Ein Lebensversuch mit Demenz – Bericht über K.
Im Gespräch mit dem Autor Gerd Steffens, der in seinem Buch über das Zusammenleben mit seiner 2020 verstorbenen demenzkranken Ehefrau K. berichtet und dabei andere Sichtweisen auf Demenz und unseren Umgang mit Menschen mit Demenz aufzeigt.
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Was hat Sie dazu bewegt, die Geschichte der Demenzerkrankung Ihrer Frau K. aufzuschreiben? Wie kam Ihre Entscheidung zustande, diese zu veröffentlichen?
Angehörige von Menschen mit Demenz sind oft mit verstörenden Erfahrungen konfrontiert, mit rätselhaften Verhaltensweisen, die sie nicht entschlüsseln können. Wie sollen sie darauf richtig und einfühlsam reagieren? Das ist eine Frage, die sie ständig begleitet, aber meist ratlos zurücklässt.
Als solche Situationen sich zwischen meiner Frau, die im Buch K. heißt, und mir verdichteten, habe ich begonnen, über K.s Demenz und unser Leben damit zu schreiben. Dann wäre ich nicht nur, so hoffte ich, der manchmal verzweifelte Helfer, sondern hätte eine Position außerhalb, von der aus ich beobachten und nachdenken könnte. Es waren Tagebuch-Einträge, in denen ich festhielt, was mir auffiel, mich bedrückte und wie ich mir die befremdlichen Situationen vielleicht erklären könnte, damit ein gemeinsames Alltagsleben besser gelänge.
Das Schreiben war also zunächst eine verzweifelte Selbsthilfe. Sie glückte tatsächlich und uns gelang eine Rückkehr in einen gemeinsamen, doch veränderten Alltag. Als ich die Texte einige Zeit nach K.s unerwartetem Tod wieder las, fragte ich mich, ob meine Texte auch anderen helfen könnten. Unbedingt, fanden Freunde, die sie auch lasen, und sie redeten mir zu, sie zu veröffentlichen. Das half mir, meine Hemmungen vor der Preisgabe dieser sehr persönlichen Texte zu überwinden.
Welchen Anteil in Ihrem Buch nimmt Ihre gemeinsame Beziehung als langjährige Ehepartner ein? Ab welchem Punkt hat die fortschreitende Erkrankung diese irreversibel verändert?
Zuerst zum zweiten Teil der Frage: Als ich zu schreiben begann, fühlte ich mich in einer unumkehrbaren Situation: Ohne Ausweg in einer unaufhaltsamen Entwicklung ins immer Schlimmere, auf einer schiefen Ebene, die nirgendwo Halt bot. Überall Sackgassen der Kommunikation, eine Verständigung, gerade auch über Alltagsdinge, schien überhaupt nicht mehr zu gelingen. Warum ich mich gerade in diesem Punkt geirrt habe – und worin genauer ich mich geirrt habe – ist ein zentrales Thema der Einträge und des Buches.
Kann es nur in einer langjährigen Beziehung gelingen, doch wieder einen geteilten Alltag zu leben? Diese Vermutung haben nicht wenige der Leserinnen und Leser geäußert. Ich glaube das aber nicht. Viel eher als die Dauer der Beziehung ist die erfahrene Verlässlichkeit einer gelebten Wechselseitigkeit ausschlaggebend. Und diese Erfahrung braucht keine fünfzig Jahre, um sich herzustellen.
Haben Sie für sich einen Weg gefunden, die Auswirkungen der Demenz auf Ihre gemeinsame Partnerschaft und Familie abzuschwächen oder sogar positiv zu beeinflussen?
Alle meine Tagebuch-Einträge beschäftigen sich mit der Suche nach einem solchen Weg. Ich wollte Möglichkeiten finden, wie wir trotz K.s Demenz in ein ‚Alltagsgleichgewicht‘ gelangen könnten, in dem sich beide wohlfühlten. Und meine Frau trug dazu bei. Wie sehr, habe ich erst nach und nach durchschaut. Viele ihrer permanenten, oft nervenden Fragen zielten darauf ab, sich ihrer Lebensumstände und Alltagsumgebung zu vergewissern. Solche Vergewisserungsfragen galten vor allem der Zeit, der Zeit ihres und unseres Lebens, lange auch dem Datum, also Jahr, Monat, Tag. So in der Zeit verankert, konnte sie dann durch den Tag gehen. Seitdem ich das verstanden hatte, achtete ich sehr darauf, dass unser Tag einen für sie erkennbaren Rhythmus hatte, einen zwar gleichförmigen, doch auch erkennbar akzentuierten Ablauf. Ich nannte das bei mir das „Geländer durch den Tag“. Es brach zum Schluss immer häufiger zusammen, weil K. ihren Zeitsinn verlor. Doch lange sorgte es für eine Balance des Alltags, die auch mir zeitliche Nischen brachte, in denen ich in meine Interessen und Arbeiten wie in eine andere Welt eintauchen konnte. Gelegentlich habe ich das etwas selbstironisch „Idylle mit Demenz“ genannt.
