Anlässlich des Erscheinens des Bandes Hitler als Symbolpolitiker von Christoph Raichle führten wir das folgende schriftliche Interview:
Der Terminus SymbolÂpolitiker ist ungewohnt, was ist darunter zu verstehen und wieso war Hitler ein „Symbolpolitiker“?
Ein Symbolpolitiker versteht es, aus symbolischem Kapital politische Macht zu schöpfen. Nicht nur Ämter oder Geld können Macht verleihen, sondern auch die kommunikative Fähigkeit, sich zum „Sprachrohr“ – zum Symbol – politischer Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte zu machen. Ebenso wie einzelne Menschen sind auch Gesellschaften auf der Suche nach persönlicher wie politischer Sinnstiftung; besonders in Krisenzeiten, wenn alte Werte, Traditionen und Ordnungen in Frage gestellt werden, wächst ein Nachfrage nach Politikern, die mehr als Verwalter, Macher oder technokratische Krisenmanager sind – nach Politikern, die der Krise selbst und den Opfern, die sie den Menschen abverlangt, einen kollektiv verständlichen Sinn geben können.
Hitlers Aufstieg fällt in eine solche Zeit anhaltender Krisen: auf die Niederlage von 1918 folgten Revolution, Straßenkämpfe, Hyperinflation und schließlich die Weltwirtschaftskrise. Viele Menschen waren zutiefst verängstigt, verunsichert, wütend, hoffnungslos. Hitler verstand es, die Wünsche die Menschen aufzunehmen und sie ihn einem Konzept der „Volksgemeinschaft“ zu bündeln, das er letztlich durch seine Person selbst verkörperte: im Gegensatz zu den regierenden Politikern, die überwiegend noch in einem etwas verstaubten, steifen Honoratiorenstil auftraten, artikulierte Hitler in seinen Reden unmittelbar und kraftvoll die Gefühle der Menschen und wurde so zu ihrem „Sprachrohr“. Als „Führer“ symbolisierte Hitler dabei eine „Mission“, die ihn mit seinen Anhängern emotional eng verband. Hitlers Popularität, sein Charisma, war somit kein Propagandaprodukt aus dem „Hause Goebbels“: viel mehr war sie durch jahrelange, intensive Kommunikation Hitlers mit den Massen erwachsen und somit ein Gemeinschaftsprodukt zwischen „Führer“ und „Gefolgschaft“. Unter den eng miteinander verbundenen Analyserastern von Charisma und Symbolpolitik tritt daher neben der Verantwortung des Regimes und seiner Schergen auch glasklar die Mitverantwortung vieler Deutscher zutage, die das Regime unterstützt haben.
Hitler wird gerne als Verrückter, als „Nicht-Mensch“ dargestellt, gibt es also so etwas wie eine geplante Öffentlichkeitsarbeit oder entwickelte sich der Führernimbus eher zufällig?
Hitler war nicht im engeren Sinne verrückt, er hatte ein starres Selbst- und Weltbild; ebenso fixiert war er in seinen strategischen Zielen, dem Lebensraumkrieg und der Vernichtung der Juden. Auf dem Weg dorthin ging er – gerade in Sachen Selbstdarstellung – jedoch zweckrational und planmäßig vor, auch wenn er sich im Einzelfall oft von spontanen Eingebungen leiten ließ. Seine Öffentlichkeitsarbeit hatte dabei einen stark prozeßhaften Charakter: Hitler hatte zwischen 1919 und 1933 viele Jahre Zeit, zu lernen und aus den unterschiedlichsten Quellen Anregungen aufzunehmen. Es ist daher auch falsch, bei der Analyse des Propagandisten Hitler nur auf „Mein Kampf“ zu schauen. Hitler probierte auch nach 1925 vieles aus, oft spontan und intuitiv, und blieb dann bei dem, was sich in seinen Augen bewährte.
