Professor Dr. Jörg Oberste hat kürzlich im Kohlhammer Verlag sein neues Buch “Die Zisterzienser ” veröffentlicht. Zum Erscheinen führten wir ein kurzes Interview mit ihm.
Die Zisterzienser sind uns heute als wichtigster Orden des 12. Jahrhunderts bekannt, sie verzichteten auf persönlichen Besitz und lebten zurückgezogen. Warum taten sie das, was war ihre Motivation?
Die Motivation der ersten Zisterzienser lag in ihrer Unzufriedenheit mit ihrem bisherigen Klosterleben. Seit Jahrhunderten lebten in Europa Mönche und Nonnen nach der Benediktsregel. Es bildeten sich regionale Unterschiede und Gewohnheiten in der Umsetzung der Regel; die ersten Zisterzienser lebten etwa in der burgundischen Abtei Molesme. Hier sprach sich die Mehrheit des Konventes für ein bequemes Leben aus, während eine kleine Minderheit unter Abt Robert die Rückkehr zur vollen Strenge der Regel wünschte. Am Ende stand der Bruch mit den Brüdern in Molesme und für etwa 20 Mönche ein Neuanfang in ärmlichen Verhältnissen in einem Waldstück in der Nähe von Beaune.
Bernhard von Clairvaux ist sicher der bedeutendste Zisterzienser, was sind aber die Leistungen der Zisterzienser?
Bernhard gehört nicht zu den Gründervätern des Ordens, die aus Molesme kamen. Er trat gemeinsam mit vielen Verwandten und Freunden im Jahr 1113 in das Neukloster in Citeaux ein. Seine Familie verfügte über exzellente Netzwerke im französischen Adel und machte die neue zisterziensische Lebensform bekannt. Die Folge waren massenhafte Eintritte, reiche Stiftungen seitens des Adels und eine kaum glaubliche Zahl von Neugründungen. Bei Bernhards Tod im Jahr 1153 war der Orden bereits auf über 300 Klöster angewachsen. Und in all diesen Gründungen wurden dieselben Ideale der strengen Befolgung der Benediktsregel, eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Handarbeit und Gebet sowie der Einheitlichkeit über alle Entfernungen hinweg. Als Hauptleistung der frühen Zisterzienser sehe ich die Entwicklung der Carta caritatis an, mit deren spirituellen Idealen und organisatorischen Innovationen der Orden seine Einheit – trotz vieler Probleme im Einzelfall – über eine lange Zeit bewahren konnte.
Der Schwerpunkt des Bandes liegt im Mittelalter, wenngleich die Neuzeit nicht ausgespart wird. Ist der Orden heute nicht mehr von Bedeutung?
Als europaweiter Orden sind die Zisterzienser von allen großen Katastrophen und Zäsuren in der europäischen Geschichte geprägt worden. Im späten Mittelalter von der Pest, vom Hundertjährigen Krieg, vom Übel des Kommendenwesens. In der Neuzeit dann von der Reformation, vom Dreißigjährigen Krieg, von der Französischen Revolution und den in fast allen Ländern durchgeführten Säkularisierungen, nicht zu reden von den Katastrophen der Weltkriege und den Umbrüchen nach 1990. Es war eine echte Herausforderung, den zisterziensischen Weg – ab dem 17. Jahrhundert wird man sagen müssen die zisterziensischen Wege – vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen zu verfolgen und in der geforderten Kürze zu beschreiben. Beeindruckend fand ich dabei die schier unerschöpfliche Beharrungskraft, die Ordensleute auch unter schwierigsten Bedingungen immer wieder zu Neuanfängen im zisterziensischen Leben gebracht hat. Ganz im Sinne der ersten Gründerväter. Und auch heute gibt es beeindruckende Beispiele zisterziensischen Lebens auf mittlerweile allen Kontinenten, wenn auch zahlenmäßig nicht mehr in den mittelalterlichen Dimensionen.
Häufig werden die Zisterzienser auf ihren wirtschaftlichen Erfolg reduziert, doch was sind ihre theologischen Leistungen?
