Viel mehr als alter Wein in neuen Schläuchen:
New Work und die neue Arbeitswelt
Durch Digitalisierung, Pandemie und den Generationenwechsel vollziehen sich in der Arbeitswelt aktuell grundlegende Veränderungen. Der Schlüsselbegriff „New Work“, der eigentlich in der Arbeitswissenschaft als Sinnbild für mehr Selbstverwirklichung bei der Arbeit entstanden ist, kennzeichnet noch heute als Schlagwort sowohl den Wandel als auch die Neugestaltung der neuen Arbeitswelt.
Zentrale Fragen sind dabei: Welche relevanten Trends und neuen Erfordernisse – „Future Skills“ – gibt es und wird es geben? Wie können Unternehmen und andere Organisationen sinnvoll und möglichst erfolgreich den Wandel gestalten? Schließlich: Welche Implikationen hat New Work für die Gesellschaft – etwa für die sozialen Sicherungssysteme und die Arbeitsmärkte?
Im neuen Band der Denkanstöße-Reihe zu „NEW WORK. Gestaltung der digitalen Arbeitswelt“ nehmen Manager, Berater und Forscher dazu Stellung und zeigen relevante Fakten, Erfolgsfaktoren und Lösungsansätze auf.
Wir haben mit den Herausgebern, Prof. Dr. Peter Mudra, Matthias Sellinger und Prof. Dr. Rainer Völker von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen am Rhein, über Publikation gesprochen:

Mudra/Sellinger/Völker (Hrsg.)
New Work
Gestaltung der digitalen Arbeitswelt
2024. 299 Seiten mit 4 Tab. Kartoniert.
€ 34,–
ISBN 978-3-17-039105-5
Aus der Reihe Denkanstöße
New Work geht auf Überlegungen des deutsch-amerikanischen Philosophen Frithjof Bergmann (1930–2021) zurück – welche Elemente des Ursprungskonzepts aus den 1980er Jahren finden sich in heutigen New-Work-Ansätzen?

Mudra: Tatsächlich erscheint es sinnvoll und wichtig, sich auch viele Jahrzehnte später auf die Ausgangspunkte der Konstruktion von New Work zu besinnen. Denn der Aufschlag, den Frithjof Bergmann Anfang der 80er Jahre gemacht hat, beinhaltete einen Zweiklang: New Work und New Culture. So ist übrigens auch sein bedeutendes Buch überschrieben, das seit seiner Erstveröffentlichung 2004 vielfach als ein Manifest für New Work eingeordnet wurde. Es ging ihm somit um die Frage, wie sich die Arbeit zukünftig ausrichten sollte, um die Bedürfnisse der Mitarbeitenden besser zu berücksichtigen. Aber gleichermaßen – davon abgeleitet – auch um die Frage, wie sich das Verständnis von Arbeit im Kontext von gemeinschaftsbezogenen und kulturellen Prägungen weiterentwickeln sollte. Die zentrale Position von Frithjof Bergmann, Freiheit aus der Perspektive der Beschäftigten immer auch als Entscheidungs- und Handlungsfreiheit zu interpretieren und mit Unabhängigkeit und Teilhabe zu einem Dreiklang zu verbinden, wurde bekanntlich recht schnell als Sozialutopie eingeordnet. Tatsächlich ist diese Philosophie von Bergmann in der heutigen Ausprägung gängiger New Work-Ansätze ein Stück weit verankert. Wenn wir den für uns in Deutschland sehr relevanten Ansatz der New Work-Charta betrachten, so finden sich dort als sog. Prinzipien für New Work Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und Soziale Verantwortung. Als Herausgeber des Denkanstöße-Bandes sehen wir in der von Markus Väth auf den Weg gebrachten Ausrichtung auf fünf Prinzipien auch für die Praxis relevanten Modellansatz. Und dieser scheint uns durchaus nahe an Frithjof Bergmann dran zu sein, versteht sich aber erfreulicherweise nicht als ein vorgegebenes Managementmodell mit rezeptologischen Vorgaben.
Es zeigt sich schon heute, dass die schöne neue Arbeitswelt, die sich viele unter New Work vorstellen, nicht in allen Branchen und Unternehmensbereichen realisiert werden kann. Handwerkliche oder produktionsnahe Tätigkeiten haben hier oft das Nachsehen. Im Grunde liegt hier eine echte Gerechtigkeitslücke – wird das thematisiert und falls ja, hat man sich bereits um Ausgleich bzw. Lösungen bemüht?

