Lernen ist eine der wichtigsten Fähigkeiten aller Lebewesen und angesichts sich stetig wandelnder gesellschaftlicher aber auch persönlicher Herausforderungen über die Lebensspanne ist lebenslanges Lernen für den Menschen eine Notwendigkeit.Wir haben mit dem Autor des Bandes „Lernen – Ein Lehrbuch für Studium und Praxis“, Mike Rinck, über Lernformen und günstige Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen gesprochen.
Was genau versteht man eigentlich unter „Lernen“? Gibt es verschiedene Lernformen?
Es gibt keine allgemeingültige Definition von „Lernen“. Psychologen verstehen darunter meist so etwas wie „eine auf Erfahrung basierende, dauerhafte Veränderung in den Verhaltensmöglichkeiten eines Individuums“. Es gibt sehr unterschiedliche Formen des Lernens, und das Lernen von Wissen in der Schule ist nur eine von vielen Lernformen.
Welches sind die einfachsten Lernformen und was zeichnet diese aus? Worin unterscheiden sie sich z.B. von schwierigen Lernformen?
Zu den einfachsten Lernformen gehört z.B. die sogenannte „Habituation“. Hierbei lernt man, auf unwichtige Reize nicht mehr zu reagieren. Im Gegensatz zu den komplexeren Lernformen kommen die einfachen Lernformen auch bei ganz einfachen Lebewesen wie Würmern vor.
Was versteht man unter „Klassischer Konditionierung“ und was wird dabei gelernt? Wie wurde diese Methode entwickelt und wie kann man sie in der Praxis anwenden?
Vereinfacht gesagt: Bei der Klassischen Konditionierung lernt man Signale, d.h. man lernt, welche Reize (z.B. aufziehende dunkle Wolken) wichtige Ereignisse (z.B. Gewitter) vorhersagen. Das kann sehr nützlich sein, vor allem wenn die wichtigen Ereignisse unangenehm oder gar gefährlich sind. Zum Beispiel kann man sich beim Anblick der dunklen Wolken ins Haus begeben, bevor man vom Gewitter durchnässt oder gar vom Blitz erschlagen wird. Diese Form des Lernens wurde ursprünglich bei Experimenten mit Hunden zufällig entdeckt, sie ist aber auch beim Menschen sehr wichtig. Beispielsweise spielt sie beim Erlernen und Verlernen von Angst eine große Rolle.
Was ist dagegen die „operante Konditionierung“? Was wird dabei gelernt?
Vereinfacht gesagt: Bei der operanten Konditionierung lernen wir, welche Folgen unser Verhalten hat. Auf diese Weise können wir unser Verhalten so einrichten, dass es möglichst viele angenehme Konsequenzen hat und möglichst wenig negative Konsequenzen.
Wie unterscheiden sich „klassische Konditionierung“ und „operante Konditionierung“? Wie wirken beide im Alltag zusammen?
Bei beiden Lernformen lernen wir, wichtige Vorhersagen zu machen. Der wichtigste Unterschied liegt darin, welche Vorhersage gelernt wird: Ein Reiz sagt einen wichtigen anderen Reiz vorher (klassische Konditionierung) oder ein Verhalten sagt eine Konsequenz vorher (operante Konditionierung). Im Alltag wirken beide häufig zusammen, zum Beispiel wenn wir lernen, welche Reize Gefahr vorhersagen (z.B. rote Ampeln) und was wir tun müssen, um die Gefahr zu vermeiden (die Straße nicht überqueren).
Was ist Modelllernen? Was wird dabei gelernt? Wie wird diese Lernform in der Praxis (z.B. in einer Therapie) eingesetzt?
Beim Modelllernen lernen wir von anderen: Wir können beobachten, welches Verhalten sie zeigen, und wir können das Verhalten imitieren, wenn es positive Konsequenzen hatte. In der therapeutischen Praxis wird das Modellernen häufig in der Gruppentherapie eingesetzt, bei der die Patienten voneinander lernen können.
Was ist kognitives Lernen und was wird dabei gelernt? Warum ist kognitives Lernen so schwierig?
Kognitives Lernen ist das Lernen, wie es in Schule und Universität von uns erwartet wird, d.h. der Wissenserwerb: Das Erlernen von Fakten, Begriffen, Regeln, Vokabeln etc. Dieses Lernen ist eine spezielle Fähigkeit von uns Menschen. Es ist aber auch für uns besonders schwierig, denn unser Gehirn hat sich im Laufe der Evolution darauf spezialisiert, Zusammenhänge und Vorhersagen zu erlernen, nicht aber willkürliche Zuordnungen von Bedeutungen. So können wir zum Beispiel sehr gut lernen, welche Laute eher von Hunden produziert werden (z.B. Knurren) und welche eher von Katzen (z.B. Fauchen), und was diese Laute bedeuten (in beiden Fällen Gefahr). Es ist aber schwieriger zu lernen, dass diese Tiere in manchen Sprachen vollkommen willkürlich mit den Lautfolgen „schjien“ bzw. „scha“ bezeichnet werden, und dass diese Lautfolgen wiederum vollkommen willkürlich mit den Buchstabenfolgen „chien“ bzw. „chat“ übereinstimmen.
Wie wirkt sich Schlaf auf das Lernen und Behalten aus?
Mittlerweile wissen wir, dass Schlaf direkt nach dem Lernen sehr hilfreich für das Behalten des Gelernten ist. Danach wird man sich besser an das Gelernte erinnern können, als wenn man in der Zwischenzeit wach geblieben wäre. Und natürlich ist auch das Lernen selbst effektiver, wenn man ausgeschlafen ist und nicht über dem Lehrbuch einnickt.
Wie wichtig ist die Motivation für das Lernen und Behalten?
Die Motivation bestimmt vor allem, ob wir uns überhaupt mit dem Lernstoff beschäftigen wollen. Sie ist somit eine notwendige Voraussetzung für das kognitive Lernen. Leider ist sie aber keine hinreichende Voraussetzung: Auch bei hoher Motivation kann der Lernerfolg sehr gering sein, wenn man die falschen Lernmethoden einsetzt.
Welche praktischen Tipps können Sie für ein effektiveres Lernen in Schule, Studium und Beruf geben?
Diese Tipps finden sich am Ende meines Buches. Die wichtigsten sind diese: Man sollte elaborierend lernen, viel Zeit auf das selektive Üben des Abrufs verwenden, die Lernzeit gut verteilen, vor und nach dem Lernen ausreichend schlafen, und durch Selbstbelohnung für eine ausreichende Motivation sorgen.
Wir danken Ihnen sehr für das Interview, Ihre Zeit und Mühe.
Das Interview führte Celestina Filbrandt.