Rassismus ist noch immer ein großes Problem – und das weltweit. Welche Formen von Rassismus es gibt und was jeder und jede Einzelne dagegen tun kann, das erklärt unser Autor Wolfram Stender im Interview.
Wolfram Stender
Rassismuskritik
Eine Einführung
2023. 208 Seiten. Kartoniert. € 36,–
ISBN 978-3-17-036704-3
Reihe: Soziale Arbeit in der Gesellschaft
Herr Stender, warum brauchen wir eine EinÂführung in die Rassismuskritik?
Weil Anspruch und WirkÂlichÂkeit so weit ausÂeinanderÂklaffen. Zwar haben fast alle Staaten der Welt die AntiÂrassismusÂkonÂvenÂtion der UN unterÂzeichÂnet und sich damit verÂpflichÂtet, RassisÂmus in jeder Form zu bekämpfen. Dennoch gibt es auch heute noch überall auf der Welt Rassismus. Dabei sind rassisÂtisch motiÂvierte GewaltÂtaten nur die Spitze des Eisbergs. Das ganze Ausmaß wird erst sichtbar, wenn man die PerÂspekÂtiven derjeÂnigen zur Kenntnis nimmt, die Rassismus allÂtägÂlich am eigenen Leib erfahren. Um Rassismus erfolgÂreich zu beÂkämpÂfen, müssen wir wissen, wie er funkÂtioÂniert und welche FunkÂtioÂnen er hat.
Wie unterscheiden sich „AlltagsÂrassisÂmus“, „InstiÂtutioÂneller Rassismus“ und „StrukÂturelÂler Rassismus“?
Formen der DegraÂdieÂrung, der AusÂgrenÂzung, der EinÂschüchÂterung, der BeleiÂdiÂgung, der InfeÂrioriÂsierung, der BevorÂmunÂdung, der NichtÂanerÂkenÂnung, der PathoÂlogiÂsieÂrung usw. gehören zum Alltag der Menschen, die ZielÂscheibe von Rassismus sind. Darauf bezieht sich der BeÂgriff des „AlltagsÂrassismus“. Diese Formen sind aber auch in VerÂfahren, Normen und Regeln, Routinen und HandÂlungsÂlogiken von InstiÂtuÂtioÂnen ‚eingebaut‘. Darauf zielt der Begriff des „InstiÂtutioÂnellen Rassismus“. Und schließÂlich stellt RassisÂmus auch eine StrukÂtur soziaÂler UnÂgleichÂheit dar, die sich in den SozialÂstrukturÂdaten nachÂweisen lässt. Dies wird im Begriff des „StrukÂturelÂlen Rassismus“ reflektiert.
Was bedeutet es, rassismuskritisch zu denken und zu handeln?
Da Rassismus ein gesellÂschaftÂliches VerÂhältÂnis ist, kann es kein AußerÂhalb des Rassismus geben. Ich selbst bin Teil der Struktur, die ich in meinem AlltagsÂhandeln reÂproduÂziere. Aber ich kann die StrukÂtur auch hinterÂfragen. Rassismuskritische RefleÂxiviÂtät bedeuÂtet dann zum Beispiel, dass ich die MechaÂnismen der NormaÂlisieÂrung von Rassismus in der InstiÂtuÂtion, in der ich arbeite, zum Thema mache und auch zum GegenÂstand der VeränÂderung – das wäre in meinem Fall die HochÂschule, die ja noch immer sehr weitÂgehend ein weißer Raum ist.
Sie wenden sich in einem Kapitel Ihres Buches direkt an SozialÂarbeiÂtende und solche, die es werden wollen. Wer kann noch von Ihrer EinÂfühÂrung in die RassisÂmusÂkritik profitieren?
Rassismuskritische RefleÂxiviÂtät ist grundÂlegend für alle HandlungsÂfelder der Sozialen Arbeit, aber auch für alle sonstigen pädaÂgogiÂschen Berufe. Der „Schlüssel zur Veränderung“ – so hat es die ErÂziehungsÂwissenÂschaftÂlerin Astrid Messerschmidt einmal formuliert – liegt in der BereitÂschaft, den allÂtägliÂchen Rassismus nicht zu exterÂnaliÂsieren, sondern die rassisÂmusÂkritische PerspekÂtive mit der eigeÂnen berufÂliÂchen TätigÂkeit zu verbinden und zu einem konÂstituÂtiven Element pädaÂgogiÂscher ProÂfessioÂnaliÂsierung zu machen.
Dr. Wolfram Stender ist Professor für Soziologie an der Hochschule Hannover.
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