Verschluckt und ratlos – Interview mit den Autoren
Schluckstörungen (Dysphagie) betreffen eine beachtliche Anzahl von Menschen und können – unentdeckt beziehungsweise unbehandelt – erhebliche gesundheitliche Risiken bergen.
Die Autoren des Buches „Verschluckt und ratlos“ diskutieren, welche Personengruppen häufig von Schluckstörungen betroffen sind, wie sich diese bemerkbar machen, wie gefährlich sie sein können und welche Behandlungsmöglichkeiten existieren. Sie erörtern auch, wie das Buchprojekt entstand, welches Ziel sie damit verfolgen und wen sie besonders ansprechen möchten.
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Corrinth/Dziewas/Warnecke
Verschluckt und ratlos
Schluckstörungen erkennen, verstehen und behandeln
2025. 165 Seiten mit 20 Abb. Kart.
€ 29,–
ISBN 978-3-17-044334-1
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Wer ist von Schluckstörungen betroffen?
Thomas Corrinth: Ziemlich viele Menschen: Allein in Deutschland sind es rund 5 Millionen! Die Formen und Ausprägungen von Schluckstörungen – Mediziner nennen sie „Dysphagie“ – sind allerdings sehr unterschiedlich: Die Symptome reichen vom harmlosen Fremdkörpergefühl im Hals bis hin zu lebensgefährlicher Lungenentzündung oder Mangelernährung. Tendenziell sind eher ältere Menschen betroffen, aber es gibt auch viele junge Menschen mit spezifischen Vorerkrankungen, die Probleme mit dem Schlucken haben.
Wie machen sich Schluckstörungen bemerkbar?
Rainer Dziewas: Schluckstörungen haben viele Gesichter. Bei dem einen entwickeln sie sich schleichend über viele Jahre hinweg, bei der anderen sind sie von heute auf morgen da. Während manche Betroffene Probleme mit Flüssigkeiten haben, kriegen andere keinen festen Bissen herunter – und in schweren Fällen geht beides nicht. In manchen Fällen ist die Ursache auch nicht körperlich, sondern psychisch. Je nach Grunderkrankung sind Schluckstörungen sehr unterschiedlich, aber es lassen sich einige krankheitsübergreifende Muster erkennen. Zur ersten Einschätzung können Laien anhand von ein paar einfachen Fragen herausfinden, ob eine Schluckstörung vorliegen könnte. Auf diese Leitsymptome gehen wir auch umfassend in unserem Buch ein, denn frühzeitiges Erkennen ist entscheidend für den Behandlungserfolg.
Tobias Warnecke: In manchen Fällen kann es aber auch vorkommen, dass die Schluckstörung zunächst gar nicht bemerkt wird. Zum Beispiel, weil aufgrund einer Erkrankung der Hustenreflex ausfällt und dann unbemerkt Material in die Lunge gelangt – Fachleute sprechen dann von „stiller Aspiration“. In der Praxis erleben wir relativ häufig, dass Symptome – auch aufgrund von Unwissenheit – nicht erkannt werden. Oder sie werden verdrängt oder bagatellisiert. Deswegen ist Aufklärung in der Breite auch so enorm wichtig.
Sind Schluckstörungen gefährlich?
Thomas Corrinth: Es gibt harmlose und potenziell gefährliche Formen. Wenn Schluckstörungen nicht frühzeitig behandelt werden, können sie sogar zu einem lebensgefährlichen Problem werden. Wenn, wie Professor Warnecke schon ausgeführt hat, natürliche Schutzreflexe wie Husten oder Räuspern ausbleiben, kann das zu Lungenentzündungen führen. Oder in anderen Fällen können bestimmte Nahrungsmittel nicht mehr effizient im Körper transportiert werden, sodass die Betroffenen weniger essen und mangelernährt sind. Gerade für ältere Menschen, von denen viele allein leben, ist das ein großes Problem. Diese vulnerable Gruppe, die in unserer Gesellschaft zukünftig noch größer sein wird, müssen wir besonders schützen!
Bedeutet die Diagnose „Schluckstörung“ automatisch eine künstliche Ernährung?
Tobias Warnecke: Nein, das bedeutet es nicht automatisch. Nur in schweren Fällen, zum Beispiel nach bestimmten Hirnstamm-Infarkten, kommt die künstliche Ernährung sofort zum Einsatz. Ansonsten wird mithilfe von spezifischen Untersuchungen ermittelt, welche Nahrungskonsistenzen sicher geschluckt werden können, und dann wird der Ernährungsplan entsprechend angepasst. Häufig hilft dann zum Beispiel auch das Andicken von Flüssigkeiten oder das Pürieren von fester Kost. Das muss übrigens nicht immer pampig und unappetitlich aussehen, sondern kann auch attraktiv aufbereitet werden.
Wie können Schluckstörungen behandelt werden?
