Was hat Sie dazu bewegt, die Geschichte der DemenzÂerkrankung Ihrer Frau K. aufzuÂschreiben? Wie kam Ihre EntscheiÂdung zustande, diese zu veröffentlichen?
Angehörige von Menschen mit Demenz sind oft mit verstöÂrenden Erfahrungen konfrontiert, mit rätselÂhaften VerhaltensÂweisen, die sie nicht entschlüsseln können. Wie sollen sie darauf richtig und einfühlsam reagieren? Das ist eine Frage, die sie ständig begleitet, aber meist ratlos zurücklässt.
Als solche Situationen sich zwischen meiner Frau, die im Buch K. heißt, und mir verdichÂteten, habe ich begonnen, über K.s Demenz und unser Leben damit zu schreiben. Dann wäre ich nicht nur, so hoffte ich, der manchmal verzweiÂfelte Helfer, sondern hätte eine Position außerÂhalb, von der aus ich beobachten und nachÂdenken könnte. Es waren Tagebuch-Einträge, in denen ich festhielt, was mir auffiel, mich bedrückte und wie ich mir die befremdÂlichen Situationen vielleicht erklären könnte, damit ein gemeinÂsames Alltagsleben besser gelänge.
Das Schreiben war also zunächst eine verzweifelte Selbsthilfe. Sie glückte tatsächlich und uns gelang eine RückÂkehr in einen gemeinsamen, doch veränderten Alltag. Als ich die Texte einige Zeit nach K.s unerwartetem Tod wieder las, fragte ich mich, ob meine Texte auch anderen helfen könnten. Unbedingt, fanden Freunde, die sie auch lasen, und sie redeten mir zu, sie zu veröffentÂlichen. Das half mir, meine Hemmungen vor der Preisgabe dieser sehr persönÂlichen Texte zu überwinden.
Welchen Anteil in Ihrem Buch nimmt Ihre gemeinsame Beziehung als langjährige Ehepartner ein? Ab welchem Punkt hat die fortÂschreitende Erkrankung diese irreversibel verändert?
Zuerst zum zweiten Teil der Frage: Als ich zu schreiben begann, fühlte ich mich in einer unumkehrÂbaren Situation: Ohne Ausweg in einer unaufhaltÂsamen Entwicklung ins immer Schlimmere, auf einer schiefen Ebene, die nirgendwo Halt bot. Ãœberall Sackgassen der KommuniÂkation, eine VerstänÂdigung, gerade auch über AlltagsÂdinge, schien überhaupt nicht mehr zu gelingen. Warum ich mich gerade in diesem Punkt geirrt habe – und worin genauer ich mich geirrt habe – ist ein zentrales Thema der Einträge und des Buches.
Kann es nur in einer langjährigen Beziehung gelingen, doch wieder einen geteilten Alltag zu leben? Diese Vermutung haben nicht wenige der Leserinnen und Leser geäußert. Ich glaube das aber nicht. Viel eher als die Dauer der Beziehung ist die erfahrene VerlässlichÂkeit einer gelebten WechselÂseitigkeit ausschlagÂgebend. Und diese Erfahrung braucht keine fünfzig Jahre, um sich herzustellen.
Haben Sie für sich einen Weg gefunden, die Auswirkungen der Demenz auf Ihre gemeinsame PartnerÂschaft und Familie abzuschwächen oder sogar positiv zu beeinflussen?
Alle meine Tagebuch-Einträge beschäftigen sich mit der Suche nach einem solchen Weg. Ich wollte MöglichÂkeiten finden, wie wir trotz K.s Demenz in ein ‚AlltagsÂgleichgewicht‘ gelangen könnten, in dem sich beide wohlfühlten. Und meine Frau trug dazu bei. Wie sehr, habe ich erst nach und nach durchschaut. Viele ihrer permanenten, oft nervenden Fragen zielten darauf ab, sich ihrer LebensÂumstände und AlltagsÂumgebung zu vergewissern. Solche VergewisserungsÂfragen galten vor allem der Zeit, der Zeit ihres und unseres Lebens, lange auch dem Datum, also Jahr, Monat, Tag. So in der Zeit verankert, konnte sie dann durch den Tag gehen. Seitdem ich das verstanden hatte, achtete ich sehr darauf, dass unser Tag einen für sie erkennbaren Rhythmus hatte, einen zwar gleichÂförmigen, doch auch erkennbar akzentuierten Ablauf. Ich nannte das bei mir das „Geländer durch den Tag“. Es brach zum Schluss immer häufiger zusammen, weil K. ihren Zeitsinn verlor. Doch lange sorgte es für eine Balance des Alltags, die auch mir zeitÂliche Nischen brachte, in denen ich in meine Interessen und Arbeiten wie in eine andere Welt eintauchen konnte. GelegentÂlich habe ich das etwas selbstÂironisch „Idylle mit Demenz“ genannt.
Unsere Kinder und deren Partner wollten mir diese „Idylle“ nicht recht glauben. Wenn sie mit K. zusammenÂtrafen, war es für sie schockierend, dass sie sich mit ihrer Mutter immer weniger auf ‚normalem‘ Weg verständigen konnten. Sie waren zwar von Pflege und Sorge für K. entlastet, doch belastete sie der Eindruck, dass ich es sehr schwer haben müsste und mein eigenes Leben preisgab.
Sie beschreiben, dass der Umgang Ihrer Frau mit AußenÂstehenden nicht einfach war. Wie waren hierbei Ihre Erfahrungen?
Es gab, was den Umgang mit Außenstehenden betrifft, zwei ganz unterÂschiedliche Phasen und Erscheinungsweisen. In der ersten Phase war die Begegnung mit AußenÂstehenden – auch mit befreundeten Personen aus ihrem ArbeitsÂmilieu – oft konfliktÂhaft und für beide Seiten verstörend. Denn K. konnte immer weniger, was sie doch noch können und ausführen wollte. Das entfremdete sie von denen, mit denen sie lange und freundÂschaftlich zusammenÂgearbeitet hatte. Sie fühlte sich ausgeschlossen, ja gemobbt, während die anderen glaubten, es mit einem ganz anderen Menschen zu tun zu haben. Sie hatte die Fähigkeit eingebüßt zu argumenÂtieren, wollte ihre Vorstellungen aber nach wie vor durchsetzen. Manchmal auch harsch.
Als sie nicht mehr wollte, was sie nicht mehr konnte, änderte sich ihr Umgang mit anderen Menschen völlig. Nun kam es vor allem darauf an, mitmenschliche Resonanz zu finden. Deshalb begrüßte sie alle mit betonter, oft überschwängÂlicher Freundlichkeit. In öffentlichen Situationen, z. B. im Warteraum einer Arztpraxis oder beim Singe-Nachmittag für ältere Menschen, konnte sie sich lauthals an der Schönheit eines Menschen oder des AkkordeonÂspiels begeistern. Aus dieser Phase sind mir sehr schöne Erinnerungen an die FähigÂkeit nicht weniger Menschen geblieben, mit K.s unangepassten VerhaltensÂweisen spontan richtig und ihr zugewandt umzugehen.
Welche Botschaften möchten Sie Angehörigen von Menschen mit Demenz mit auf den Weg geben?
Herzlichen Dank für diese persönlichen Eindrücke, Ihre Zeit und Mühe!
Gerd Steffens
Ein Lebensversuch mit Demenz
Bericht über K.
2023. 225 Seiten. Kart.
€ 30,–
ISBN 978-3-17-043510-0