Die Zisterzienser haben von Beginn an – ganz im Sinne der Regel – Wert auf die Eigenbewirtschaftung ihrer Klöster gelegt. Unter den mittelalterlichen Bedingungen ließ sich das allerdings nur durch die Einführung von Laienbrüdern und -schwestern erreichen, die dem Orden gerade in den ersten Jahrhunderten Erfolge im Kloster- und Landbau, in der Tierhaltung und Fischzucht und in technologischen Anlagen auf hohem Niveau sicherten. Ähnlich bedeutend waren sie in der Entwicklung der Ordensarchitektur, in der Gestaltung ihrer Beziehungen zum europäischen Adel und einer eigenen Memorialkultur und natürlich in der monastischen Kultur und in der Theologie. Bernhard muss angesichts der Qualität und des Umfangs seiner Schriften zu den bedeutendsten Theologen des 12. Jahrhunderts gezählt werden, aber sicher nicht zu den innovativsten. Er gehörte sogar zu den vehementesten Gegnern der neuen Theologie der Scholastik, deren ‚Shootingstar‘ Abaelard auf Bernhards Initiative hin wegen Ketzerei angeklagt wurde. Die Zisterzienser fanden verhältnismäßig spät, erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts, Anschluss an die Theologischen Fakultäten der entstehenden Universitäten, vor allem in Paris. Zu diesem Zeitpunkt war die große Theologie fest in den Händen der Dominikaner und Franziskaner, aber in jeder Generation gab es bedeutende theologische Beiträge aus der Feder von Zisterziensern.
Der vorliegende Band zu den Zisterziensern vereint sowohl historische als auch theologische Aspekte, was kann man Neues lernen?
Ich habe versucht, nicht nur historische und theologische, sondern auch wirtschaftliche, soziale, architektonische, politische Entwicklungen und – wo es möglich war – individuelle Lebenswege oder regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. Dies ist auf 300 Seiten natürlich nur in exemplarischen Fallstudien möglich. In der Zusammenschau all dieser Aspekte auf relativ knappem Raum liegt etwas Neues; man lernt, dass Ordensgeschichte nicht von den allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen getrennt werden kann; dass Klöster nicht im luftleeren Raum schweben, sondern engstens mit ihrer Zeit und Umgebung verknüpft sind. Und dass Mönche und Nonnen auch nur Menschen sind.
Welche Bedeutung hat heute der Zisterzienserorden in Deutschland und wo kann man Zisterziensern noch heute begegnen?
Im deutschsprachigen Raum sind die Zisterzienser und Zisterzienserinnen noch überaus aktiv. Beispielsweise hat der Konvent in Heiligenkreuz im Wienerwald mehr als 80 Mitbrüder und unterhält eigene Filialen in Bochum-Stiepel und in Asien. Mönche aus Heiligenkreuz betätigen sich in der Seelsorge, in der Betreuung von Jugendlichen und Schülern und betreiben eine eigene Theologische Hochschule, die heute die größte Zahl von Priesteramtsanwärtern im deutschsprachigen Raum beherbergt. Von hier aus wurden auch die Initiativen der Wiedergründung in Tschechien, Slowakei und Ungarn nach der Wende von 1990 unterstützt. In Deutschland haben etwa die Zisterzienserinnen in Sachsen, Marienstern und Marienthal, auch die Umbrüche nach 1945 überstanden, indem sie sich im Schulwesen und in der Behindertensorge engagierten. Auch in Lichtenthal bei Landshut leben Nonnen im zisterziensischen Habit. Sehr aktiv sind auch die Zisterzienser im Bodenseegebiet, auf der Mehrerau, die den Ordenszweig der strengeren Observanz repräsentieren. Leider hatte eines der ältesten bestehenden Zisterzienserklöster in Deutschland, die Abtei Himmerod in der Eifel, in den letzten Jahren mit wirtschaftlichen und Nachwuchssorgen zu kämpfen.
Wenn Sie Ihr Buch in drei Sätzen beschreiben, warum lohnt sich das Buch zu lesen?
Das Buch ist als Einstieg in die lange und unglaublich spannungsreiche Geschichte des zisterziensischen Verbandes gedacht. Es vereinigt neue Ansätze der vergleichenden Ordensgeschichte, etwa bei der Untersuchung von Kommunikationsmethoden oder sozialen Netzwerken, mit möglichst anschaulichen Fallstudien zu einzelnen Klöstern oder prägenden Individuen. Und es zieht in die lange Periode vom 12. bis zum 21. Jahrhundert dicke rote Fäden ein, etwa durch die stete Beobachtung des Wechselverhältnisses von Zentrum und Peripherie, durch die starke Beachtung regionaler Besonderheiten oder durch die Rückbindung an die großen politischen Zäsuren.
Für Ihre Zeit und Mühe bedanken wir uns sehr herzlich.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.
Professor Dr. Jörg Oberste ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Regensburg.
Mit den Herausgebern der Reihe “Geschichte der christlichen Orden” Professor Dr. Klaus Unterburger , Universität Regensburg und Professor Dr. Christoph Dartmann, Universität Münster führten wir ein kurzes Interview. Dieses finden Sie hier: Urban-Taschenbücher | Geschichte der christlichen Orden