Rainer Dziewas: Es gibt sehr viele Möglichkeiten, Dysphagie effektiv zu behandeln. Je nach Ausgangsposition der betroffenen Person werden die nötigen Therapiebausteine individuell zusammengesetzt, um optimal helfen zu können. Diese Bausteine reichen von logopädischen Übungen und Medikamenten über operative Eingriffe bis hin zu innovativen Neurostimulationsverfahren, bei denen Sonden im Rachen oder am Kopf elektrische Impulse ans Gehirn senden.
Wie ist die Idee entstanden, Ihr Buch „Verschluckt und ratlos“ zu verfassen?
Wie haben Sie als Autorenteam zusammengefunden?
Thomas Corrinth: Das war ziemlich spontan. In meiner Funktion als Wissenschaftsjournalist habe ich Professor Dziewas im Rahmen eines Geriatrie-Kongresses interviewt. Davor hatte ich noch nie etwas von Dysphagie gehört und meine Begeisterung für das Thema hielt sich zunächst auch in Grenzen. Nachdem wir dann aber rund eine Stunde über Schluckstörungen gesprochen haben und mir klar wurde, wie spannend und vor allem relevant dieses Thema eigentlich ist, änderte sich das schlagartig. Ich konnte nicht glauben, dass bisher noch so viel Unwissenheit in der breiten Öffentlichkeit darüber besteht und deswegen sehr viele Menschen unnötig lange Leidensgeschichten durchmachen müssen. Das wollte ich ändern. Über Nacht kam mir die Idee mit dem Buch und ich schlug sie den beiden Neurologen vor. Noch in derselben Woche haben wir mit dem Buchprojekt begonnen. Und jetzt bin ich sehr froh über das, was dabei herausgekommen ist.
Rainer Dziewas: Das geht uns genauso. Für uns ist die journalistische Perspektive durch Thomas Corrinth sehr wertvoll. Zum einen, weil wir selbst dadurch auch nochmal anders auf das Thema geblickt haben und zum anderen, weil wir durch seine Expertise auch Betroffene, Angehörige und weitere Expert:innen professionell interviewen und die komplexe Thematik allgemeinverständlich aufbereiten konnten.
Was war Ihr Ziel mit diesem Buch und wen möchten Sie mit diesem ganz besonders ansprechen?
Tobias Warnecke: Wir wollen vor allem aufklären über diese „Volkskrankheit“, Hilfestellung geben und ein Bewusstsein dafür schaffen in der breiten Öffentlichkeit, wo das Thema noch nicht richtig angekommen ist. Dadurch können wir dazu beitragen, dass unnötige Diagnose-Odysseen vermieden werden. Das Buch richtet sich jedoch nicht nur an Betroffene und Angehörige, sondern auch an Menschen, die im medizinisch-pflegerischen und therapeutischen Bereich tätig sind oder ausbilden, und an alle gesundheitsbewussten Menschen, die kompaktes Wissen über Schluckstörungen allgemeinverständlich aufbereitet haben möchten.
Was zeichnet Ihr Buch besonders aus?
Thomas Corrinth: Das Besondere ist, dass wir dieses komplexe medizinische Thema auf verständliche Weise aufbereitet haben, ohne dabei an fachlicher Tiefe einzubüßen. Dafür haben wir fundierte wissenschaftliche Informationen mit persönlichen und leicht zugänglichen Erfahrungsberichten kombiniert. Die Leserschaft bekommt so das Gefühl, nicht allein zu sein, und erhält die Botschaft: Schluckstörungen sind behandelbar, wenn man die richtigen Schritte kennt! Außerdem ist das Buch mithilfe einer jungen Illustratorin ansprechend gestaltet worden. Sie hat dafür gesorgt, dass die große Bandbreite an Emotionen, die mit Schluckstörungen einhergehen, transportiert wird. Fachbücher über Dysphagie gibt es bereits zahlreiche. Ein allgemeinverständliches Buch in dieser Autorenkonstellation ist dagegen neu. Wir hoffen, dadurch noch mehr Menschen für diese Volkskrankheit zu sensibilisieren.
Welche Botschaft möchten Sie Ihren Leserinnen und Lesern noch mit auf den Weg geben?
Rainer Dziewas: Schluckstörungen können jeden Menschen treffen. In einer alternden Gesellschaft wird das Phänomen zudem weiter zunehmen. Sich Wissen darüber anzueignen, es auch weiterzugeben und die eigene Gesundheit sowie die Gesundheit anderer besser im Blick zu haben, kann also sehr hilfreich sein und unter Umständen Leben retten.
Thomas Corrinth ist freiberuflicher Journalist, Kommunikationswissenschaftler und Autor in Essen.
Prof. Dr. med. Rainer Dziewas und Prof. Dr. med. Tobias Warnecke sind Chefärzte der Klinik für Neurologie und neurologische Frührehabilitation am Klinikum Osnabrück und führende Experten für Dysphagie.