2022 wurde der von der Interessengruppe Klinische Kinder- und Jugendlichenpsychologie und Psychotherapie ins Leben gerufene Dissertationspreis an Johanna Schoppmann der Abteilung für Entwicklungspsychologie an der Ruhr-Universität Bochum verliehen. Frau Schoppmann promovierte dort und in der Abteilung der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie zum Thema „Soziales Erlernen von Emotionsregulationsstrategien im Kleinkindalter“
Wir gratulieren der diesjährigen Preisträgerin ganz herzlich!
Anlässlich der Preisverleihung haben wir uns mit Frau Schoppmann unterhalten:
Liebe Frau Schoppmann, zunächst die Frage: Was genau versteht man unter Emotionsregulation?
Emotionsregulation beschreibt die Veränderung oder Beeinflussung des Auftretens, der Dauer und der Intensität von Gefühlzuständen und deren physiologischer Reaktionen. In unterschiedlichen Situationen können verschiedene Gefühle, wie z. B. Ärger, Angst, etc. auftreten. Im Alltag können wir diese Gefühle aber häufig nicht „ungefiltert“ aus uns herauslassen. Wir wissen, dass es z. B. in der sozialen Interaktion mit einer anderen Person unklug wäre, sich ausschließlich von den eigenen Affekten leiten zu lassen.
Bei Erwachsenen werden Gefühle meist über kognitive Prozesse reguliert, z. B. indem man sich ablenkt, etwas Ungutes „wegschiebt“ oder eine Situation umbewertet („ich ärgere mich nicht darüber, dass mir meine Chefin diese zusätzliche Aufgabe zuwiesen hat, ich sehe es als Chance etwas Neues zu lernen“). Es kann auch helfen, sich mit anderen Personen auszutauschen, „Frust abzulassen“ oder Regulation über die körperliche Ebene zu erreichen, z. B. mit Hilfe von Entspannungs- und Atemübungen oder Sport.
Kinder müssen erst lernen ihre Emotionen zu regulieren und brauchen in der Regel Unterstützung von ihren Bezugspersonen. Ein kleines Kind, das sich wütend auf den Boden wirft und weint oder schreit, benötigt oft Erwachsene, die in dieser Situation seine Emotionen begleiten und bei der Regulierung helfen.
Wann und vor allem wie lernen Kinder Emotionsregulation?
Tatsächlich finden sich schon bei Neugeborenen Anzeichen von Emotionsregulation. Säuglinge, die bei Überstimulation – z. B. zu viele Personen und Reize in einer Situation – ihren Kopf wegdrehen oder die sich mit Hilfe von Saugen an Schnuller oder Daumen selbst beruhigen. Dies sind aber natürlich sehr rudimentäre Regulationsmechanismen, deswegen schreien Kinder in solchen überfordernden Situationen – um ihren Bezugspersonen den Hilfebedarf zu signalisieren. Je älter die Kinder werden und sich kognitiv und motorisch weiterentwickeln, desto mehr Fähigkeiten und Möglichkeiten der Emotionsregulation stehen ihnen zur Verfügung. Ab einem bestimmten Alter können Babys z. B. wegkrabbeln und so die Situation selbstständig verlassen. Grundsätzlich geht man davon aus, dass Kleinkinder ab einem Alter von ca. zwei bis drei Jahren deutlich mehr „Strategien“ anwenden können.
Im Rahmen meiner Dissertation habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie Kleinkinder lernen, ihre Gefühle zu regulieren. Speziell untersucht haben wir das Beobachtungslernen. Wir konnten zeigen, dass sich Kleinkinder Emotionsregulationsstrategien von anderen abschauen, wenn diese sie vormachen.
Was genau haben Sie untersucht? Gab es eine besonders überraschende Erkenntnis?
Neben der generellen Frage, ob Kinder von anderen lernen, wenn sie diese beobachten, haben wir untersucht, ob es einen Unterschied macht, ob die beobachtete Person eine enge Bezugsperson ist, wie z. B. Mama oder Papa, oder ob das Modelllernen auch mit fremden Personen funktioniert. Erstaunlicherweise spielte die Vertrautheit keine Rolle und die Kinder änderten ihr Verhalten auch, wenn sie eine fremde Person beobachtet hatten.
Es reichte sogar, wenn Kinder „indirekt“ beobachteten, indem sie ein Bilderbuch vorgelesen bekamen, in dem eine bestimmte Regulationsstrategie präsentiert wurde.
