Anlässlich des Erscheinens des Werkes “DC:0–5 | Diagnostische Klassifikation seelischer Gesundheit und Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit” führten wir mit dem Übersetzer und Verfasser der Einführung Prof. Dr. Alexander von Gontard das folgende schriftliche Interview:
- Wie können psychische Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern überhaupt erkannt werden?
Psychische Störungen bei jungen Kindern sind genauso häufig wie bei älteren (ca. 15%). Sie können gut erkannt und behandelt werden. Die Voraussetzung dafür ist eine genaue Diagnostik, die Anamnese, Verhaltens- und Interaktionsdiagnostik, körperlicher Befund, Fragebögen und Testungen umfassen. Danach kann eine Diagnose nach dem neuen Klassifikationssystem DC: 0–5 (Herausgeber: ZERO TO THREE, National Center for Infants, Toddlers, and Families (USA)) gestellt werden und eine Beratung und/oder störungsspezifische Behandlung begonnen werden.
- Welche Störungen werden bei den Kleinsten besonders häufig übersehen?
Besonders häufig werden internalisierende Störungen wie depressive und Angststörungen übersehen. Trotz ihres Leidens sind diese Kinder still und zurückhaltend und fallen weniger auf als Kinder mit externalisierende Störungen wie ADHS und Störung des Sozialverhaltens.
- Wie werden psychische Störungen in einem so jungen Alter behandelt?
Die Behandlung ist bei jungen Kindern fast ausschließlich psychotherapeutisch. Neben Beratung spielen Eltern-Kind-Therapien eine besondere Rolle, da sie so wirksam sind. Bei Vorschulkindern können auch Einzelpsychotherapien indiziert sein. Die Indikationen für eine medikamentöse Therapie sind sehr begrenzt.
- Wie tragen Ihre beiden Titel dazu bei, die Versorgung zu verbessern?
Das Lehrbuch vermittelt den aktuellen Wissensstand zu psychischen Störungen bei jungen Kindern und bietet zugleich viele praktische Hinweise zur Diagnostik und Therapie, die auf den Leitlinien beruhen. Das Klassifikationssystem DC: 0–5 ermöglicht die neueste und beste Grundlage, spezifische Diagnosen bei jungen Kindern zu stellen. Von daher ergänzen sich die beiden Werke optimal.
- Was sind die Stärken des Klassifikationssystems DC: 0–5?
Eine Hauptstärke des DC: 0–5 ist es, dass zum ersten Mal fast alle Störungen, die bei jungen Kindern im Alter von 0 bis 5 Jahren vorkommen können, nach genauen Kriterien erfasst und beschreiben sind. Als multiaxiales System wird weiterhin die Bedeutung der Beziehung zwischen Kind und Eltern gewürdigt. Es wird das Standardreferenzwerk der nächsten Jahre bleiben.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Mühe!
Prof. Dr. Alexander von Gontard ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes (Homburg) sowie Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinderheilkunde und Psychotherapeutische Medizin.