Buchreihe: Grundelemente psychodynamischen Denkens

Im Frühjahr 2018 startet die neue Buchreihe „Grundelemente psychodynamischen Denkens“. Basierend auf einer mehrjährigen Vorlesungsreihe, die im Herbst 2016 an der Psychologischen Hochschule Berlin begonnen hat, werden darin essentielle psychoanalytische Konzepte vorgestellt.


Wir haben mit Timo Storck, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin und Herausgeber, Autor sowie Referent der zugrundeliegenden Vorlesungsreihe, gesprochen.

Lieber Herr Storck, wie ist diese Reihe entstanden und welches Ziel bzw. welchen Anspruch verfolgt sie?

Die Reihe entstand aus zwei Überlegungen, einer eher auf die Vorlesungen als solche und einer auf die Buchpublikation bezogenen. Ich wollte und will gern eine kritische Prüfung psychoanalytischer Konzepte dazu nutzen, Verbindungen zwischen der Psychoanalyse und anderen Richtungen der Psychologie und Psychotherapie zu vertiefen. Dabei ist es mir ein besonderes Anliegen, Studierende der Psychologie (aber auch anderer Fächer, ebenso wie die weitere interessierte Öffentlichkeit) zu erreichen, die in dieser Weise das Angebot anderer Berliner Universitäten ergänzen wollen. Meinem Eindruck nach ist das Interesse an der Psychoanalyse weiterhin sehr groß.

Aus der Vorlesungsreihe dann auch eine Buchreihe werden zu lassen, folgte meinem Anliegen, eine Art kritisches Kompendium psychoanalytischer Grundbegriffe zu erstellen, das in sich möglichst konsistent ist und so auch Anschlüsse für die Psychotherapieforschung liefert.

Die Psychologische Hochschule Berlin liefert dafür einen guten Rahmen, denn es geht uns gerade um die Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen der Psychologie in Grundlagen und Anwendungsforschung und verschiedenen Bereichen der psychotherapeutischen Verfahren.

In der Reihe werden „Grundelemente psychodynamischen Denkens“ vorgestellt. Was ist das Besondere an diesem Konzept bzw. an der gesamten Reihe?

Ich denke, dass andere Handbücher psychoanalytischer Begriffe den großen Vorteil haben, unterschiedliche Perspektiven zu versammeln. Eine Gefahr besteht darin dann allerdings, dass die Bezüge der Begriffe untereinander wenig beleuchtet werden können bzw. besteht ein enormer editorischer Aufwand darin, diese über die Einzeleinträge hinweg herzustellen. Ich möchte mit der Reihe gern eine möglichst konsistente (und kritische) Darstellung der Konzepte liefern. Dabei lege ich eine Perspektive auf die Psychoanalyse „nach“ Freud vor, also eine, die dessen Denken folgt, aber auch betrachtet, was sich seitdem getan hat und was vielleicht auch überzeugender anders gedacht werden kann. Im Ergebnis entsteht der Vorschlag einer bestimmten Art und Weise, über die und mit der Psychoanalyse zu denken – über klinische Arbeit und wissenschaftliche Herangehensweise.

Der erste Band „Trieb“ ist nun erschienen – können Sie kurz umreißen, welche Aspekte Sie in diesem Buch bzw. der dazugehörigen Vorlesung im Videoformat behandeln? Was gab den Anlass, mit dem Thema „Trieb“ zu starten?

Aus meiner Sicht ist das Triebkonzept auch heute noch die Grundlage psychoanalytischer Theorie – sofern man es in einer bestimmten Weise begreift. Für mich ist es zum einen „psychosomatisch“, zum anderen „sozialisatorisch“ zu denken. In dieser Sicht ist „Trieb“ in der Psychoanalyse der Versuch einer Antwort auf das Leib-Seele-Problem – darin ist gefasst, wie sich physiologie-nahe Erregung in frühen Interaktionen dem psychischen Erleben vermittelt. Die psychoanalytische Triebtheorie ist m. E. darin eine Theorie allgemeiner Motivationsstrukturen, über spezielle Motivationen muss man anders nachdenken (unter Einbezug psychischer Grundbedürfnisse und natürlich auch im Rahmen einer Affekttheorie). Aber „Trieb“ liegt konzeptuell am Grund der Entwicklung des Psychischen – da bietet es sich an, damit zu starten und weitere Ãœberlegungen darauf aufzubauen.

Im Frühsommer 2018 wird der zweite Band zum Thema „Sexualität und Konflikt“ folgen. Ebenfalls bereits erhältlich sind die Videovorlesungen zu diesen beiden Themenblöcken „Trieb“ und „Sexualität und Konflikt“. Was erwartet uns im zweiten Band bzw. der zweiten Videovorlesung?

