Anlässlich des Erscheinens des Bandes Die Reformation im Reich von Professor Dr. Peter Blickle führten wir mit dem Autor das folgende schriftliche Interview:
Das große Reformationsjubiläum 2017 naht und nun liegt Ihr Standardwerk zur Reformation im Reich bereits in vierter Auflage vor. Was hat sich gegenüber den vorigen Auflagen am Buch und in der Forschung geändert?
Im Buch sind alle Kapitel sind überarbeitet, aktualisiert und um die neuen Schwerpunkte der Forschung ergänzt worden. Die Reformationsforschung ist „theologischer“ geworden, die Pluralität der reformatorischen Ansätze wird heute betont. Gerade deswegen arbeitet das Buch die Hauptlinien scharf heraus, um das Neue der Theologie und Ethik gegenüber der alten Kirche (Katholizismus) verständlich zu machen.
Betrifft uns Heutige die Reformation noch, wenn man davon absieht, dass es zwei christliche Konfessionen gibt, oder ist diese Epoche nun nach Dreißigjährigem Krieg und fortschreitender gesellschaftlicher Säkularisierung abgeschlossen?
Zweifellos ist, nicht zuletzt dank des Dreißgjährigen Krieges (und der Religionskriege vor allem in Frankreich und England) und der damit gezogenen Konfessionsgrenzen die Reformation in einem gewissen Sinn „abgeschlossen“. Aber deswegen hat sie die ihr eigene Kraft keineswegs eingebüßt, vor allem nicht in Deutschland. Es ist hinreichend, an die politische Rhetorik nach der Wiedervereinigung zu erinnern („Deutschland muss protestantischer und preußischer werden“).
Warum ist die Reformation nicht nur ein „Glaubensproblem“, sondern führte zu Gewalt, Krieg und Unterdrückung? War dies abzusehen?
Religionen (Konfessionen) vertreten immer einen absoluten Wahrheitsanspruch und tendieren zur Missionierung, vor allem in ihren Anfängen. Gewalt und Krieg als Ringen um die eine Wahrheit waren damit unvermeidlich. Kein europäisches Land ist ohne Glaubenskriege in die Moderne gekommen. Toleranz oder Pluralismus waren politische Antworten auf die zerstörerische Kraft der Religion.
Das Erbe der Reformation ist also zwiespältig, die Freiheit des Gewissens, die Entdeckung der Individualität, aber eben auch die „dunkle Seite“ der Reformation, was überwiegt heute? Die positiven oder die negativen Eindrücke und wird das Reformationsjubiläum 2017 etwas an dieser Sicht ändern bzw. was verspricht man sich von dieser großen Feier mit voraussichtlich sogar eigenem Staatsfeiertag?
Weil die wechselseitige Aufrechnung positiver und negativer Folgen der Reformation in den letzten 500 Jahren zu keinem eindeutigen Ergebnis und Abschluss gekommen ist, wird auch das Reformationsjubiläum dazu dienen, diese Debatte fortzuführen. Wenn das nicht polemisch, sondern unter Berücksichtigung der erreichten Standards der Meinungs- und Religionsfreiheit geschieht, ist das eine wünschenswerte Fortsetzung einer intellektuellen Auseinandersetzung zur Selbstverständigung Deutschlands und Europas. Zumal die Spuren der Reformation für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik einschneidend waren, auch durch den Widerspruch, den sie provozierten.
Können Sie das Buch in einem kurzen Satz zusammenfassen?
Es handelt sich um eine seit der 1. Auflage fortlaufend aktualisierte einführende Gesamtdarstellung, die der Ereignisgeschichte viel Raum gönnt.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn