Dr. Bert Howald ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in einer wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzlei in Stuttgart. Im Jahr 2018 veröffentlichte er das Buch „Haftungsrecht für die Pflege“.
Herr Dr. Howald, Sie arbeiten derzeit als Fachanwalt für Arbeitsrecht. Wie sind Sie dazu gekommen, ein Buch speziell zum Recht für die Pflege zu schreiben?
Ich bin seit vielen Jahren auch in der Rechtsberatung für einen Berufsverband für Pflegeberufe tätig. Außerdem halte ich regelmäßig Vorträge und Schulungen rund um das Thema Recht und Pflege. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht sehe ich außerdem tagtäglich, mit welchem persönlichen Einsatz und Engagement Beschäftigte in der Pflege ans Werk gehen. Ich hatte daher schon früh die Idee, mich mit dem Thema Haftung wissenschaftlich vertieft zu befassen und einen Beitrag zu diesem wie ich finde überaus spannenden Thema zu liefern.
Im Buch beschreiben Sie zahlreiche Haftungsfälle im Pflegebereich. Gibt es so etwas wie die größten Fallen, denen man im Berufsfeld der Pflege stets ausgesetzt ist?
Auf jeden Fall sollte man das Thema Berufshaftpflicht als Mitarbeiter, aber auch als Führungskraft in der Pflege nicht vernachlässigen. Die Tätigkeit in der Pflege ist mit einem hohen Maß an Verantwortung für Menschen verbunden. Aber überall dort, wo Menschen am Werk sind, können auch einmal Fehler passieren. Deshalb ist es wichtig, dass jeder Einzelne gegen Haftungsrisiken auch ausreichend abgesichert ist.
Würden Sie sagen, dass es unverzichtbar ist, sich mit dem Haftungsrecht auseinanderzusetzen, bevor man den Pflegeberuf ausübt? Was sollte Ihrer Meinung nach in der Pflegeausbildung dafür getan werden, um Auszubildende umfassend aufzuklären und wie kann man sich als gestandene Pflegekraft auf dem Laufenden halten?
In den Ausbildungsplänen sind ja heute schon viele Rechtsthemen verankert. Ich habe außerdem die Erfahrung gemacht, dass in der Ausbildung auch Haftungsthemen verstärkt zur Sprache kommen. Den Berufsanfängern kann dadurch aber auch zugleich ein Stückweit die Befürchtung genommen werden, dass in ihrem Berufsleben nun auf Schritt und Tritt Haftungsprozesse drohen. Das ist in Wirklichkeit natürlich nicht der Fall.
Was raten Sie beruflich Pflegenden, die in ihrem Arbeitsalltag mit Situationen konfrontiert sind, in denen Sie unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen oder in denen sie sich sogar bereits haftungsrechtlich strafbar gemacht haben?
Ich rate immer zur Besonnenheit. Ob tatsächlich eine strafrechtliche oder zivilrechtliche Verantwortlichkeit gegeben ist, lässt sich gar nicht immer sofort feststellen. Man sollte auch nicht vorschnell ein angebliches Fehlverhalten einräumen. Viele Pflegekräfte sind in Berufsverbänden organisiert und sollten sich zunächst über den Verband beraten lassen. Natürlich kann man auch zum Rechtsanwalt gehen. Aber das sollte nicht der Anwalt um die Ecke sein, der vielleicht schon einmal den Verkehrsunfall geregelt hat. Anwalt ist nicht gleich Anwalt, und das gilt ganz besonders bei so einem Thema wie Pflege und Haftung.
Was können Arbeitgeber und Leitungskräfte tun, um Ihren Mitarbeitern Rechtssicherheit im Pflegealltag zu geben?
Ich rate zu einem pragmatischen Umgang mit dem Thema Haftung. Strukturelle Mängel in Arbeitsabläufen sollten offen angesprochen werden dürfen. Wer Missstände anspricht, sollte nicht als „Brunnenvergifter“ an den Pranger gestellt werden. Das Thema Überlastung ist natürlich ein hochsensibles Thema im Pflegealltag. Hohe Krankenstände, chronische Unterbesetzung, Mangel an Fachkräften, Sparzwänge, Ressourcenknappheit, das alles ist ein Nährboden für Pflegefehler. Das ist auch pflegewissenschaftlich längst nachgewiesen. Trotzdem gibt es im Alltag ja selten ideale Zustände. Wenn Vorgesetzte und Mitarbeiter gemeinsam an einem Strang ziehen, kann viel erreicht werden. Dabei können auch die Mitarbeitervertretungen einen großen Beitrag zu einem kooperativen Miteinander leisten. Wenn es tatsächlich Konflikte im Team gibt, sind zeitgemäße Konfliktbeilegungsstrategien gefragt. Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen mit Mediatoren gemacht. Auch die berufsständischen Vereinigungen wie Pflegeverbände bieten oft erstklassige Konfliktberatungen an. Diese Berater und Mediatoren sind keineswegs parteiisch, sondern neutral. Wenn es um mehr Rechtssicherheit geht, empfehle ich, dass die Mitarbeiter regelmäßig nicht nur pflegefachlich geschult werden, sondern auch Fortbildungen über Rechtsthemen in der Pflege besuchen dürfen. Hierzu gibt es natürlich auch zertifizierte Anbieter im Sinne der Bildungsurlaubsgesetze der Länder.