Anlässlich des Erscheinens des Bandes Historische Jubiläen als kollektive Identitätskonstruktion im Kohlhammer-Verlag führten wir mit der Autorin Dr. Catrin B. Kollmann das folgende schriftliche Interview.
Der Titel Historische Jubiläen klingt zunächst recht sperrig. Was haben wir denn unter Identitätskonstruktionen im historischen Bereich zu verstehen?
Ich gehe in meiner Arbeit der Frage nach wie sich Kollektive – nach Jan und Aleida Assmann auch Erinnerungsgemeinschaften genannt – historisch erinnern und dadurch ihre Identität bilden. Kurz gesagt: Man muss wissen, woher man kommt, um zu wissen, wohin man geht. Durch das Teilen gemeinsamer Erinnerungen, und im Falle der benannten Kollektive müssen diese noch nicht mal tatsächlich gemeinsam erlebten Situationen sein, bildet sich ein Bewusstsein für Gemeinschaft. In der Erinnerungskultur besteht dieses Erinnern als historisches Erinnern, in Form geschichtlicher Ereignisse, die die Erinnerungsgemeinschaft für sich tradiert – wie z. B. der Fall der Mauer oder das Ende des zweiten Weltkrieges. Letztgenannte Beispiele bilden z. B. die Identität der deutschen Nation.
Die historische Fachdidaktik beschäftigt sich mit der „Lehre” vom „Lehren“. Warum braucht es eine „Metawissenschaft“, um Geschichte zu verstehen?
Aus mehreren Gründen, aber ich möchte dies gerne an einem Beispiel benennen: Wenn ich als Schüler oder Rezipient die Muster der Erzählung durchblicke, kann ich für mich auch die Frage nach Perspektivität, Selektivität usw. stellen. Geschichte wird „erzählt” – wie sich diese Erzählungen gestalten, welche Sinnbildungsmuster dabei greifen, ist die spannende Frage. Wir alle kennen die Darstellung historischer Ereignisse, die je nach Blickwinkel des Erzählenden anders gewertet werden – auch wenn sie auf gleicher Quellenlage basieren. Diese Muster zu kennen – also eine Metaebene einnehmen zu können, die theoretisch durchdacht und fundiert ist – macht möglich, immer wieder an verschiedenen Beispielen durch zu deklinieren, wie Geschichte konstruiert wird und davon ableitend eine kritische Sicht zu erlangen.
Als prägnantes Beispiel führen Sie Höchstadt an der Donau vor, wo die Geschehnisse einer außerordentlich blutigen Schlacht heute in eine positive Erinnerung transformiert wurden. Wie konnte dieser positive Umgang mit der eigenen Geschichte erreicht werden?
Die Schlacht an sich ist nicht positiv konnotiert, auch nicht die Erinnerung daran. Ein klares Indiz dafür ist, dass das Gedenken an die Schlacht nie als Jubiläum tituliert wird, sondern immer als Gedenkjahr; schon bei 250. Jubiläum der Schlacht 1954 wurde der Begriff Jubiläum nicht verwendet – auch wenn der Begriff an sich weder positiv noch negativ belegt ist. Erst auf einer weiteren Ebene – dort wo es um die Realisierung des Jubiläums, d.h. seine geschichtskulturellen Realisierungen geht, die Erinnerungsfiguren und Erscheinungsmedien, die verwendet werden – wird deutlich, dass ähnliche Instrumentarien und Manifestationen verwendet werden wie bei den positiven Stadtjubiläen Höchstädts. In meiner Arbeit habe ich dabei diese geschichtskulturellen Manifestationen kategorisiert, bei den Manifestationen der Kategorie „Versinnlichen und Erleben” werden z. B. sowohl bei den Positiv- als auch Negativjubiläen der Stadt Höchstädt historische Umzüge realisiert. Die spannende Frage, die sich stellt, ist, ob das historische Erinnern unabhängig von einer positiven Konnotierung, ähnlichen (von mir theoretisch durchdachten) Mustern vollzieht. Kernfrage ist und bleibt das historische Erinnern und wie es die kollektive Identität bildet – der Anlass dafür ist zweitrangig. Die Muster, in denen sich die kollektive historische Erinnerung vollzieht, und das Geschichtsbewusstsein, das sich dadurch entwickelt, stehen für mich im Fokus meines Interesses.
Können Sie in drei Sätzen sagen, was das besondere an Ihrem Zugang zu solchen Jubiläen ist?
Ich habe für die Untersuchung basierend auf den Forschungen aus den Disziplinen Geschichtskultur und Erinnerungskultur einen eigenen theoretischen Zugriff auf das Thema historisches Jubiläum entwickelt. Die von mir dort grundgelegten theoretischen Muster habe ich am Beispiel Höchstädts untersucht; dieses Fallbeispiel bietet die Möglichkeit eines diachronen und synchronen Zugriffs auf Jubiläen, da sowohl Negativ- als auch Positivjubiläen vollzogen wurden, dazu über einen Zeitraum von 100 Jahren, in den Ausprägungen von „runden” Jubiläen, aber auch in Form von Gedenktagen. Und es bietet die Gelegenheit zwei um dasselbe geschichtliche Ereignis konkurrierende Kollektive miteinander zu vergleichen: die Stadt Höchstädt und die Gemeinde Blindheim.
Wer profitiert von dem von Ihnen entwickelten Analyseraster? Können es auch Nichtwissenschaftler verwenden?
Das Analyseraster soll sowohl die in der Geschichtskultur tätigen Personenkreise unterstützen als auch die Adressaten historischen Erinnerns. Wie oben benannt: Wer z. B. Sinnbildungsmuster durchblickt, kann einen eigenen Standpunkt entwickeln und kritisch hinterfragen. Die im Bereich der Geschichtskultur Tätigen können das Raster sowohl zur Analyse begangener Jubiläen und deren geschichtskulturellen Manifestationen nutzen als auch bei der Planung und Erstellung neuer Manifestationen. Das theoretisch fundierte Denkraster dazu bleibt immer gleich.
Wir danken Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.