Immer mehr junge Erwachsene kommen an die Grenzen ihrer BelastÂbarkeit. Die Zahl psychischer Probleme in dieser AltersÂgruppe steigt seit Jahren an. Das dokuÂmentieren viele Studien und Umfragen. Was geschieht da gerade in unserer Gesellschaft?
Beate Wilken begibt sich in ihrem neuen Buch „Burnout mit 25?“ auf UrsachenÂsuche. Sie hat dazu zahlÂreiche junge Menschen befragt und lässt sie in Form von Zitaten zu Wort kommen. EindrückÂlich zeigt sie die immensen gesellÂschaftlichen Anforderungen und Belastungen auf, mit denen heute 20- bis 30-Jährige konfrontiert sind.
Beate Wilken
Burnout mit 25?
Junge Erwachsene zwischen Optimierungsdruck, Dauerkrisen und Zukunftsangst
2024. 210 Seiten. Kart.
€ 26,–
ISBN 978-3-17-043595-7
Liebe Frau Dr. Wilken, Sie sind Psychologische PsychoÂtherapeutin und seit vielen Jahren in eigener Praxis tätig. Wie erleben Sie die jungen Erwachsenen, die zu Ihnen kommen?
Die jungen Menschen, die ich in meiner Praxis sehe und auch die, die ich bei meinen Recherchen befragt habe, sind in der Regel Studierende oder stehen gerade am Anfang ihrer BerufsÂtätigkeit. Sie sind in relativem WohlÂstand aufgewachsen und von ihren Eltern gefördert worden. Sie sind politisch gebildet und gut informiert und versuchen, den ständig wechselnden AnfordeÂrungen in Studium und Job gerecht zu werden und ihr Bestes zu geben. Das hört sich erst einmal alles sehr gut an, oder? TatsächÂlich geht es aber vielen von ihnen nicht gut. Sie leiden zum Teil unter „Burnout-ähnlichen“ ErschöpfungsÂzuständen. Dazu kommen Probleme wie gravierende SelbstÂzweifel, VersagensÂängste, das Gefühl nie „gut genug“ zu sein, eine große Angst vor negativen Bewertungen durch andere, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, das Erleben von Einsamkeit sowie massive ZukunftsÂsorgen und -ängste und ein starkes OhnmachtsÂerleben angesichts einer nicht mehr als gestaltbar erlebten Zukunft. Immer mehr erfüllen die Kriterien für ernstÂzunehmende AngstÂstörungen und Depressionen. Dieses Phänomen hat mich alarmiert und ich möchte mit diesem Buch darauf aufmerksam machen.
Dass viele junge Menschen schon so früh unter Erschöpfung leiden und auch darüber hinausÂgehende psychische Probleme entwickeln, ist erschreckend. In Ihrem Buch betonen Sie, dass die Gründe dafür nicht allein bei den einzelnen Individuen verortet werden dürfen, sondern auch in den „krankÂmachenden“ und „erschöpfenden“ Bedingungen unserer gegenÂwärtigen GesellÂschaft zu suchen sind. Können Sie das näher erläutern?
Da ist zunächst einmal der große Optimierungsdruck, der seit dem Vormarsch neoliberaler Ideen in den 1980er Jahren in unserer GesellÂschaft herrscht. Soziolog*innen sprechen vom Zwang zur OptimieÂrung bzw. Selbstoptimierung, um in einer konkurrenzorientierten Welt bestehen zu können. Dieser Druck wirkt sich geradezu toxisch vor allem auf junge Menschen aus. Es gilt bereits seit ihrer Kindheit, stets „Optimales“ leisten zu müssen, um einen guten Schul-, Berufs-, StudienÂabschluss zu schaffen und „mithalten zu können“ in unserer GesellÂschaft. Und dieser Druck bezieht sich mittlerweile auch auf nahezu alle Bereiche des Privaten: das eigene Aussehen, den Körper, den BekanntenÂkreis, die PartnerÂschaft, die Ernährung, die Freizeitaktivitäten – ständig erleben sich junge Menschen in irgendeinem der Bereiche als „nicht gut genug“. Social Media und das ständige Vergleichen dort verstärken das: Denn hier gibt es immer die „perfekten Anderen“, denen ihr Leben besser zu gelingen scheint.
Hinzu kommt die BeschleuÂnigung unseres Lebens, wir leben heute in ständiger Zeitnot und Zeitknappheit. Schon junge Menschen haben das Gefühl, nie wirklich zur Ruhe zu kommen und nicht genügend Zeit zu haben, um herauszufinden, was sie wirklich in ihrem Leben wollen und was ihre Bedürfnisse sind.
Und auch die in den letzten Jahren immens gestiegene Vielfalt der Optionen bei allen LebensÂentscheidungen (Studium, Beruf, PartnerÂschaft …) stellt einen Belastungsfaktor dar. Diese Vielfalt kann überfordernd sein und zu OrientierungsÂlosigkeit führen. Auch fördert sie die Angst, bei jeder Entscheidung eine „noch bessere Option“ zu verpassen und dadurch „nicht mithalten“ zu können.
Und inwiefern spielt für das Erleben der jungen Menschen auch ihre Zukunftsperspektive eine Rolle?
Die ökonomischen, sozialen und ökologischen Bedingungen sind für die jungen Erwachsenen von heute deutlich härter als noch für ihre Eltern. Viele fragen sich schon jetzt angesichts von WohnungsÂnot und sinkenden Reallöhnen: Werde ich mit meinem Job überhaupt genug Geld verdienen, um davon auf Dauer leben zu können? Angesichts der zunehmend erschöpften Ressourcen unseres Planeten ist vielen der jungen Menschen, die ich befragt habe, bewusst, dass sie das WachstumsÂnarrativ, mit dem sie und ihre Eltern aufgewachsen sind, in seiner jetzigen Form nicht weiterÂleben werden können. Die globalen „Krisen unserer Zeit“ beeinÂträchtigen ihre ZukunftsÂperspektiven in einem extremen Maße: Beängstigende Szenarien der KlimaÂkatastrophe, weitere ökologische Krisen, die CoronaÂkrise, die bei vielen Spuren hinterlassen hat, die Bedrohungen unserer Demokratien durch zunehmenden RechtsÂradikalismus und Autokratismus, Kriege – all diese Entwicklungen nehmen den jungen Menschen die Zuversicht für ihre Zukunft. Dabei sollten sie in diesem Alter eigentÂlich unbeschwert ihr eigenes Leben aufbauen und entwickeln können. Immer mehr junge Frauen erzählen mir, dass sie sich eigentlich Kinder wünschen, das aber in dieser Welt nicht verantworten können. Von Politik und GesellÂschaft fühlen sich die jungen Menschen regelmäßig übergangen; diejenigen, die politisch aktiv sind, überfordern sich oft in ihrem Aktivismus und verzweifeln daran, „gegen Windmühlen“ anzukämpfen.
Was denken Sie, sollte angesichts dieser Situation getan werden?
Ich habe keine Lösungen. Ich bin keine Politikerin, Ökonomin, Soziologin oder Juristin. Aber ich rege an, Fragen zu stellen. Ich würde mir eine breite öffentliche Diskussion wünschen: Welche Aspekte unserer GesellÂschaft tragen gerade dazu bei, dass immer mehr junge Menschen psychisch erkranken? Und wie können wir eine (noch) lebensÂwerte Zukunft für heute junge Menschen erhalten? Dringend notwendig wäre dazu meines Erachtens eine Abkehr von der aktuellen Wachstums- und SteigerungsÂlogik unseres Denkens und Wirtschaftens, denn diese Logik gefährdet nicht nur die psychische Gesundheit der jungen Generationen, sondern bedroht auch unser aller ZukunftsÂperspektiven. Alternative Ideen, die mir im Laufe meiner Recherchen dazu begegnet sind und die ich im Buch auch benenne, erhalten derzeit noch zu wenig mediale Aufmerksamkeit.
Ihr Buch endet mit einem Appell – sowohl an die jüngeren wie auch an die älteren Leser*innen. Wozu fordern Sie auf?
Ich ermutige die jüngeren Leser*innen, offen über ihre Beschwerden zu sprechen und sich darüber mit anderen auszutauschen. Auch ermutige ich sie, sich von schädigenden „musts“ unserer GesellÂschaft zu distanzieren und sich zu erlauben, eigene Ziele und Werte für ihr Leben zu definieren. In Bezug auf ihre ZukunftsÂperspektiven rufe ich sie dazu auf, politisch aktiv zu werden: Denn das beste Mittel gegen Angst ist es, aktiv gegen die drohende Gefahr zu handeln, und dies am besten in VerbundenÂheit mit vielen anderen. Gleichzeitig gilt es, sich bei diesem EngageÂment nicht zu überfordern, auch kleine Erfolge zu „feiern“ und zuversichtlich zu bleiben.
Die Älteren rufe ich auf, mehr Verantwortung für die jüngeren Generationen zu übernehmen und daran mitzuwirken, die hier beschriebenen Belastungen für junge Menschen zu vermindern. Auch sie fordere ich auf, politisch aktiv zu werden – zum Wohle der kommenden Generationen, denn das sind ihre Kinder und Enkelkinder! – und dabei auch ihre eigenen Werte und ihren Lebensstil zu überdenken und zu verändern.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Auch die Jugendstudie 2024 kommt zu dem Ergebnis, dass junge Menschen zwischen 14 und 29 pessimistisch in die Zukunft blicken. Der WDR fasst die Studie von Jugendforscher Simon Schnetzer in diesem Artikel zusammen.