Prof. Dr. Sabine Müller lehrt Alte Geschichte an der Universität Marburg und forscht in der Hauptsache zum argeadischen Makedonien. In ihrem Buch „Alexander der Große. Eroberung – Politik – Rezeption“ stellt sie antike und moderne Quellen zu Alexander einander gegenüber, demonstriert die epochenÂüberÂgreifende Wirkmacht Alexanders und löst falsche Bilder dieser historischen Person auf.
Alexander der Große ist in Filmen, Büchern und wissenschaftlichen Arbeiten prominent vertreten. Was lernt der Leser in Ihrem Buch Neues?
Mein Werk macht deutlich, dass die bekanntesten Traditionen zu Alexander ebenso wie die vorherrschenden Images Konstruktionen und meist Fiktionen sind, zumeist aus späteren Zeiten. Zudem konnte ich zeigen, wie kritisch man sich diesen Bildern nähern muss.
Sie dekonstruieren Fiktionen, Projektionen und historische Aneignungen von Alexander. Was bleibt von der historischen Person noch übrig?
Gewissheiten haben wir über die politischen Traditionen und Strukturen, in denen er als Mitglied einer langjährigen Dynastie, der Argeaden, stand, und zudem über die neuen politischen Erfordernisse, die sich aus der Eroberung des Perserreichs und der damit verbundenen Veränderungen innerhalb der sozialen Gefüge ergaben.
Ihre Arbeit verbindet Quellenkritik mit biographischen Informationen und Rezeptionsgeschichte. Mit welchem methodischen Zugang haben Sie sich diesen komplexen Themen um Alexander genähert?
Ich habe vor allem die politischen Strukturen analysiert, in denen Alexander stand, die makedonischen sowie die neuen persischen, in die er durch die Eroberung hereinkam.
Alexander arbeitete bereits zu Lebzeiten an einer Stilisierung seiner Person und seines Wirkens. Wie ist vor diesem Hintergrund das Fehlen einer zeitgenössischen literarischen Quelle zu erklären?
Wenn die Forschung das mal wüsste. Das ist eine der ungeklärten Fragen. Wir können sagen, dass es Kritik von Polybios an Kallisthenes gab, weil er zu wenig militärisches Know How besessen habe. Memnandros machte sich über die übertriebene Glorifizierung Alexanders durch Kallisthenes lustig. Strabon kritisiert die Alexanderhistoriographen allesamt als Schmeichler. Vielleicht galten sie vielen späteren Autoren deswegen als etwas unglaubwürdig. Insgesamt wissen wir nicht, woran genau es lag, dass sie sich nicht direkt erhielten.
Alexander wusste Strategien zu nutzen, um an die Macht zu gelangen und schließlich seine Position zu legitimieren. Weshalb ist es seinen Nachfolgern nicht gelungen, auf ähnliche Weise Mittel und Wege erfolgreich zu nutzen und das eroberte Imperium zu erhalten?
Das würde ich relativieren. Erstens bröckelte das Alexanderreich bereits in seiner letzten Regierungsphase, nicht nur an den östlichen Grenzen, gerade im damaligen „Indien“, wo die makedonische Kontrolle nach Abzug eigentlich schon nicht mehr gewährleistet war, sondern auch in anderen Reichsteilen (Kilikien). Zudem brodelte es ohnehin unterschwellig in Griechenland, was dann in den Lamischen Krieg führte. Es ist unsicher, wie viel von diesen Eroberungen Alexander überhaupt hätte halten können, wenn er weitergelebt hätte. Alleine schon in finanzieller Hinsicht, um die Kosten für weitere Kriege und Sicherung zu decken. Die Diadochen sind teilweise in der Reichsbildung und Adressierung der Reichsbevölkerung durchaus erfolgreich gewesen. Ptolemaios’ Dynastie erhielt sich immerhin bis ins 1. Jahrhundert v. Chr.
Was kann man von Alexanders Nachfolgern und ihrer Geschichte über Alexander selbst erfahren?
Man kann vor allem vor allem erfahren, wie sie Alexander als Legitimationsfaktoren für ihre Herrschaft nutzten und welche Bilder sie dafür von ihm verbreiteten.
Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Mühe.
Dieses Interview führte schriftlich Dr. Peter Kritzinger.