Auszeichnung für exzellente Forschung zur Emotionsregulation bei Jugendlichen mit Depression

Wir gratulieren Frau Dr. Carolin Zsigo herzlich zum Gewinn des Dissertationspreises der Interessensgruppe Klinische Kinder- und Jugendlichenpsychologie und -psychotherapie! Ihre an der LMU München verfasste Dissertation mit dem Titel „Emotionsregulation bei depressiven Störungen im Jugendlichen- und jungen Erwachsenenalter“ überzeugte durch herausragende wissenschaftliche Qualität, methodische Vielfalt und eine besonders hohe klinische und praktische Relevanz.

Frau Dr. Zsigo arbeitet derzeit als Postdoktorandin an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der LMU München.

Im folgenden Kurzinterview gibt sie Einblicke in ihre Forschung und erklärt, warum das Thema Emotionsregulation für die therapeutische Arbeit mit jungen Menschen so zentral ist.

Messestand des Kohlhammer Verlags mit Fachbüchern zur Psychotherapie; zwei Personen stehen lächelnd hinter dem Büchertisch.
Kohlhammer-Stand beim Deutschen Psychotherapiekongress in Berlin mit Kathrin Kastl (links) und Preisträgerin Carolin Zsigo (rechts).
© Annika Grupp (Kohlhammer)

Frau Dr. Zsigo, herzlichen Glückwunsch zum Forschungspreis! Was hat Sie motiviert, sich mit Emotionsregulation bei Jugendlichen mit Depression zu beschäftigen?

Zunächst lag mir das Thema Depression, vor allem im Jugendalter, schon lange am Herzen. Sie ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen in dieser Altersspanne, die mit weitreichenden Folgen einhergehen kann. Unbehandelt finden wir oft spätere Probleme, in die Arbeitswelt einzusteigen, soziale Schwierigkeiten und eine Chronifizierung der Erkrankung. Es braucht also effektive und leicht verfügbare Behandlungsansätze, um dies möglichst zu vermeiden.

Die Emotionsregulation ist meiner Meinung nach eine Kernkomponente, an der man in der Depressionsbehandlung ansetzen kann. Immerhin zeigte sich in vielen Vorbefunden, dass gerade von einer Depression betroffene Jugendliche Probleme darin haben, ihre eigenen Emotionen wahrzunehmen und zu regulieren – gerade, wenn es um adaptive, d. h. effektive und langfristig wirksame, Emotionsregulation geht. Hier lag meine Motivation also darin, einen Aspekt der Erkrankung zu finden, der im Alltag große Schwierigkeiten bereitet, der jedoch auch in der Behandlung modifiziert werden kann.

In Ihrer Dissertation sprechen Sie von einer verzerrten Selbstwahrnehmung der Emotionsregulation. Was bedeutet das genau?

In den Studien, die in meine Dissertation einfließen, haben wir die Emotionsregulation auf verschiedenen Ebenen untersucht. Zum einen haben wir in Selbstbeurteilungsfragebögen die Betroffenen selbst einschätzen lassen, wie gut sie ihre Emotionen im Alltag regulieren können. Dann haben wir jedoch auch eine Aufgabe im Labor mit ihnen durchgeführt, bei der sie aktiv Emotionsregulation anwenden sollten und danach ihre emotionale Reaktion einschätzen sollten. Und genau hier haben wir unterschiedliche Ergebnisse gefunden: In der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten im Alltag finden wir oft große Defizite im Vergleich zu nicht erkrankten Jugendlichen. In der Aufgabe im Labor dagegen finden wir kaum Unterschiede – Jugendliche mit Depression können also genauso gut wie nicht erkrankte Jugendliche ihre eigenen negativen Emotionen abschwächen, wenn man sie zuvor instruiert.

Das ist mit „verzerrter Selbstwahrnehmung“ gemeint: Sie schätzen ihre eigenen Fähigkeiten als deutlich schlechter ein, können sie jedoch tatsächlich mit Erfolg anwenden. Das kann verschiedene Gründe haben – einer davon könnte z. B. die Überzeugung sein, dass Emotionen gar nicht reguliert werden können, sodass es im Alltag gar nicht erst versucht wird.

Sie haben ein spezielles Training zur Emotionsregulation untersucht – wie sieht das aus und was konnte damit erreicht werden?

Unsere Absicht war es, ein computerisiertes Training zu entwickeln, d. h. ein Training, das zusätzlich zu einer regulären Behandlung (z. B. mit Psychotherapie) eingesetzt werden kann, um spezifisch die Emotionsregulation zu trainieren. In unserem Fall sieht das so aus, dass die Jugendlichen Bilder mit negativem Inhalt präsentiert bekommen (z. B. ein Bild einer weinenden Person) und dann die Aufgabe erhalten, sich eine alternative, positivere Interpretation des Bildes zu überlegen. So könnte die weinende Person beispielsweise aus Freude weinen oder gleich von einem Freund oder einer Freundin getröstet werden. Durch die Wiederholung dieser alternativen Interpretationen sollen die Jugendlichen eine adaptive Art und Weise lernen, mit negativen Emotionen umzugehen. In unserer ersten Evaluation dieses Trainings konnten wir nach vier Sitzungen feststellen, dass die Jugendlichen im Alltag tendenziell weniger dazu neigten, über Situationen oder eigene Gefühle zu grübeln, d. h. sie konnten ihre Gedanken schneller von unangenehmen Ereignissen weglenken. Dies ist für uns ein großer erster Schritt, der zeigt, dass unser Training in der Lage sein könnte, die Denkmuster der Jugendlichen ein wenig aufzubrechen und zu beginnen, diese zu verändern.

Welche überraschenden Erkenntnisse haben sich im Laufe Ihrer Forschung ergeben?

Zunächst bleibt es natürlich überraschend, dass wir keine Defizite in der Anwendung der Emotionsregulation, wie oben erklärt, gefunden haben. Eigentlich würde man ja davon ausgehen, dass es nicht nur ein Fall der Selbstwahrnehmung ist, sondern auch eine tatsächliche Schwierigkeit in der Durchführung. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt, dass es oft gar nicht darum geht, Defizite zu korrigieren, sondern manchmal auch genauer hinzusehen, welche Überzeugungen und Ideen die Jugendlichen denn über ihre eigenen Fertigkeiten haben.
Außerdem haben wir einige überraschende Ergebnisse in den neurophysiologischen Parametern gefunden, die wir untersucht haben. Zusätzlich zu den Selbsteinschätzungen der Jugendlichen haben wir auch noch die Gehirnaktivität mittels EEG erfasst. Hierbei haben wir zum Teil Ergebnisse gefunden, die früheren Studien widersprechen: Wo sich eigentlich ein Maß der emotionalen Aktivierung nach erfolgreicher Emotionsregulation verringern sollte, fanden wir eine Erhöhung dieses Maßes. Wir fanden jedoch heraus, dass dieses Maß auch für eine erhöhte Anstrengung stehen kann, d. h. in unserem Fall kann es einfach darauf hingedeutet haben, dass unser Training für die Jugendlichen anspruchsvoll war. Diese Anstrengung ging jedoch im Laufe des Trainings zurück.

Inwiefern könnten Ihre Ergebnisse die therapeutische Arbeit mit Jugendlichen verändern?

Die oben beschriebene verzerrte Selbstwahrnehmung birgt einen interessanten Ansatz für den therapeutischen Umgang mit Emotionsregulation. Statt also zu versuchen, direkt die Fähigkeiten der Jugendlichen zu trainieren, könnte ein zukünftiger Ansatz zum Beispiel sein, zunächst einmal die Überzeugungen und Einstellungen über die eigenen Fähigkeiten anzusehen und zu besprechen. Eine bessere Wahrnehmung der eigenen Emotionen und Emotionsregulationsfähigkeiten könnte betroffenen Jugendlichen einen besseren Zugang zu den Talenten verschaffen, die bereits in ihnen schlummern.

Auch finden wir die ersten Erfolge eines computerisierten Trainings beachtlich. Sollten zukünftige Studien bestätigen, dass dies zusätzlich zur Regelbehandlung Effekte bewirkt, könnten Jugendliche in Zukunft beispielsweise zwischen Therapiesitzungen in eigener Regie trainieren und somit zusätzliche Verbesserungen bewirken.

Und zum Schluss: Was möchten Sie in Ihrer zukünftigen Forschung weiterverfolgen?

Zunächst, denke ich, braucht es weitere, größer angelegte Studien, um die ersten Erfolge des untersuchten Emotionsregulationstrainings zu bestärken. Ich denke, es gibt noch viele Stellschrauben, an denen wir unser Training verbessern können, z. B. durch eine Variation der Anzahl der Sitzungen oder auch durch ein alltagsnäheres Setting wie beispielsweise eine App anstatt einer Aufgabe bei uns im Labor.

Ebenso würde mich sehr interessieren, welche Überzeugungen denn genau bei den Jugendlichen über ihre eigenen Fähigkeiten vorhanden sind. Glauben sie, wie oben erwähnt, dass Emotionen generell nicht kontrollierbar sind und man es deshalb gar nicht erst versuchen sollte, sie zu regulieren? Oder glauben sie, dass manche Strategien hilfreich sind, von denen wir wissen, dass sie eher schaden – wie z. B. Grübeln? Das würde ich gerne in zukünftigen Studien herausfinden, um im therapeutischen Arbeiten noch einmal mehr den Fokus auf das zu lenken, was die Jugendlichen tatsächlich beschäftigt.

Vielen Dank, Frau Dr. Zsigo, für diesen spannenden Einblick in Ihre Forschung!

Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer wissenschaftlichen Arbeit und freuen uns auf weitere Impulse für die Kinder- und Jugendpsychotherapie.