Christiane Arens-Wiebel ist Fachreferentin für Autismus und leitet die Beratungsstelle des Vereins Autismus Bremen e. V. Sie blickt auf langjährige Erfahrungen in der Förderung von Kindern im Autismus-Spektrum zurück und engaÂgiert sich für Eltern von auÂtisÂtiÂschen Kindern in Bremen.
Frau Arens-Wiebel, Sie arbeiten seit vielen Jahrzehnten mit Kindern im Autismus-Spektrum und ihren Familien. Wie kam es dazu?
Schon in der Schulzeit begegnete mir das Thema Autismus im Unterricht und später im Studium. Das ‚Rätselhafte‘ um diese Beeinträchtigung machte mich neugierig und weckte in mir den Wunsch, mich hiermit mehr beruflich ausÂeinÂanÂderÂzuÂsetzen. Zu dem Zeitpunkt als ich bei Autismus Bremen e. V. anfing zu arbeiten, gab es kaum ErkenntÂnisse über TheraÂpieÂmethoden bzw. Verfahren, keine speziellen TheraÂpieÂmaterialien, so gut wie keine speÂzielÂlen FortÂbilÂdungsÂangebote, keine Vernetzung mit anderen AutisÂmusÂtheraÂpeuten und keine geeigÂnete LiteÂratur für die prakÂtische Arbeit mit den Kindern. Es bedeuÂtete für mich daher von Anfang an sehr viel, die EntÂwickÂlung von autisÂmusÂspeziÂfiÂscher FörÂdeÂrung durch eigene KreatiÂviÂtät, SchaffensÂfreude, persönÂliches EinÂlassen und intenÂsiven AusÂtausch mit Kollegen zu begleiten.
Was hat sich in den vielen Jahren Ihrer TätigÂkeit geändert?
Zusätzlich zum FrühÂkindÂlichen Autismus, der das Thema meines Buches ist, rückte das Asperger-Syndrom in den Fokus und wir wurden dazu herausÂgefordert, unseren eigenen KenntnisÂstand auf das gesamte AutismusÂ-Spektrum ausÂzuÂweiten. Autismus ist insbeÂsondere in den letzten Jahren ein wichÂtiges Thema geworden, und es wird einÂfacher, an InforÂmatioÂnen zu kommen, neue ErkenntÂnisse zu gewinÂnen und sich in FachÂkreisen hierüber ausÂzuÂtauschen und weiterÂzubilden. GleichÂzeitig wird die Gefahr größer, dass ‚HalbÂwahrÂheiten‘ beispielsÂweise über das Internet verbreitet werden. Ich selbst bin seit einigen Jahren Mitglied in der „Fachgruppe Therapie“, die eng an den Bundesverband Autismus Deutschland e. V. gekoppelt ist. Wir überprüfen hier immer wieder die qualitativen Standards der Diagnostik und Therapie. Bei allem Fachwissen ist das intensive und individualisierte Einlassen auf die autistischen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen sowie ihre Eltern und Bezugspersonen das Wichtigste – damals wie heute. Jeder Mensch mit Autismus ist anders und es gilt, für diesen Menschen die richtigen Unterstützungsmöglichkeiten zu finden. Im Lauf der Jahre und Jahrzehnte habe ich unzählige Kinder und ihre Familien erlebt und begleitet und immer hat es kleinere oder größere Erfolge gegeben, die allerdings auch abhängig von den Möglichkeiten des Umfeldes waren. Die Eltern und Geschwister habe ich immer bewundert, wie sie sich mit den besonderen Facetten eines autistischen Familienmitglieds arrangieren konnten.
Was ist in der Arbeit mit Kindern im Autismus-Spektrum und ihrer Familien besonders wichtig?
Es gibt kein allgemein gültiges Konzept für die Therapie oder den Umgang mit autistischen Menschen. Es ist wichtig, insbeÂsondere die Eltern der betrofÂfenen Kinder zu unterÂstützen und sich gemeinÂsam mit ihnen der besonderen HerausÂfordeÂrung zu stellen. Viele Eltern erfassen intuitiv, worauf es bei ihrem Kind ankommt, andere benöÂtigen mehr AnleiÂtung und BegleiÂtung. Aus meiner Sicht ist es notwendig, schon früh eine intenÂsive, bezieÂhungsÂorienÂtierte FörÂderung zu initiieren, in die die Eltern partnerÂschaftÂlich mit einÂbezoÂgen werden, sodass sie das Kind im Alltag zu Hause fördern und anleiten können. Therapie ist – zeitlich gesehen – nur ein ganz kleiner Teil. Das Erwecken von zum Beispiel KommuniÂkationsÂinteÂresse und -fähigÂkeit des Kindes braucht AnÂlässe und dieser FörÂderÂinhalt bedarf methoÂdiÂscher UnterÂstütÂzung. Um hier aber kindÂspeziÂfische Ideen zu entÂwickeln, dabeiÂzuÂbleiben, sich durch MissÂerfolge nicht entmuÂtigen zu lassen und immer weiterÂzukommen, sind AutisÂmusÂtheraÂpeuten wichtige VerÂtrauÂensÂpersonen für die Eltern und, als FachÂleute, bedeuÂtungsÂvolle KoopeÂrationsÂpartÂner für KinderÂtagesÂeinÂrichÂtunÂgen und Schulen.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonÂders gut?
Wenn ich an die zahlÂreichen Kinder zurückÂdenke, mit denen ich theraÂpeuÂtisch geÂarbeiÂtet habe, erÂfüllt mich der Gedanke, dass jedes Kind auf seine Art gelernt und proÂfiÂtiert hat. Auch bei schweÂrer beÂeinÂträchÂtigÂten Kindern gelang es, sie kommuÂnikaÂtiv zu fördern, ihre kogÂniÂtiven FähigÂkeiten und insÂbesonÂdere ihre MotiÂvation zur InterÂaktion zu verÂbessern. Immer wieder war ich überÂrascht, was alles möglich ist bei den betroffÂenen Kindern, wie glückÂlich sie selbst hierÂüber sind und was das für die Eltern bedeutet. Ein wichtiger Grundsatz war für mich immer, den Kindern einen kleinen Schritt voraus zu sein, das heißt anzuÂbahnen, dass sie kontiÂnuierÂlich kleine ErÂfolge erÂreichen – und das hat in der Regel immer funktioÂniert. Häufig freut es mich zu erleben, was aus ‚meinen‘ eheÂmaligen TherapieÂkindern geworden ist, das heißt wie sie als ErÂwachÂsene leben und wie zufrieden sie sind – jeder Mensch auf seine Art. Dann kann ich sagen, dass sich, auch auf das einÂzelne IndiÂviduum bezogen, die intensive Arbeit, das ToleÂrieren von HürÂden und vielÂleicht sogar EinÂbrüchen, die stete BereitÂschaft, genau zu schauen und gegebenÂenfalls etwas zu verändern sowie mein steter Optimismus bewährt haben.