Parteien sind für das Funktionieren einer Demokratie von elementarer Bedeutung. Sie beeinflussen, reflektieren und vertreten die diversen Meinungen in der Gesellschaft. Ohne ihre vermittelnde und bündelnde Funktion wäre ein moderner demokratischer Staat kaum vorstellbar. Und dennoch erfahren die Parteien aktuell kaum Rückhalt aus der Bevölkerung. Skandale und populistische Attacken führen zu Mitgliederschwund und heftiger Kritik. Höchste Zeit für eine aktuelle, gut lesbare und fundierte Darstellung der Parteien und ihrer Kontexte … Gewinnen Sie erste Eindrücke davon in diesem Interview.
Klaus Detterbeck
Parteien im Auf und Ab
Neue Konfliktlinien und die populistische Herausforderung
2020. 114 Seiten, 6 Abb, 5 Tab. Kart. € 24,–
ISBN 978-3-17-034555-3
Aus der Reihe „Politik verstehen“
Sehr geehrter Herr Detterbeck. Vor kurzem ist Ihr Buch mit dem Titel „Parteien im Auf und Ab. Neue Konfliktlinien und die populistische Herausforderung“ erschienen. Parteien spielen in nahezu allen Demokratien eine wichtige Rolle. Wie würden Sie die prinzipiellen Aufgaben von Parteien in unserem Land zusammenfassen?
Parteien können gesellschaftliche Anliegen in die Politik bringen. Sie verknüpfen Gesellschaft und Staat, indem sie bei Wahlen programmatische Angebote vorlegen, unter denen die Bürger dann auswählen durch ihre Stimme in der Wahlkabine. Im Parlament und in Regierungen sitzen Parteivertreter, die je nach Mehrheitsverhältnissen das eine oder das andere Angebot realisieren. Kurzum: Nur weil Parteien diese herausgehobene Stellung in der repräsentativen Demokratie haben, können wir Bürger mitentscheiden, welche Politik gemacht wird. Das ist ein hohes Gut.
Trotz des großen Einflusses und der enormen Bedeutung von Parteien ist allgemein das Ansehen der Parteien gegenwärtig nicht sehr gut. Wie kam es dazu und wie können die Parteien diesem Trend entkommen?
Das ist ein zentrales Thema in meinem Buch. Ich schildere darin, wie es schon seit Jahrzehnten zu einer wachsenden Distanz zwischen Bürgern und Parteien gekommen ist. Das hat mit der Veränderung der Gesellschaft zu tun, Stichwort Individualisierung, aber auch mit der Veränderung der Parteien. Der häufig erhobene Vorwurf, man könne gar nicht mehr unterscheiden, welche Partei für welche Inhalte stehe, ist zwar nicht unbedingt treffend, aber er zeigt gut, dass die Distanz das zentrale Problem ist, das zu Vertrauensverlusten und auch Zynismus gegenüber den Parteien führt. Folglich läge die Lösung in der Verringerung dieser Distanz. Aber das ist leichter gesagt als getan.
Gegenwärtig sind besonders junge Parteien nicht nur in Deutschland sehr erfolgreich. Was sagt das über das Parteiensystem aus?
Es stimmt, die Volksparteien CDU/CSU und SPD verlieren sukzessive an Unterstützung, eine Reihe (ehemals) kleinerer Parteien gewinnt an Zustimmung.
Unser Parteiensystem ist somit komplexer geworden, auch zersplitterter. Das ist nicht unbedingt ein Problem, es passt ja auch ganz gut zu einer Gesellschaft, die fragmentierter und politisch weniger gebunden geworden ist. Die Volksparteien sind weiterhin entscheidende politische Kräfte, aber es gibt Alternativen. Wer das Umweltthema für zentral hält, hat eine parteipolitische Heimat, wer das Thema der sozialen Gerechtigkeit nicht mehr bei der SPD aufgehoben sieht, kann dies bei Wahlen ausdrücken, und wer denkt, dass der Staat zu viel in die Wirtschaft hineinregiert, kann auch dies mit seiner Stimme deutlich machen. Mit der AfD ist eine Partei Teil des Parteiensystems geworden, die den Protest derer aufnimmt, die sich von der gesellschaftlichen Entwicklung überfordert sehen, die aber auch Bürger mit rechten Einstellungen anzieht, die zuvor keine politische Vertretung mehr gesehen haben. Wir sehen etwa steigende Wahlbeteiligungen, vorherige Nichtwähler unterstützen nun die AfD. Problematisch wird es dann, wenn die Populisten demokratische Grundregeln verletzen und Hass gegen Minderheiten schüren.
Stichwort Populismus: Was genau versteht man darunter? Und warum ist der Begriff so negativ konnotiert?
