Anlässlich des Erscheinens des Bandes Global History und Weltgeschichte von Professor Dr. Rolf-Ulrich Kunze führten wir mit dem Autor das folgende schriftliche Interview:
Gobal History oder Globalgeschichte ist das Schlagwort der Stunde. Ãœberall kann man es lesen, was genau versteht man darunter?
Nicht das, woran verständlicherweise die meisten wegen der brennenden Tagesaktualität sofort denken: Globalisierungsgeschichte. Die Globalgeschichte ist nicht einfach die Vorgeschichte der Globalisierung, die davon handelt, warum es zu dieser und keiner anderen globalisierten Welt kommen musste. Deshalb bietet sie auch keine vorgefertigten Antworten auf die Globalisierungskrisen unserer Zeit. Die Begriffe Global- und Globalisierungsgeschichte unterscheidet ihre Perspektive: statisch beschreibend der eine, prozesshaft beschreibend und zugleich stark mit Wertungen aufgeladen der andere. Sie verbindet die ,planetarische‘ Dimension, und eine der großen Herausforderungen der Global History liegt darin, zunächst einmal zu klären, was damit eigentlich gemeint ist. Beide Begriffe verstehen sich keineswegs von selbst. Ein Blick auf die Begriffsverwendungsgeschichte hilft. Globalgeschichte entsteht seit den 1960er Jahren einerseits außerhalb der westlichen Welt, vor allem in ehemaligen westlichen Kolonien, mit dem Ziel, die Dominanz des Westens in der historischen Interpretation zu relativieren; dann gerade in den Zentren des vormals und teilweise immer noch imperial ausgreifenden Westens, Großbritannien und den USA, zur Reflexion genau dieser Herausforderung. Die hier vertretenen Positionen sind extrem heterogen, gemeinsam ist ihnen ein anti-eurozentristischer Konsens. Als Definition: Globalgeschichte versteht und erzählt geschichtliche Prozesse nicht mehr als Summe von (westlichen) Nationalgeschichten, sondern als weltumspannendes Bewegungsbild wechselseitiger Einflussnahme durch Gewalt, Ideen und Waren.
Ihr Buch trägt die Weltgeschichte im Namen. Ist die Weltgeschichte identisch mit der Globalgeschichte? Und warum benötigt man überhaupt so unterschiedliche Begriffe?
Begriffe ordnen die Welt. Und sie ermöglichen das Verständnis einer Zeit, die sich ,von etwas einen Begriff‘ macht: jede Zeit ihren eigenen. Die Bezeichnung Weltgeschichte ist älter als Global History/Globalgeschichte. Sie stammt aus einem deutschen intellekÂtuellen Diskurs seit der Aufklärung. Ihre idealtypische Verwirklichung findet WeltÂgeschichte als ein philoÂsophisches Konzept der Weltdeutung bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel. In der Abgrenzung von Hegels GeschichtsÂphilosophie entsteht dann die moderne deutsche und europäische Geschichte als Wissenschaft. Insofern brauchen wir die verschiedenen Begriffe für die präzise Beschreibung der WissenÂschaftsÂgeschichte, weil sie für deutlich unterÂschiedliche Konzepte stehen.
Anhand zahlreicher Beispiele und zentraler Meilensteine der historischen Forschung im 20. Jahrhundert zeigen Sie auf, dass die Globalgeschichte auf den Schultern eines Riesen steht. Was wünschen Sie sich, dass der Leser mitnimmt?
Eine Faszination dafür, wie lange schon sich u. a. Philosophen und Historiker bemühen, die Wirkungs- und Erlebniszusammenhänge von Lokalität, Überregionalität, Internationalität und schließlich auch Globalität besser zu verstehen. Hegel, Marx und Weber gehören zu den Riesen, von denen hier die Rede sein muss. Man begibt sich also in anregende Gesellschaft und bohrt richtig dicke Bretter.
Hat die Globalgeschichte Zukunft oder ist es eher eine Modeerscheinung, die wir in zehn Jahren vergessen haben werden?
Glücklicherweise ist der Historiker ein rückwärtsgewandter Prophet. Und mit Voraussagen ist es bekanntermaßen schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Aber ich will mich nicht um die Antwort drücken: Das hängt ganz von uns Historikerinnen und Historikern ab. Die Globalgeschichte wird nicht ein weiterer ,Turn‘ und eine Anleitung zum Trockenschwimmen bleiben, wenn es ihr gelingt, den u. a. von Jürgen Osterhammel eingeschlagenen Weg hin zur globalhistorischen Historiographie ganzer Jahrhunderte zu finden.
In einem Satz … Was lernt man aus Ihrem Buch?
Gelassenheit gegenüber Komplexität, Respekt vor Diversität, Skepsis im Umgang mit monokausalen Erklärungen, und hoffentlich auch, sich trotz allem die Freude an historischen Narrationen zu erhalten.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.