Hybridorganisation

Herr Professor Reiss, Sie als Fachmann für Organisation befassen sich seit Jahren mit hybriden Organisationsformen, die – vereinfacht gesagt – als Mischformen etwa marktliche und hierarchische Organisationsmechanismen bzw. Elemente der klassischen Organisationsmodelle verbinden. Ist Hybridorganisation ein Fall für die Theorie?

Spektrum HybridorganisationenDie Theorie hinkt beim Handling der Vielfalt von Hybridstrukturen (vgl.  Abb.) eher der Realität hinterher: Es geht also nicht um die akademische Konstruktion möglicher Hybridwelten, sondern primär um die wissenschaftliche Rekonstruktion von real existierenden Gebilden: Nehmen Sie z.B. die aktuelle Meldung „GM zieht Opel-Konkurrent Chevrolet aus Europa ab“, wodurch die konzerninterne hybride „Coopetition“ im Hause GM beendet wird. Die Organisationstheorie kann hierfür nicht zuletzt bessere Rahmenmodelle – jenseits der Supply Chain – beitragen, etwa das Value Net, das beispielsweise den bislang vernachlässigten Komplementoren den Stellenwert schenkt, den diese verdienen – mehr dazu findet man auch auf http://www.complementor-rm.de/

Hybridformen sind auch ein Ausdruck des Komplexitätsphänomens in der Wirtschaft, man denke etwa an die Koordination von globalisierten und hochgradig arbeitsteiligen Produktionsprozessen.

Hybridkonzepte sind einerseits selbst eine Spielart von Komplexität, jenseits von Masse, Diversity und Dynamik. Andererseits werden sie durch andere Komplexitätsformen induziert – in Ihrem Beispiel etwa die Globalisierung als der Versuch, den Weltmarkt – aus Kostengründen – mit standardisierten Produkten zu versorgen und gleichzeitig auf die nachfrageseitigen und rechtlichen Besonderheiten der verschiedenen lokalen Märkte einzugehen.

HybridorganisationKann bzw. soll man hybride Organisationsformen planen oder ergeben diese sich?

Beides: Nehmen wir die „guten Konkurrenten“, die u.a. deshalb „gut“ sind, weil sie das Interesse der Kunden für den gesamten Markt wecken und zugleich neue Wettbewerber abschrecken. Zum guten Konkurrenten wird man quasi automatisch, wenn man sich auf einem Markt betätigt und sich an die dort geltenden Spielregeln hält. Allerdings müssen die anderen Player auf dem Markt geeignete Maßnahmen zu dem Zweck planen, dass ein guter Konkurrent sich nicht zu einem schlechten Konkurrenten wandelt, indem er einen aggressiven Hyperwettbewerb anzettelt.

In vielen Bereichen der Ökonomie sind Hybridkonzepte auf dem Vormarsch, angefangen bei Affiliate-Systemen im Marketing bis hin zum Mezzaninkapital in der Finanzwirtschaft – warum eigentlich?

Weil wir in praktisch allen Bereichen nicht den „one best way“ gefunden haben, sondern lediglich mehrere, oft sehr gegensätzliche Second Best-Lösungen, die allesamt Schwachstellen aufweisen: Hybride kombinieren diese gegensätzlichen zweitbesten Lösungen, um auf diesem Weg die Schwachstellen eines Konzepts durch die Stärken des anderen zu kompensieren. Das ist zwar weniger kreativ, aber auf alle Fälle pragmatischer, als sich auf die Suche nach einer innovativen Ideallösung zu machen.

Michael ReissProf. Dr. Michael Reiss lehrt Organisation an der Universität Stuttgart. Sein Werk „Hybridorganisation. Netzwerke und virtuelle Strukturen“ können Sie hier erwerben.

Auf den Seiten der Universität Stuttgart erfahren Sie mehr über Prof. Dr. Michael Reiss.

Das Interview führte Dr. Uwe Fliegauf. 

 

Fachbereich(e): Wirtschaftswissenschaften. Schlagwort(e) , , , , , , , , , . Diese Seite als Lesezeichen hinzufügen.