Tja, das ist eigentlich merkwürdig. Denn was sollte falsch daran sein, dem Volk, dem populus, eine Stimme zu geben? Das Problem ist, dass Populisten komplizierte Sachverhalte auf eine simple Lösung reduzieren wollen, dafür aber Rezepte anbieten, die zur Verletzung von Grund- und Menschenrechten führen. Rechte Populisten arbeiten mit zwei Feindbildern: dem Hass auf die Eliten und dem Hass auf die Fremden. Indem sie für alle Probleme diese zwei Gruppen verantwortlich machen, spalten sie die Gesellschaft. Wie weit das gehen kann, sehen wir derzeit mit Donald Trump in den USA aufs Schauerlichste.
Populisten gaukeln das Bild einer harmonischen und homogenen Gesellschaft vor, welche sie vor den Feinden des Volkes angeblich schützen wollen. Dahinter steht ein zutiefst anti-demokratisches Verständnis, das den Pluralismus und letztlich auch Parlamente und den Austausch unterschiedlicher Meinungen ablehnt. Populisten geben also nicht dem Volk eine Stimme, sondern wollen dem Volk vielmehr vorschreiben, was es zu denken hat. Wer dagegen ist, wird ausgeschlossen oder sogar verfolgt.
Wie muss die politisch verantwortungsbewusste Gesellschaft vor dem Hintergrund der nahezu zeitgleichen Verbreitung von fake news, alternativen Fakten und Co. mit dem Phänomen ‚Populismus‘ umgehen?
Klare Grenzen ziehen. Keine Zusammenarbeit in den Parlamenten, und in der Gesellschaft Einspruch immer dann, wenn gegen Minderheiten gehetzt wird, wenn Journalisten oder Politiker bedroht werden, wenn Verschwörungstheorien verbreitet werden. Es braucht die engagierten Bürger und Bürgerinnen, um die Gefahren des Populismus zu bannen. Je normaler es wird, demokratische Grundregeln in Frage zu stellen, umso instabiler wird unser Zusammenleben.
Stichwort AfD: Wie ist der Erfolg der AfD im größeren Kontext zu bewerten?
Dieser Frage gehe ich im Buch ganz ausführlich nach. Wir haben populistische Parteien ja nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa und darüber hinaus. Ihr Erfolg zeigt, dass es eine neue Konfliktlinie in der Politik gibt, die noch verstärkt worden ist durch die Wirtschafts- und Finanzkrise nach 2008. Die Globalisierung hat das Wirtschaftsleben verändert, aber auch die Gesellschaften, die kulturell vielfältiger und moderner geworden sind. Menschen, die mit diesen Veränderungen Schwierigkeiten haben, ökonomisch, weil sie fürchten, dass sie in der Berufswelt nicht mithalten können, kulturell, weil sie ihre eigene Identität bedroht sehen durch die vielen „fremden“ Einflüsse und unterschiedlichen Lebensstile, sind empfänglich für die Sirenenklänge der Populisten.
1990er | 2000er | 2010er | |
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Nordischer Populismus | |||
DF (Dänemark) | 7,5 | 13,4 | 14,0 |
FrP (Norwegen) | 10,8 | 19,2 | 15,8 |
PS (Finnland) | 0,3 | 2,9 | 18,1 |
SD (Schweden) | 2,6 | 3,3 | 12,0 |
Ff (Island) | – | – | 3,5 |
Westlicher Populismus | |||
FN (Frankreich) | 13,6 | 7,8 | 13,4 |
FPÖ (Österreich) | 22,0 | 12,8 | 20,9 |
SVP (Schweiz) | 16,5 | 27,9 | 27,2 |
ADR (Luxemburg) | 10,2 | 9,1 | 7,5 |
VB (Belgien) | 8,1 | 11,8 | 8,0 |
PVV (Niederlande) | – | 17,7 | 24,0 |
AfD (Deutschland) | – | – | 8,7 |
UKIP (UK) | 0,3 | 1,9 | 4,4 |
Südlicher Populismus | |||
LN (Italien) | 9,0 | 5,6 | 10,7 |
M5S (Italien) | – | – | 29,2 |
ANEL (Griechenland) | – | – | 6,1 |
Syriza (Griechenland) | 6,1 | 4,0 | 29,4 |
Vox (Spanien) | – | – | 5,2 |
Podemos (Spanien) | – | – | 13,8 |
PNR (Portugal) | – | 0,2 | 0,4 |
BE (Portugal) | 0,8 | 6,3 | 8,3 |
Wollen wir diese Menschen wieder in den demokratischen Kreis zurückholen, dann braucht es Ideen, wie man etwa Menschen mit geringeren Bildungsressourcen eine Chance geben kann, aber auch wie man kulturelle Vielfalt zusammenführt mit einem Gemeinschaftssinn von Nachbarn und Bürgern, die gerne zusammenleben. Wenn uns dies gelingt, können die Hetzer von AfD und Co. einpacken.
Das Interview mit Herrn PD Dr. Detterbeck führte Dr. Peter Kritzinger aus dem Verlagsbereich Geschichte/ Politik/ GesellÂschaft.
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