Anlässlich des Erscheinens des Bandes Die Guillotine und die Erfindung der Humanität von Professorin Dr. Angela Taeger führten wir mit der Autorin das folgende schriftliche Interview:
Hinrichtungen, zumal mit der Guillotine, sind heute in Deutschland verboten. Auch wenn der Ruf nach einer Todesstrafe immer wieder einmal gestellt wird. Im Titel Ihres Bandes wird eine Verbindung zwischen der Enthauptung durch die Guillotine und der Humanität hergestellt? Kann die Todesstrafe „human“ sein?
Ganz entschieden: Nein! Die Todesstrafe ist, unabhängig davon, auf welche Weise vollstreckt, ob mehr oder weniger brutal, ganz und gar nicht human. Da halte ich es mit den Abolitionisten, angefangen bei Robespierre 1791 bis hin zu Badinter 1981. Der Titel des Buchs gibt nicht etwa einer, hier: meiner gegenteiligen Überzeugung Ausdruck. Vielmehr verweist er auf die in der französischen Geschichte seit der Revolution kontinuierlich unterhaltene, immer wieder neu belebte Behauptung eines engen Zusammenhangs zwischen Guillotine und humanem Strafvollzug. Diese Behauptung ist nicht viel mehr als eine interessierte „Erfindung“, ein rhetorischer Kunstgriff, der es 1791 und in der Folge erlaubte, ein strafgesetzliches Reformwerk zu feiern, das eines seiner wichtigsten vorab gesteckten Ziele verfehlte: die Beseitigung der Todesstrafe.
Wie lautet Ihre Einschätzung, war die Einführung der Guillotine eine „humanitäre Aktion“?
Zwar löste die Guillotine weitgehend ein, was menschenrechtlich und rechtsaufklärerisch geboten war: mit dem Fallbeil konnte juridisch veranlasstes Töten auf den, wie der Code pénal verlangte, „einfachen“ Verlust des Lebens beschränkt werden, ohne ein Hinrichtungsopfer willentlich oder unabsichtlich weiteren Qualen auszusetzen. An der Einführung der Guillotine aber wirkten maßgeblich einige, wenn überhaupt, dann nur wenig philanthropisch bewegte Zeitgenossen mit, die sich des populären Etiketts „human“ bedienten, um höchst eigennützige Interessen durchzusetzen.
Beim Lesen fand ich besonders erstaunlich, dass der Erfinder der Guillotine, diese gar nicht erfunden hat. Wie kam es dazu?
Die Idee, das herkömmliche Hand-Werkzeug des Henkers durch eine unfehlbar und schnell tötende Mechanik zu ersetzen, hatte über Jahrhunderte hinweg in anderen Ländern schon technisch versierte Köpfe beschäftigt, bevor der ehrgeizige Deputierte Guillotin 1789 vor der Constituante das Urheberrecht darauf reklamierte. Der politisch dilettierende Karrierist wagte sich zur Unzeit, viel zu früh, als die Reform der Strafpraxis noch gar nicht zur Debatte stand, mit seinen Überlegungen in die Öffentlichkeit. Ein Wichtigtuer, der nur Hohn und Spott erntete. Die Presse führte ihn dem breiten Publikum so gekonnt und einprägsam als komische Figur vor, dass sein Name nachhaltig im kollektiven Gedächtnis haften und mit dem Fallbeil assoziiert blieb. Dies, obwohl der Geschmähte sich jeder Mitwirkung enthielt, als es 1792 endlich um die Konstruktion eines geeigneten Enthauptungsgeräts ging.
Die Todesstrafe fasziniert und erschreckt bis heute, warum schauen sich Menschen bis heute den Todeskampf eines anderen an?
Der kriminologischen Forschung zufolge hängt die von Hinrichtungen ausgehende Faszination wesentlich mit der Genugtuung all‘ derjenigen zusammen, die tagein, tagaus mühsam für dissozial erklärte Triebe und Bedürfnisse unterdrücken und Anerkennung für ihre Genügsamkeit dadurch erfahren, dass Menschen, die sich dem Konformitätsdruck nicht unterwerfen, vernichtet werden. Solche Empfindungen mögen auch die Gaffer unter der Guillotine bewegt haben. Allerdings ist (quellenkritische) Vorsicht geboten, da unsere Informationen über Schaulustige des 18./19. Jahrhunderts aus zweiter Hand und aus Kreisen stammen, die sich ihrer als Argumentationshilfe bedienen.
Warum entschied man sich erst 1981 in Frankreich dazu, die Todesstrafe abzuschaffen?
Dass der Sturmlauf französischer Abolitionisten über fast 200 Jahre hinweg erfolglos blieb, hängt zweifellos damit zusammen, dass die Grande Nation sich nur mühsam im Zuge einer nicht enden wollenden Reihe von – kurz gesagt – Revolutionen formierte. Auch dickköpfige Gegner der Todesstrafe haben diese angesichts steter Gefährdung der inneren Sicherheit als Ultima Ratio zur Abwehr von Staatsfeinden gebilligt. 1981 ging es dann weniger um die nationale als um eine europäische Einigung oder Einheit. Um dabei mittun zu können brauchte und braucht es erfreulicherweise ein Strafgesetz ohne Todesstrafendrohung.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.