Grenzgängerinnen
Frauen zwischen Opfer und Täterin in extremistischen Milieus
Anlässlich der Erscheinung ihres neuen Buches „Frauen im Extremismus“ führten wir ein Interview mit unserer Autorin Nina Käsehage. Sie ist habilitierte Religionswissenschaftlerin und mit vielen Veröffentlichungen im Bereich sozialer wie religiöser Radikalisierungsprozesse eine profilierte Extremismus-Expertin. In unserem Interview beleuchten wir zum einen Hintergründe und Motivationen zu ihrer Arbeit über extremistische Bewegungen. Zum anderen gibt sie Einblicke in ihre Feldstudien.

Nina Käsehage
Frauen im Extremismus
Radikale Rekruteurinnen zwischen Tradition und Moderne
2025. 188 Seiten.
€ 28,–
ISBN 978-3-17-046294-6
Nach Ihrem letzten Buch „The Young Sahaba“ haben Sie ihren Fokus erweitert. Was war der Auslöser für Sie, sich mit Frauen in extremistischen Bewegungen zu beschäftigen?

Immer mehr Mädchen und junge Frauen radikalisieren sich. Viele Menschen denken dabei zunächst an weibliche Mitglieder von rechtsextremen oder radikal-islamischen Bewegungen, aber es gibt auch andere Spektren, die ein extremes Gedankengut aufweisen, die attraktiv für Frauen sind. Mit dem Buch Frauen im Extremismus. Radikale Rekruteurinnen zwischen Tradition und Moderne wollte ich genau diese Vielzahl unterschiedlicher extremistischer Betätigungsfelder aufzeigen, in denen Frauen wichtige Funktionen bekleiden.
Das Geschlecht der Frauen wird jedoch nicht nur von den extremen Gruppen für ihre Zwecke instrumentalisiert. Auch die Sichtweise der Gesellschaft auf Mädchen und Frauen sowie das Bild, das die Medien von ihnen entwirft, stereotypisiert sie – noch im 21. Jahrhundert.
Welche Reaktionen erhalten Sie, wenn zur Sprache kommt, dass Sie sich mit dem Thema beschäftigen?
Viele finden es interessant, dass ich die Rolle von Frauen im Extremismus untersuche, weil diese bisher nur stellenweise betrachtet worden ist. Es wird auch gefragt, warum sich Frauen in bestimmten Gruppen engagieren, die sich gegen ihr eigenes Geschlecht wenden oder sich bewusst Männern unterordnen. Das verstehen viele Menschen nicht.
In einer Zeit, in der die familiäre und schulische Bildung vom Gedanken der Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung geprägt ist, fragen sich einige, wieso manche Frauen ein Weltbild aufleben lassen möchten, unter denen z. B. ihre Großmütter noch gelitten haben. Für sie sind diese Frauen verblendet und unfrei, obwohl die im Buch thematisierten Frauen das genaue Gegenteil von sich behaupten (möchten).
Gibt es heute mehr oder weniger extremistische oder radikale Frauen? Wenn ja – wie erklären Sie sich den Unterschied?
Es gab zu jederzeit Frauen mit radikalen Gedanken und extremen Ansichten, nur traten sie damals weniger prominent in Erscheinung als sie dies im Zeitalter von Social Media und Selbstvermarktung tun.
Gibt es bestimmte Faktoren oder Umstände, die begünstigen, dass Frauen sich extremistischen Bewegungen anschließen? Unterscheiden sie sich von denen der Männer?
Die Gründe, sich einer extremen Bewegung anzuschließen, sind sowohl bei Männern als auch bei Frauen immer individuell. Manche Frauen neigen dagegen, sich von Männern instrumentalisieren zu lassen, während andere versuchen, bestimmte Zuschreibungsweisen an Männer, z. B. in Bezug auf Gewalt, zu übertrumpfen: Sie treten noch gewaltbereiter, noch unnachgiebiger auf. Daneben gibt es Frauen wie z. B. die „Tradwives“, die von paternalistischen Weltbildern persönlich profitieren, in dem sie sich einen bestimmten Lebensstil von Männern finanzieren lassen, die ein solches Weltbild vertreten.
Die Motivlagen von Frauen sich für ein extremes Milieu und gegen ein anderes zu engagieren, sind mannigfaltig.
Was hoffen Sie, mit diesem Buch zu erreichen?
Ich möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Frauen sich genau wie Männer radikalisieren und ebenso wie Männer tragende Rollen in extremistischen Bewegungen anstreben und auch ausführen. Vielfach wird in unserer Gesellschaft noch immer davon ausgegangen, dass Frauen lediglich Opfer oder Mitläuferinnen extremistisch orientierter Männer seien und sich nur deshalb in radikalen oder gewaltbereiten Gruppen engagierten. Das ist sicherlich zum Teil so, aber es gibt ebenfalls zahlreiche Frauen, die selbst aktiv radikale Botschaften verbreiten, zum Kampf aufrufen oder rückwärtsgewandte Weltbilder vertreten. Hier müsste die Präventionsarbeit verstärkt ansetzen und die Strafverfolgung sollte die Taten dieser Frauen nicht aufgrund ihres Geschlechts milder bewerten als die Taten der Männer. Dies wäre eine deplatzierte ‚Ritterlichkeit‘, die in Zuge einer juristischen Betrachtung von Straftaten wenig sachdienlich ist. Im Gegenteil: Immer mehr extremistische Gruppen nutzen diese einseitige Bewertung von Extremistinnen aus und setzen auf Frauen an vorderster ‚Front‘, z. B. die Gruppe der Identitären. Hier handeln Frauen verstärkt als Rekruteurinnen und Wortführerinnen und ziehen dadurch Anhängerinnen in den Bann ihrer extremen Ideologie.