Anlässlich des Erscheinens der zweiten Auflage von Wilfried Hartmanns Biographie über Karl den Großen führten wir folgendes schriftliches Interview:
Karl der Große hat auch über das Jubiläum seiner Kaiserkrönung hinaus Konjunktur. Was waren die wichtigsten Ergebnisse des Gedenkjahres?
Sehr wichtig waren für mich die Ausstellungen, weil sie über die zahlreichen neuen Bücher und Aufsätze hinaus die Möglichkeit eröffneten, die Zeit Karls des Großen anschaulich zu erleben. Die große Karlsausstellung in Aachen hat eine große Zahl von Handschriften vorgestellt, die zum Teil mit wunderbaren Illustrationen ausgestattet sind, auch äußerst wertvolle Kunstgegenstände sowie Überreste von Baulichkeiten wurden gezeigt. In Ingelheim konnte man die Rekonstruktion des Königspalasts ansehen, in Zürich die Reste der Bauten aus Karls Zeit in der Schweiz. Leider ist die für Berlin geplante Ausstellung nicht zustande gekommen, in der Karl in den Umkreis der anderen Großreiche im Mittelmeerraum, also das arabische Kalifat und das byzantinische oder oströmische Reich gestellt werden sollte. Immerhin gibt es einen schönen und gut bebilderten Sammelband, der dieses Thema behandelt.
Ihre Biographie besticht durch ihren Aufbau, anhand man sich leicht über Karl und die wesentlichen – modern gesprochen – Politikfelder orientieren kann. Können wir aus der näheren Kenntnis von Leben und Taten Karls für uns heute etwas lernen?
Ob man aus der Geschichte überhaupt etwas lernen kann, ist ja seit langem umstritten. Die Historiker sagen: eher nein! Aber man kann Verständnis für das Andere, das Ungewohnte, das Fremde gewinnen, und das können wir sicher in unserem heutigen Alltag sehr nötig brauchen.
War die Kaiserkrönung auch Karls Höhepunkt oder gibt es auch andere wichtige Vorgänge im Leben Karls, die für ihn und seine Geschichte prägend waren?
Stärker noch als die Kaiserkrönung dürfte Karl auf die Nachwelt durch seine Bildungspolitik, seine Sorge für das Recht und sein Bemühen, die innere Christianisierung in seinem Reich voranzubringen eingewirkt haben. Und diese Themen sind es ja auch, die in der von mir verfassten Biographie im Zentrum stehen.
Hat sich ihr Bild über Karl während des Schreibens seiner Biographie verändert?
Sympathie für Karl war bei mir wohl schon seit langem vorhanden. Ich könnte mich nicht über längere Zeit mit einem Thema beschäftigen, dessen wichtigster Protagonist mir nicht sympathisch ist. Was mich aber immer wieder an Karl gestört hat, weil es uns heute eher fremd ist, war seine Bereitschaft zu brutaler Gewalt. Aber als Biograph muss man sich dieser Wahrheit aussetzen und versuchen, Karls zahlreiche Gewalthandlungen zu verstehen, was natürlich nicht heißt, dass man sie entschuldigen darf. Andererseits muss man aber sehen, dass es nicht wenige Handlungen und Anweisungen gibt, die Karl als Gegner von Gewalt erweisen: so hat er versucht, im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen blutige Zweikämpfe zu vermeiden und er hat statt dessen das unblutige Gottesurteil der Kreuzprobe durchsetzen wollen. Auch die Todesstrafe für Hexen und Zauberer hat er abgelehnt; sie sollten vielmehr durch eine längere Haft zur Einsicht und zur Umkehr gebracht werden. Überhaupt ist die Todesstrafe in Karls Zeit – im Unterschied zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit – nur selten vollzogen worden. Es ist daher falsch, wenn man die Zeit Karls des Großen als eine Epoche ungebremster Gewalttätigkeit beschreibt.
Warum sind Biographien über frühmittelalterliche Könige so gefragt?
Vielleicht liegt es daran, dass wir die heutigen politischen Vorgänge als sehr unübersichtlich empfinden, dass wir den Eindruck haben, man könnte heute nur schwer feststellen, wer eigentlich hinter einer politischen Entscheidung steht. Das scheint im Mittelalter anders gewesen zu sein: damals – so könnte man meinen – war es anscheinend der König, der allein zu entscheiden hatte und dessen Wort auch befolgt wurde. Damit erscheinen politische Vorgänge als sehr übersichtlich, weil klar war, wer über- und wer untergeordnet war. Eine solche Sicht trifft aber nicht zu: Der Herrscher war auch im Mittelalter sehr beschränkt in seinen Möglichkeiten, er hatte auf die Großen seines Reiches Rücksicht zu nehmen, seine Kenntnisse über die Vorgänge in seinem Reich waren äußerst ungenau und unscharf. Vielleicht lässt sich gerade hier die Besonderheit Karls des Großen zeigen: er besaß anscheinend so viel Charisma, dass er den Widerstand seiner Großen bändigen konnte, und er besaß die Fähigkeit zur Zusammenschau und zur Übersicht, ohne die sich ein großes Reich weder erobern noch zusammenhalten lässt.
Wir danken Ihnen für Ihre Mühe.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.