Sellinger: Das ist zweifellos ein ganz wichtiger Aspekt. Denn tatsächlich erscheinen viele der kleineren und größeren Themen, die nicht selten mit großer Aufregung als maßgebliche Trends in der Arbeitswelt angeleuchtet werden, eigentlich vorrangig für Unternehmen mit einer bestimmten Größe oder vorzugsweise für bestimmte Branchen oder Tätigkeitsbereiche ausgerichtet zu sein. So wurde – ausgelöst bzw. verstärkt durch die Corona-Pandemie – der Eindruck erweckt, wir seien in der Arbeitswelt zukünftig weitgehend in Remote Working unterwegs. Die Aufgeregtheit und Übertreibung, die mit manchen Trends im Human Resources-Bereich einhergehen, verstellen nicht selten eine realistische – und idealerweise auch kritische – Perspektive. Das geht schon damit los, dass eine Gleichförmigkeit von Entwicklungen mehr oder weniger als gegeben angesehen wird, was tatsächlich den jahrzehntelangen Erkenntnissen der personalwirtschaftlichen Disziplin bzw. Realität widerspricht. New Work als ein Ansatz, der aus unserer Sicht im besten Fall ein neues Paradigma für Human Resources Management und darüber hinaus darstellen kann, wird sich nicht in trendigen Versatzstücken einer schönen neuen Arbeitswelt erschöpfen dürfen. Bezogen auf Ihre Frage sollte man beispielhaft für die vielen beruflichen Tätigkeitsfelder, in denen die Freiräume für eine flexible Festlegung des Arbeitsortes kaum oder gar nicht gegeben sind, alternative Gestaltungsangebote unter Einbindung der Mitarbeitenden entwickeln. Diese können sich beispielsweise auf Arbeitszeitregelungen oder auf grundlegende Arbeitsmodelle wie das Praktizieren einer Viertagewoche beziehen. Wichtig erscheint uns im Kontext von New Work zu sein, dass die Prinzipien eines solchen Paradigmas auf partizipative Prägungen ausgerichtet sind, aber keinesfalls auf eine konformistische Kultur. Wenn der Diskurs über Gerechtigkeit gruppenbezogen bereits als Mangel im Sinne einer Gerechtigkeitslücke zum Tragen kommt, ist eigentlich schon etwas richtig schiefgelaufen.
Der Tech-Unternehmer Elon Musk hat sich recht drastisch über die „Laptop-Arbeiterklasse“ im Homeoffice geäußert und dieser „Realitätsferne“ vorgeworfen. Auch viele deutsche Entscheidungsträger äußern sich inzwischen kritisch über die betrieblichen Ergebnisse von New Work, Homeoffice und Digitalarbeit und Co. Was ist Ihre Einschätzung dazu?

Völker: Es handelt sich tatsächlich um eine interessante Entwicklung in der öffentlichen Debatte, mit der vielleicht einmal mehr deutlich wird, dass der Diskurs über die Transformation in der Arbeitswelt idealerweise auch über eine wissenschaftliche Basis verfügen sollte. Denn dort findet sich eine solide Bearbeitung beispielsweise der Fragestellungen, was die Anforderungen – übrigens insbesondere auch seitens der Führungskräfte – und Verhaltensänderungen hinsichtlich virtueller Arbeitskonstellationen anbelangt. Es erscheint tatsächlich problematisch, wenn aus der gleichen Ecke, die größtenteils vehement Flexibilitätsbereitschaften eingefordert hat und sich mit dem durch die Corona-Pandemie beschleunigten Switch in die Digitalisierung sehr zufrieden zeigte, nunmehr Stimmen kommen, die diese Transformation und leider auch die maßgeblichen Akteure diskreditieren. Es ist doch den meisten im Unternehmerlager wie auch denen im Bereich der Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften klar, dass man jeweils angemessene Regelungen finden muss – in den Branchen, Unternehmen, Betrieben und Arbeitsteams. Wir haben uns in dem vorgelegten New Work-Band aus fester Überzeugung bemüht, das Sichtfeld für solche und viele andere Regelungen mit den Veränderungen der Arbeitswelt, den Auswirkungen auf Organisationen, der Relevanz für Personalmanagement und Führung sowie der Bedeutung für die Gesellschaft zu verbinden. Manch einer wird vielleicht überrascht sein, wie viele wichtige Aspekte und Argumente zu New Work hier vorzufinden sind, die nicht nur Perspektiven erweitern, sondern den Substanzgehalt öffentlicher Debatten um Elemente von New Work einordnen und ausbauen helfen.