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Unsere Kinder und deren Partner wollten mir diese „Idylle“ nicht recht glauben. Wenn sie mit K. zusammentrafen, war es für sie schockierend, dass sie sich mit ihrer Mutter immer weniger auf ‚normalem‘ Weg verständigen konnten. Sie waren zwar von Pflege und Sorge für K. entlastet, doch belastete sie der Eindruck, dass ich es sehr schwer haben müsste und mein eigenes Leben preisgab.
Sie beschreiben, dass der Umgang Ihrer Frau mit Außenstehenden nicht einfach war. Wie waren hierbei Ihre Erfahrungen?
Es gab, was den Umgang mit Außenstehenden betrifft, zwei ganz unterschiedliche Phasen und Erscheinungsweisen. In der ersten Phase war die Begegnung mit Außenstehenden – auch mit befreundeten Personen aus ihrem Arbeitsmilieu – oft konflikthaft und für beide Seiten verstörend. Denn K. konnte immer weniger, was sie doch noch können und ausführen wollte. Das entfremdete sie von denen, mit denen sie lange und freundschaftlich zusammengearbeitet hatte. Sie fühlte sich ausgeschlossen, ja gemobbt, während die anderen glaubten, es mit einem ganz anderen Menschen zu tun zu haben. Sie hatte die Fähigkeit eingebüßt zu argumentieren, wollte ihre Vorstellungen aber nach wie vor durchsetzen. Manchmal auch harsch.
Als sie nicht mehr wollte, was sie nicht mehr konnte, änderte sich ihr Umgang mit anderen Menschen völlig. Nun kam es vor allem darauf an, mitmenschliche Resonanz zu finden. Deshalb begrüßte sie alle mit betonter, oft überschwänglicher Freundlichkeit. In öffentlichen Situationen, z. B. im Warteraum einer Arztpraxis oder beim Singe-Nachmittag für ältere Menschen, konnte sie sich lauthals an der Schönheit eines Menschen oder des Akkordeonspiels begeistern. Aus dieser Phase sind mir sehr schöne Erinnerungen an die Fähigkeit nicht weniger Menschen geblieben, mit K.s unangepassten Verhaltensweisen spontan richtig und ihr zugewandt umzugehen.
Welche Botschaften möchten Sie Angehörigen von Menschen mit Demenz mit auf den Weg geben?
- Betrachten Sie Demenz als eine Gegebenheit des Lebens in seiner letzten Phase, mit der viele Menschen – sei es als Erkrankte, sei es als Angehörige oder Miterlebende, sei es als Pflegende – umgehen müssen.
- Schieben Sie Verhaltensweisen und Äußerungen von Menschen mit Demenz nicht als ohnehin unverstehbar, eben geistig krank, beiseite. Fragen Sie sich, worauf die erkrankte Person möglicherweise hinauswill, welches Bedürfnis hinter ihren – vielleicht befremdlichen – Äußerungen stecken könnte.
- Auch aggressive Äußerungen drücken oft nur aus, dass Erkrankte etwas nicht verstehen, mit etwas nicht zurechtkommen. Versuchen Sie, den Anlass herauszufinden, auch wenn die Erkrankten auf Fragen dazu keine Antwort geben können.
- Wenn Sie darauf achten, kann es Ihnen gelingen, ein wenig hinter den Blick zu kommen, mit dem Menschen mit Demenz ihre Umgebung, ihre Welt und sich in dieser Welt sehen. Und worüber sie verzweifelt, traurig oder glücklich sind.
- Versuchen Sie, möglichst gleichbleibende Formen des Alltags beizubehalten und gleichbleibende Ankündigungen oder Gespräche über den nächsten Abschnitt des Tages. Langweilig oder nervend ist das nur für Sie. Für demenzkranke Menschen ist das Wiedererkennen von Situationen oder Umgebungen wichtig, um sich in ihnen vertraut zu fühlen.
- Achten Sie auf einen Wechsel zwischen Allein- und Zusammensein. Und auf den Wechsel von Ruhe und Aktivität. Die Phasen sollten nicht allzu lang sein. Ich habe einen Zwei- bis Drei-Stunden-Rhythmus gut gefunden. Eine solche Ritualisierung des Tagesablaufs verschafft auch Ihnen Spielräume!
Herzlichen Dank für diese persönlichen Eindrücke, Ihre Zeit und Mühe!
Gerd Steffens
Ein Lebensversuch mit Demenz
Bericht über K.
2023. 225 Seiten. Kart.
€ 30,–
ISBN 978-3-17-043510-0