Darüber hinaus untersuchten wir noch, ob das Temperament der Kinder (aktivere vs. ruhigere Kinder) einen Einfluss auf die Wahl ihrer Beschäftigung und somit Regulationsstrategie hatte. Aktivere Kinder lenkten sich eher mit aktiven Tätigkeiten ab, ruhigere Kinder eher mit ruhigeren Beschäftigungen.
Schließlich fanden wir noch bestätigende Hinweise für die Frage, ob ein Zusammenhang besteht zwischen den elterlichen Regulationsstrategien und dem kindlichen Ausdruck von Affekt. Eltern, die angaben, dass sie sich selbst gut regulieren könnten, hatten auch Kinder, die weniger negativen Affekt zeigten – unabhängig vom Temperament der Kinder.
Überrascht hat mich vor allem das Ergebnis, dass es keinen Unterschied machte, ob das Modell, das Kinder beobachteten, eine enge Bezugsperson oder eine fremde Person war. Interessanterweise konnten wir aber feststellen, dass das Temperament der Kinder eine Rolle in diesem Zusammenhang spielt. Aktivere Kinder übernahmen eher Verhaltensweisen von fremden Personen. Möglicherweise weil sie generell aufgeschlossener und offener für neue Erfahrungen sind und die fremde Person ihre Aufmerksamkeit in besonderer Weise geweckt hat.
Warum ist das Thema Emotionsregulation so wichtig?
Die Fähigkeit zur Emotionsregulation betrifft die normative Entwicklung. Alle müssen lernen, mit ihren Gefühlen umzugehen, ganz unabhängig vom klinischen Kontext. Aus diesem Grund ist das Thema gerade auch mit Blick auf die Prävention enorm bedeutsam, weil man Familien, in denen Schwierigkeiten in diesem Bereich auftauchen, durch entsprechende Aufklärung und Hilfestellungen bereits frühzeitig gezielt unterstützen könnte.
Man weiß außerdem, dass ungünstige Emotionsregulationsstrategien, wie z. B. exzessives Grübeln, assoziiert sind mit psychischen Erkrankungen wie Depression und Suchterkrankungen. Wissen darüber, wie man bereits Kindern helfen kann, günstige Strategien zu entwickeln, ist also perspektivisch sehr wertvoll.
Haben Sie abschließend noch Tipps für Eltern, was diese mit Blick auf die Unterstützung der eigenen Kinder beherzigen können?
Interessant für Eltern oder andere Bezugspersonen ist sicherlich die Bedeutung des jeweiligen Charakters der Kinder. Wie schon erwähnt, zeigen unsere Ergebnisse, dass aktivere Kinder eher aktive Ablenkungsaktivitäten wählten, während zurückhaltender Kinder sich eher mit ruhigeren Aktivitäten ablenkten. Mit Blick auf das Angebot von Regulationsstrategien könnte man also das Temperament des Kindes berücksichtigen. Bei einem aktiven Kind wird es vermutlich sinnvoller sein, ihm ein Trampolin zur Verfügung zu stellen anstatt einen Lego Duplo Baukasten.
Auch mit Blick auf die jeweiligen Strategien der Eltern ließen sich Zusammenhänge zum kindlichen Affekt zeigen. Als Elternteil sollte ich also immer auch überlegen, was ich denn selbst brauche. Bei welcher Situation möchte ich, dass das Kind Emotionen und deren Regulation miterlebt und bei welchen Situationen möchte ich dies u. U. vermeiden, weil ich weiß, dass meine Kompetenzen in dieser Situation keinen „Modellcharakter“ haben. Hier könnte mein Kind dann vielleicht eher von der Beobachtung von einer anderen Personen in dieser Situation profitieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Annika Grupp
Der DissertationsÂpreis der InteressenÂgruppe Klinische Kinder- und JugendÂpsychoÂlogie und PsychoÂtherapie berückÂsichÂtigt sowohl GrundÂlagenÂarbeiÂten als auch DisserÂtationen aus dem Bereich der PsychoÂtherapieÂforÂschung. Er wird von der InteressenÂgruppe für Klinische Kinder- und JugendÂlichenÂpsychoÂlogie und PsychoÂtherapie für hervorÂragende Arbeiten auf dem Gebiet der klinischen Kinder- und JugendÂpsychoÂlogie oder -psychoÂtherapie verliehen und durch den Kohlhammer Verlag gesponsert. Weitere Informationen finden Sie hier.