New Work soll Arbeit „irgendwie“ entspannter, sinnvoller und freier machen – diese und ähnliche Verheißungen werden vielfacht geäußert. Was sind aus Sicht der Wissenschaft die eigentlichen Vorzüge?
Mudra: Die Herausforderung, die sich mit New Work durchaus verbindet, lässt sich an der begrifflichen Interpretationsvielfalt und damit wahrnehmbaren Beliebigkeit festmachen. Wir haben aufgezeigt, dass es einer gewissen Grundstruktur bedarf, wenn man sich mit dem Phänomen New Work angemessen befassen möchte. Und die damit verbundene Herangehensweise nimmt drei aus unserer Sicht hilfreiche Perspektiven ein: die reine Begriffsperspektive, die weiter entwickelte Konzeptperspektive sowie die Stakeholder-Perspektive. Letztere transportiert ein ganzes Füllhorn an spannenden Positionen und Überzeugungen. Aus der wissenschaftlichen Sicht bietet New Work breite Möglichkeiten, sich mit interessanten Problemstellungen und Erkenntniszielen zu beschäftigen. Nehmen wir beispielsweise die Frage der zukunftsbezogenen Kompetenzen oder eines adäquaten Führungsstils für die sich verändernde Arbeitswelt. Es braucht aber aus unserer Sicht deutlich mehr Initiativen und Förderbereitschaften für eine systematischere Forschung im Bereich der New Work-Gegebenheiten, und dabei sollte es sich um anwendungsbezogene und idealerweise interdisziplinäre Forschung handeln. Dass Forschungserkenntnisse dann auch in die Unternehmenspraxis mit hoher Passung transferiert werden, dafür stehen übrigens an der Hochschule in Ludwigshafen mit dem Institut für Management und Innovation (IMI) und dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) gleich zwei renommierte Einrichtungen.
Die deutsche Wirtschaft befindet sich zurzeit in einer Strukturkrise, der Druck zu Kosteneinsparung und Rationalisierung wächst stark – was meinen Sie: Wird das dazu führen, dass sich das klassische Arbeitsregime wieder durchsetzen wird?
Sellinger: Grundsätzlich ist nicht auszuschließen, dass man sich teilweise auf Mechanismen der Vergangenheit zurückzieht. Neben den genannten Aspekten der Kosteneinsparung und Rationalisierung waren dies auch häufig organisational begründete Strukturveränderungen, die grundsätzlich auf zukunftsbezogene Zielstrukturen abstellten. Es sollte allerdings klar sein, dass wir uns in einer Epoche befinden, in der die Wirtschaft und Arbeitswelt einem hochdynamischen Wandel unterworfen ist – und dies global. Der Zuwachs an Dynamik und Komplexität erfordert eine in den Unternehmen vorhandene Befähigung, mit solchen Herausforderungen angemessen umzugehen. Agilität ist in vielen Unternehmen unverändert ein Primat im Kontext der Wettbewerbsfähigkeit. Eine Rückkehr zu früheren, klassischen Arbeitsgegebenheiten und traditionellen Strukturen ist insofern aus unternehmensbezogener und strategischer Sicht eher nicht zu empfehlen. Ein zweiter Punkt ist gleichermaßen relevant: In einem Arbeitsmarkt, der bekanntlich mittlerweile – und bis auf weiteres – ein Arbeitnehmermarkt und in nicht wenigen Branchen mit einem spürbaren Fachkräftemangel verbunden ist, erscheint es im Hinblick auf die Arbeitgeberattraktivität sowohl für die Beschäftigten als auch für potentielle Stellenbewerber nicht ratsam, zu Regelungen der Vergangenheit zurückzukehren. Insbesondere die Generationen, die in den letzten Jahren in die Arbeitswelt eingetreten sind oder demnächst eintreten werden, haben hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen und der damit verbundenen Freiheiten und Flexibilität klare Erwartungen, die sich mit einem rückwärtsgewandten Arbeitsregime nur schwer vereinbaren lassen. Dies macht übrigens noch einmal deutlich, warum New Work über seinen philosophischen Ansatz hinausgehend ein maßgebliches strategisches Potenzial für die Unternehmen und deren Personal- und Führungsarbeit innewohnt.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Peter Mudra lehrt Personalmanagement und -entwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen am Rhein (HWG),
Matthias Sellinger ist Projektleiter am Institut für Management und Innovation (IMI).
Prof. Dr. Rainer Völker ist Professor für Management an der HWG Ludwigshafen und wissenschaftlicher Leiter des IMI.