Anlässlich des Erscheinens des Bandes Jan Hus führten wir mit dem Autor Dr. Pavel Soukup das folgende schriftliche Interview.
Jan Hus ist untrennbar mit dem Konstanzer Konzil, das von 1414 bis 1418 in der Bodenseestadt stattfand, verbunden. Dennoch ist die Geschichte von Jan Hus viel umfassender, vielschichtiger und interessanter. Was macht Hus so einzigartig?
In der Tat ist es nicht nur seine Verbrennung als Ketzer in Konstanz, was Jan Hus bemerkenswert macht: Ein öffentlich tätiger und umtriebiger Gelehrter wie er ist vor allem wegen seines Lebens und Wirkens von Interesse. Dass ein anfangs gewöhnlicher Professor und Prediger zu einer international bekannten Persönlichkeit avancieren konnte, dass es den mächtigsten Kirchenmännern und klügsten Köpfen Europas der Mühe wert war, ihn zu beseitigen, deutet auf einen wirklich einzigartigen Schicksal hin und ruft Fragen nach seinem Werdegang hervor. Die Ausmündung von Hus’ Lebensgeschichte auf dem Konstanzer Konzil war durch lokale Konflikte in Prag und Böhmen genauso wie durch große zeitgenössische Widersprüche in der abendländischen Kirche bedingt. Dank den vielen Kontroversen, die er zu seinen Lebzeiten hervorgerufen hat, und dank seinem posthumen Ruhm haben wir eine relativ reichhaltige Dokumentation zu ihm überliefert. Diese Quellen erlauben es, sein Lebensweg ziemlich detailliert zu rekonstruieren, was bei mittelalterlichen Persönlichkeiten nicht immer der Fall ist.
Die Verbrennung auf dem Konstanzer Konzil als Ketzer lässt sich also auch auf politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen in der Kirche wie im Reich zurückführen. Musste Hus zwangsläufig sterben?
Rein pragmatisch gesehen musste Hus in Konstanz nicht sterben: Es wurde ihm ein ziemlich annehmbarer Wortlaut des Widerrufes angeboten. Hätte er den ihm zuteil gewordenen Irrtümern abgeschworen, hätte er in einem klösterlichen Hausarrest seine Tage beschließen können. Dazu war Hus jedoch nicht bereit, weil ihn niemand überzeugt hatte, etwas an seiner Ansichten widerspräche dem Evangelium. Da zeigt sich die Fehlschätzung seiner eigene Lage: Hus dachte, man wird mit ihm in Konstanz disputieren; die Konzilsväter führten gegen ihm ein Inquisitionsprozess. Die Unvereinbarkeit dieser Standpunkte machte die Verurteilung wirklich beinahe zwangsläufig. Dazu kamen die politischen Rücksichten der großen Spieler. Für König Sigismund als römischer Herrscher und besonders als Erbe des Königreichs Böhmen wäre Hus’ Widerruf und die Schlichtung des religiös-politischen Konflikts sicher vom Vorteil. Nach dem Flucht Papst Johannes’ aus Konstanz musste er aber die Auflösung des Konzils befürchten und damit das Ende jeder Hoffnung auf die Beseitigung des päpstlichen Schismas, mit welcher er seine politische Prestige verband. Die Causa Hus konnte das Konzil in der Zwischenzeit beschäftigen. In gewissem Sinne war also Hus auch ein Opfer der höchsten Politik.
Welche Ziele hatte Hus und bestand eine Chance auf deren Durchsetzung oder war Hus ein zeitgenössischer Schwärmer und Träumer?
Hus träumte von einer harmonischen Gesellschaft, wo jeder Stand seine natürliche Rolle erfüllte und wo niemand seine ihm von Gott gegebene Macht missbrauchte. Besonders lag ihm an einer Kirche, die sich nach dem Evangelium richtete. Er war kein Radikaler, der jede Ordnung verworfen hätte und die Bibel fundamentalistisch anwenden wollte (solche hat es wenig später im hussitischen Böhmen auch gegeben). Doch konnte seine idealistische Vorstellung wohl nur in kleinen Gemeinden von Gleichgesinnten funktionieren. Hus hatte auch eine dezentralisierte Kirche ohne päpstliche Oberherrschaft vorgesehen. Am Willen zu einer solcher Umordnung fehlte es jedoch damals. Jan Hus selbst wäre wohl zufrieden gewesen, wenn er wenigstens die moralischen Forderungen umgesetzt gesehen hätte, die er letztes Endes mit seinen katholischen Gegnern teilte. Nicht einmal das ist gelungen. Ich würde das keine Schwärmerei, eher einen Idealismus nennen.
Auch wenn dies eine hypothetische oder gar kontrafaktische Frage ist, hätte sich die Kirchengeschichte ohne Jan Hus im Großen und Ganzen ähnlich entwickelt?
Hypothetische Fragen finde ich ein nützliches Gedankenspiel, da sie zur besseren Einordnung der historischen Erscheinungen beitragen können. Gehen wir mal davon aus, dass es ohne Jan Hus auch keine hussitische Revolution gab (obwohl schon dies nicht als gesichert gelten kann, da Hus viele Kollegen hatte, die hätten einspringen können). In solchem Fall könnte man sich die böhmische Reformbewegung als eine der vielen spätmittelalterlichen Frömmigkeitsbewegungen vorstellen, wie man sie aus den Niederlanden, aus Deutschland und von anderswo kennt. Man hätte auch in Böhmen Teilreformen etwa des Klosterlebens durchgeführt. Man hätte aber zugleich kaum der Entwicklung entgehen können, die zum Ausbruch der lutherischen Reformation führte. Die Frage ist, ob sich Hus’ Heimat der Reformation angeschlossen hätte – vielleicht hätte Böhmen ein streng katholisches Land geblieben, statt für ein Sinnbild der Ketzerei gegolten. Die deutsche, schweizerische, um so mehr die englische Reformation hätte es auch ohne Jan Hus gegeben, wie große Bedeutung als „Vorläufer“ man ihm auch immer zuschreiben möchte. Die Geschichte Mitteleuropas im 15.-16. Jahrhundert hätte aber wohl ziemlich anders verlaufen.
Und zuletzt, ist Jan Hus uns Heutigen ein Vorbild oder anders gefragt, was können wir von Jan Hus heute lernen?
Jan Hus kann man sicher eine personelle und Meinungsintegrität sowie Mut angesichts des Todes nicht absprechen. Ihn Helden oder Märtyrer zu nennen klingt uns heute doch etwas zu pathetisch. Man kann aber mit Sympathien auch sein Wirken als Intellektueller beobachten. Hus erfüllte gut die Rolle eines „öffentlichen Gewissens“ in der Gesellschaft. Er verstand, dem damaligen Establishment unangenehme Fragen zu stellen, wo dies nötig und nützlich war. Den kleinen Leuten sprach er das Recht zu, sich gegen Autoritäten zu wehren, wenn der ungerechte Gang der amtlichen Maschinerie sie in Verzweiflung trieb. In einer Zeit, da man den unerquicklichen Zustand der Kirche und Gesellschaft beklagte und einen Schuldigen dafür suchte, mahnte Hus, ein jeder möge bei sich selbst anfangen und sein eigenes Verhalten kritisch prüfen. Von seiner Wahrheit war er überzeugt und maß ihr – wie alle mittelalterlichen Denker – einen absoluten Anspruch bei, mindestens aber warnte er vor dem Töten von Andersgläubigen. Das war in seiner Zeit nicht selbstverständlich. Ironischerweise starb er selbst seiner Überzeugungen wegen.
Wir danken Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.