bedürfnissen der Reisenden. Besonders Destinationen, die nachhaltig entwickelt werden und ein authentisches, individuelles Erlebnis bieten, gewinnen voraussichtlich an Bedeutung. Überlaufene und stark regulierte Reiseziele hingegen, die vom Massentourismus geprägt sind, laufen Gefahr, durch überlastete Infrastrukturen und eine wachsende Sensibilisierung für Umwelt- und Sozialverträglichkeit an Attraktivität zu verlieren – da kann auch ein ausgeklügeltes Besucherlenkungssystem nicht wirklich viel ändern, sofern man nicht schon früh mit der Umsetzung desselben begonnen hat.
Der klassische Massentourismus, traditionell von großen Reiseveranstaltern organisiert, verliert an Bedeutung, da Reisende ihre Reisen zunehmend selbst über digitale Plattformen zusammenstellen. Dadurch besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Nachfrage nach Pauschalreisen, so wie wir sie heute kennen, sinkt, insbesondere in Destinationen, die den Sprung in die Transformation nicht wagen oder schaffen. Vor allem braucht es Perspektiven in Form von Zukunftsfähigkeit, also jener Kompetenz, die es ermöglicht, dass die Verantwortlichen einer Destination nicht nur Entwicklungsarbeit leisten und zu kommunizieren imstande sind, sondern jene Entwicklungsarbeit leisten, die mit attraktiven und glaubwürdigen Zukunftsbildern einhergeht. 
Im Gegensatz dazu könnten weniger frequentierte Reiseziele immer stärker in den Fokus rücken. Diese Alternativziele bieten oft authentischere Erlebnisse und weniger überfüllte Sehenswürdigkeiten, was sie insbesondere für Reisende interessant macht, die nach nachhaltigeren oder individuelleren Erfahrungen suchen. Zudem entwickelt sich der Trend zu mehr Selbstbestimmung beim Reisen weiter – etwa durch Individualreisen oder maßgeschneiderte Erlebnisse („Travel Design“) –, sodass Ziele abseits der klassischen Touristenpfade an Beliebtheit gewinnen. Und trotzdem stellt sich die Frage, ob bei zunehmendem Interesse nach Reisen weltweit ein individuelles Reisen im heute bekannten Sinne für alle noch möglich sein wird. Individualität und digital gesteuerte „Travel Governance“ könnten symbiotisch einhergehen und eine neue Individualität des Reisens ermöglichen. Und vielleicht ist die Pauschalreise der Zukunft, die allein der rechtlich festgelegten Sicherheiten wegen eine bestimmte Attraktivität haben wird, eine Reise, die durch die „twin transformation“ einen erweiterten Rahmen haben wird, welcher mehr Individualität zulässt und zugleich aber auch Lenkungsmaßnahmen im bereisten Raum und entlang der Erlebniskette notwendig macht. Diese Hybridität von persönlicher Freiheit im Sinne von gefühlter Individualität oder gar Singularität einerseits und akzeptierter Rücksichtnahme auf gesellschaftliche Prioritäten andererseits wird das Reisen demnach verändern, man ist zugleich ein Individual- und „organisierter“ Gast. Ein weiteres Wachstumspotenzial zeigt sich in aufstrebenden Märkten mit einer überwiegend jungen Bevölkerung, etwa in Ägypten, Marokko und Saudi-Arabien. Dort stärkt der Tourismus nicht nur die Wirtschaft, sondern schafft auch neue Perspektiven für die lokale Bevölkerung. Schließlich gewinnt auch der Inlandstourismus an Relevanz, insbesondere in großen Märkten wie China. Wenn inländische Touristen verstärkt in ihrem eigenen Land reisen und weniger ins Ausland, profitieren weniger bekannte, aber kulturell und landschaftlich reizvolle Regionen.

Wie können Touristikunternehmen in Bezug auf wirtschaftliche und politische Krisen resilienter werden?

Touristikunternehmen können resilienter gegenüber wirtschaftlichen und politischen Krisen werden, indem sie ein umfassenderes Verständnis für Systemzusammenhänge entwickeln und sich stärker vernetzen. Anstatt isoliert zu agieren, sollten sie kooperative Strukturen fördern, um ihre Krisenfestigkeit zu erhöhen. Eine Abkehr vom alleinigen Fokus auf quantitative Wachstumskennzahlen wie Ankünfte und Nächtigungen hin zu einem verstärkten Einsatz von Messinstrumenten für Klima- und Nachhaltigkeitsaspekte ist entscheidend. Sie müssen zudem die gesellschaftlichen Warnsignale, wie den Diskurs um Overtourism, ernst nehmen und eine glaubwürdige Nachhaltigkeitsagenda verfolgen. Ein zentraler Faktor für Resilienz ist die Transformation hin zu nachhaltigen Geschäftsmodellen, die ökonomische, ökologische und soziale Aspekte in Einklang bringen. Die gegenwärtigen Krisen erfordern nicht nur defensive Maßnahmen zum Erhalt bestehender Strukturen, sondern auch eine offensive Anpassungsstrategie, die neue Wege des Wirtschaftens und Reisens entwickelt. Technologische Innovationen und soziale Veränderungen müssen proaktiv in Unternehmensstrategien integriert werden, um Zukunftsfähigkeit zu sichern. Zudem sollten Touristikunternehmen verstärkt auf soziale Innovationen setzen, um nachhaltige Lebens- und Reisestile zu etablieren. Die Verknüpfung von wirtschaftlicher Innovation mit gesellschaftlichem Engagement kann die Akzeptanz für nachhaltigen Tourismus stärken und gleichzeitig die lokale Resilienz fördern. Ein transformatives Destinationsmanagement, das Experimentierräume für nachhaltige Tourismuskonzepte schafft, kann als Modell für zukünftige Entwicklungen dienen.
Langfristig wird die Zukunftsfähigkeit des Tourismus davon abhängen, ob er sich von einem reinen Wirtschaftssektor zu einem Akteur gesellschaftlicher Transformation entwickelt. Tourismusunternehmen müssen sich aktiv an der Gestaltung von Veränderungen beteiligen, indem sie nicht nur Krisen bewältigen, sondern durch innovative Konzepte auch langfristige Lösungen für ökologische und soziale Herausforderungen bieten. Ein resilientes Tourismusmodell zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nur kurzfristige wirtschaftliche Stabilität anstrebt, sondern auch die planetaren Grenzen respektiert und insgesamt neue Formen nachhaltigen Reisens ermöglicht.

Prof. Dr. Harald Pechlaner ist Inhaber des Lehrstuhls Tourismus und Leiter des Zentrums für Entrepreneurship an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Dr. Madlen Schwing war dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.