Nicht alle Regionen, selbst in hochentwickelten Volkswirtschaften, profitieren von Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand. Gerade in den alten Industriegebieten, die seit Jahren vom Strukturwandel betroffen sind und die unter Abwanderung, Leerstand, Verarmung und Perspektivlosigkeit leiden, ist die Regionalpolitik besonders gefordert. Statt klassischer Transfer- und Subventionsmodelle, die oft nur überkommene Strukturen künstlich am Leben erhalten, sind neue Ideen gefragt. Ideen, die neue Entwicklungen in der Arbeitswelt aufgreifen und für die Weiterentwicklung von Regionen, gerade der benachteiligten instrumentalisieren. In dem von Prof. Dr. Harald Pechlaner (Universität Eichstätt-Ingolstadt) und Dr. Elisa Innerhofer (Center for Advanced Studies der Eurac Research in Bozen) herausgegebenem Sammelwerk werden „temporäre Konzepte“ und hier vor allem Coworking, Coliving und kurzfristige Nutzungsformen als Instrumente und Ressourcen für sozio-ökonomische Veränderungsprozesse vorgestellt. Dazu haben wir mit den Herausgebern ein Kurzinterview geführt:
Gleich zu Beginn, Hand aufs Herz, sind die von Ihnen vorgestellten temporären Konzepte in der Regionalentwicklung nicht nur eine kurzlebige Mode?
Wenn wir uns die gesellschaftlichen Veränderungen und Entwicklungen und hier insbesondere die Veränderungen in der Arbeitswelt vor Augen führen, dann müssen wir die Frage sicherlich mit nein beantworten. Globalisierung, demographischer Wandel, Digitalisierung, die zunehmende Mobilität, dynamische Märkte und gesellschaftlicher Wertewandel, um nur einige zu nennen, fordern ein Umdenken bezogen auf die Arbeits- und Lebenswelten. In diesem Zusammenhang sprechen wir in unserem Buch auch von der Entgrenzung, zeitlicher, räumlicher und rechtlicher Natur. Flexible Arbeitsmodelle, wie Telearbeit oder Smart Working, verbreiten sich zunehmend. Die technologischen Hilfsmittel machen es möglich auch außerhalb des Betriebes, unabhängig von Raum und Zeit, zu arbeiten.
Doch auch die Art und Weise, wie wir in Zukunft zusammenleben werden, verändert die Anforderungen an den Wohn- und Lebensraum. Traditionelle Formen des Zusammenlebens werden durch neue familiäre Lebensgemeinschaften ergänzt, die Anzahl der Single-Haushalte steigt und ebenso die Anzahl jener Menschen, die an mehreren Orten zuhause sind. Das verändert die Infrastrukturen in den Dörfern und Städten. Die temporären Konzepte sind nur ein Gestaltungsansatz, wie mit diesen Veränderungen umgegangen werden kann. Bezogen auf die Veränderungen an sich, gibt es eigentlich kein Zurück mehr. Das gilt nach unserer Einschätzung auch für die Idee des Temporären, wobei die Entwicklung dieser Konzepte sicher noch an ihren Anfängen ist.
Daran schließt sich die Frage nach den konkreten Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten der (öffentlichen) Politik an – was können Staat, Länder und Regionen tun, um temporäre Konzepte zu fördern und in rückständigen Regionen neues soziales und ökonomisches Leben entfachen?
Temporäre Konzepte können aus vielerlei Hinsicht für weniger attraktive Räume, benachteiligte Regionen, Städte und Dörfer interessant sein, was wir im Buch aufzuzeigen versuchen. Neben den gesellschaftlichen Veränderungen waren es die ökonomischen Veränderungsprozesse, die z.B. zu einer großen Anzahl von brachliegenden Flächen und Gebäuden in bestimmten Regionen geführt haben, wobei vielfach auf politischer Ebene nicht klar ist, wie damit umgegangen werden soll. Eine Zwischennutzung dieser Immobilien für temporäre Konzepte wäre eine Möglichkeit. Und hier ergeben sich gerade durch die Digitalisierung, Konnektivität und neuen, smarten Formen der Mobilität ganz neue Möglichkeiten für verlassene, oder wie Sie es nannten, rückständige Regionen, um dort neues soziales und ökonomisches Leben zu entfachen.
Es geht weniger darum, dass temporäre Konzepte an sich gefördert werden. Auf politischer Ebene sollte eine intensivere Auseinandersetzung und Diskussion darüber geführt werden, wie wir in Zukunft leben, wirtschaften und soziale Kontakte pflegen wollen. Darauf aufbauend stellt sich die Frage, welche Systeme und Strukturen, wir hierfür benötigen. Die Politik ist dort gefragt, wo es darum geht, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich neue Konzepte für die neuen Lebens- und Arbeitsgegebenheiten entfalten können. So ist z.B. noch unklar, wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen aussehen müssen, um Errungenschaften der traditionellen Arbeitsbeziehungen, wie die sozialen Schutzmechanismen, die Rentenansprüche usw. auf die neuen Arbeitsrealitäten zu übertragen.
„Der Reiz des Temporären“ wird im Schlussessay Ihres Werkes beschworen, Coworking und Coliving, das zeigt sich schon an den Begriffen, sind eher urbane, jugendliche und technische Konzepte. Durchaus sympathisch, das alles, das zeigen auch die im Buch vorgestellten Beispiele, dennoch: Wie gelingt es, neben jungen, technisch aufgeschlossenen bzw. angeschlossenen Menschen auch die übrige Bevölkerung mitzunehmen?
Wie Sie richtig annehmen, florieren diese Konzepte momentan im urbanen Raum, in attraktiven Städten, wie z.B. in Berlin, welche Jungunternehmer, Freiberufler und solche die es werden wollen, anziehen und über ausreichend Räumlichkeiten zur temporären Nutzung verfügen. Coworking und Coliving, sprich temporäre und gemeinschaftsorientierte Lebens- und Arbeitsformen sind eine Lösung für die veränderten Lebensentwürfe und Bedürfnisse, die kennzeichnend sind für bestimmte gesellschaftliche Schichten. Das ist kurzfristig sicherlich richtig und es wird auch in Zukunft nicht alle Bevölkerungsgruppen treffen, aber die Anzahl der Betroffenen steigt und diese leben im urbanen und im ländlichen Raum. Laut Schätzungen werden die Jobnomaden mit Patchworkbiographien bereits 2020 ein Drittel der Beschäftigten ausmachen.
Aber es geht hier nicht nur um die temporären Konzepte. Das was wir in unserem Buch aufzeigen, ist nur ein Gestaltungsansatz, mit welchem auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert werden kann. Um langfristig alle Bevölkerungsgruppen mitzunehmen, müssen gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen Gegenstand breit geführter gesellschaftlicher Debatten sein. Es geht eben nicht „immer so weiter wie bisher“. Damit sich Menschen in diesem veränderten Rahmen wieder neu verorten können, müssen Prozesse und Entwicklungen zuerst verstanden und dann auch angenommen werden. Sich z.B. dem technologischen Wandel entgegenzustellen und der Digitalisierung zu entziehen, wird kurzfristig noch irgendwie möglich, doch langfristig kaum umsetzbar oder erstrebenswert sein.