In der Außenwahrnehmung entsteht für viele Menschen der Eindruck: In der Psychoanalyse geht es immer um die Sexualität. Das stimmt auch, aber auch hier muss man genau betrachten, was damit gemeint ist. Psychoanalytisch spricht man von einer „erweiterten“ Begriff von Sexualität; erst dann kann sinnvoll von einer kindlichen Sexualität gesprochen werden. In dieser geht es um Lust- und Befriedigungserfahrungen, die auch nicht-genitaler Art sein können. In dieser Weise zeigen sie sich in frühsten körperlichen Interaktionen mit anderen und so können Lust und Unlust als Strukturierungsprinzipien des Psychischen aufgefasst werden. Freuds Konzeption der psychosexuellen Entwicklungsphasen kann dabei „körpernaher“ verstanden werden, aber auch in einer eher „thematischen“ Lesart, in der frühe Modi der Erfahrung der menschlichen und nicht-menschlichen Umwelt sich auch im späteren Leben zeigen, z. B. als ein Thema der „Versorgung“. Bei vielen Freud‘schen Konzepten, die auch eine Aufmerksamkeit jenseits eines Fachpublikums erfahren haben (Sexualität, Ödipus, Kastrationskomplex u. v. m.) lohnt sich eine genau argumentative Prüfung, die zeigt, was davon nützlich ist, um den Menschen zu verstehen.

Verraten Sie uns, wie es weitergeht? Auf welche Themen dürfen wir uns freuen und warum sind diese im Gesamtkonzept der Reihe nicht minder wichtig?

Ich habe eine grobe Vorstellung der folgenden Bände: Teil III zum dynamisch Unbewussten ist bereits sehr weit vorangeschritten, Teil IV behandelt Objekte und Objektvorstellungen. Ich gehe in der Konzeption der Vorlesungen und damit auch der Bücher meist derart vor, dass ich das, worauf ich an offenen Fragen oder Folgeüberlegungen in der Vorbereitung stoße, in einer späteren vertiefe. So wurde beispielsweise in der Auseinandersetzung mit dem Unbewussten deutlich, dass eine genauere Erkundung dessen erforderlich ist, wie andere Menschen psychisch für uns repräsentiert werden und wie sich etwas davon, gerade weil es unbewusst ist, in klinischen Prozessen zeigt. Das ist auch der Grund, weshalb es in Teil V um die Übertragung gehen soll. Was danach folgt, kann ich derzeit noch nicht überblicken, aber Konzepte wie Selbst, Abwehr, Regression oder auch Liebe bieten sich sicher für eine Prüfung besonders an.

Die Reihe bietet den großen Vorteil, dass ich mir – je nach Vorliebe – die Vorlesung auf Video ansehen oder aber mit dem entsprechenden Buch arbeiten kann. Was ist das Besondere der jeweiligen Formate?

Die Video-Vorlesungen, so hoffe ich, vermitteln eine Weise, über Psychoanalyse zu sprechen und nachzudenken, die mit dem Vorurteil aufräumt, Psychoanalyse wäre eine verstaubte oder „unlockere“ Angelegenheit. Das ist auch einer der Gründe für mich gewesen, immer wieder auf Film oder Fernsehen Bezug zu nehmen und hier zu zeigen, wie Psychoanalyse und Kultur miteinander in Verbindung gebracht werden. Ich versuche dabei außerdem, meine Herangehensweise nachempfindbar zu machen und dazu anzuregen, sich über das eigene Bild von bestimmten psychischen Phänomenen klarer zu werden: Beim Zuhören kann es dann darum gehen, der eigenen, wissenschaftlichen und privaten, Vorstellung dazu zu folgen, wie man sich unbewusste Prozesse vorstellt und wie man darüber nachdenkt, dass wir als Menschen einerseits körperliche und andererseits geistige Wesen sind. Die Bücher bilden das ab, eignen sich aber noch stärker als Zusammenstellung von Positionen zu einem Thema, samt Hinweisen auf Literatur zum Thema. Als ganze Reihe soll so eben auch ein Nachschlagewerk entstehen, das sich weniger an einzelnen Schlagworten orientiert, sondern an konzeptuellen Verbindungen.

Ein wichtiger Punkt zum Schluss: Für wen sind die Bücher und Videos der Reihe besonders interessant?

Ich hoffe, dass die Bücher und Videos für jeden und jede interessant ist, der oder die von unterschiedlichen Graden an Vorwissen über Psychoanalyse und deren Konzepte nachdenken will. Das kann jemand tun, der etwas über psychoanalytische Theorie lesen will und das faszinierend findet, oder jemand, die sich für die möglichen Brücken zu anderen psychologischen Theorien oder die Rahmentheorien anderer psychotherapeutischen Verfahren interessiert. Das können dann Studierende der Psychologie oder anderer Fächer sein, aber auch Teilnehmende in Psychotherapie-Weiterbildungen – nicht zuletzt aber auch Interessierte aus ganz anderen Bereichen, da sich die Psychoanalyse ja auch nicht nur mit klinischen Themen beschäftigt, sondern mit dem Menschen, auch unter kultureller Perspektive.

Wir bedanken uns recht herzlich für Ihre Zeit und Mühe!

Das Interview führten Paula Mahlke und Annika Grupp

Hier finden Sie alle lieferbaren Bände der Reihe im Kohlhammer-Onlineshop!

Fachbereich(e): Psychoanalyse, Psychologie. Schlagwort(e) , , , . Diese Seite als Lesezeichen hinzufügen.