Ähnlich ging Hitler auch bei der Auswahl seiner Helfer vor, von denen es eine ganze Reihe gab, die leider noch immer im Schatten von Goebbels stehen, der seine Bedeutung als alleiniger Propaganda-Guru des Nationalsozialismus in seinen überaus selbstverliebten Tagebüchern oft stark übertrieben hat. Tatsächlich haben an Hitlers Nimbus als „Führer“ neben Hitler viele Menschen mitgestrickt; insbesondere diejenigen Männer, die Hitler täglich oder wiederkehrend traf, spielten eine bedeutende Rolle bei der Vermittlung des Führermythos in die Partei und die Medien hinein: Hitler inszenierte sich auch vor ihnen ganz gezielt und „impfte“ sie bei jedem Zusammentreffen mit den neuesten Inhalten, wie der „Führer“ in den Medien darzustellen war. Es entstand so ein vielstimmiges Konzert, in dem Goebbels zwar die erste Geige spielte, aber er hatte durchaus wichtige Konkurrenten, wie etwa Heinrich Hoffmann, der – von Goebbels unabhängig – Hitlers Bilddarstellung stark mitformte und dadurch, nebenbei gesagt, steinreich wurde; oder Otto Dietrich, Hitlers Reichspressechef, der ihn zwischen 1932 und 1945 täglich auf seinen Reisen, auf den Obersalzberg und später in die „Führerhauptquartiere“ begleitete. Dietrich verfaßte in regelmäßigen Abständen Artikel, die besonders durch ihre Nähe zum „Führer“ interessant wurden und nach dem Polen-Feldzug gab er im direkten Auftrag Hitlers ein Buch heraus, das Hitlers Selbstdarstellung für das erste Kriegsjahr wie in einem Brennglas bündelte. Natürlich wurde das Buch ein Bestseller. Zu nennen wären auch noch Leni Riefenstahl und Walter Frentz, die Hitler für Film und Wochenschau filmten, der Reichsbühnenbildner Benno von Arent, Philipp Bouhler, unter anderem „Chef der Kanzlei des Führers“, Albert Speer, der Hitlers große Arenen schuf, oder Max Amann, der den parteieigenen Eher-Verlag zu einem monströsen Presse-Trust ausbaute. Man könnte die Reihe noch längere Zeit fortsetzen mit den weniger prominenten Helfern bis hin zu Dienern und Chauffeuren, die bei Gelegenheit ebenfalls durch Artikel oder Radioberichte zum Kult um den „Führer“ beitrugen.
In diesem vielgestaltigen Netzwerk liefen freilich alle Fäden bei Hitler zusammen: er war die oberste Instanz in allen Fragen der Führerinszenierung. Hitler selbst bestimmte, durch eine Vielzahl von internen Anordnungen, oft bis in die Details hinein, wie er in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden sollte – denn er wußte: hier lag die eigentliche Quelle seiner Macht.
Ist Symbolpolitik mit Öffentlichkeitsarbeit gleichzusetzen?
Nicht zwingend. Jede Symbolpolitik ist Öffentlichkeitsarbeit, aber nicht umgekehrt. Symbolpolitik setzt speziell an der politischen Kultur einer Gesellschaft an: an denjenigen Erfahrungen und Weltbildern, Wünschen und Erwartungen der Menschen, die politische Bedeutung haben. Für gewöhnlich wird bei der alltäglichen Öffentlichkeitsarbeit nicht so tief geschürft. Aktuelle politische Vorhaben sollen kurzfristig in ein günstiges Licht gerückt werden oder Politiker erhalten oberflächliche Zuschreibungen, die rasch wechseln können. Es findet nur noch selten ein intensive Kommunikation mit der Gesellschaft statt, die darin mündet, daß ein Politiker Inhalte der politischen Kultur tatsächlich in seiner Person verkörpert. Dies erfordert einen längeren Atem als die Kurzlebigkeit moderner Image-Arbeit es oft zuläßt. Auch muß man dabei wohl bedenken, daß die Erwartungen an die Politik und an Politiker heute grundsätzlich anders sind als noch vor 80, 90 Jahren: die Menschen sind – gerade durch die Erfahrungen mit den beiden deutschen Diktaturen – viel abgeklärter; Sinnsuche und Sinnstiftung findet heute sehr viel stärker im privaten als im kollektiven Rahmen statt. Auch sonst haben sich die Rahmenbedingungen sehr verändert. Ein Politiker wie Hitler könnte heute kaum mehr reüssieren.
War Hitler in seinem Verständnis der erste „moderne“ Politiker, mit charismatischer Massenbegeisterung oder doch nur der vielzitierte Demagoge?
Hitlers Methoden waren modern, aber vieles hatte er sich nur abgeschaut. In der Forschung werden meist der italienische Faschismus und die Selbstdarstellung Mussolinis, aber auch Formen der katholischen Liturgie als Vorbilder genannt; nicht selten auch die Methoden moderner Werbung und Wahlkampfführung aus den USA. Übersehen wird dabei gerne, daß Hitler auch stark auf Elemente militärischen Zeremoniells zurückgriff, was dem immensen Einfluß des Ersten Weltkriegs auf die politische Kultur der Nachkriegszeit geschuldet war. Hitler war hier erstaunlich lernfähig und auch, zumindest zeitweise, bereit, sich etwa durch Hoffmann und Goebbels beraten zu lassen, die Hitlers heroische Selbstdarstellung stärker durch Elemente der Volksnähe ergänzen wollten. Neben dem Talent als Redner und Propagandist hatte Hitler aber vor allem politisches Gespür und besaß viel taktische Raffinesse. Er war geschickt im Umgang mit seinem Gegenüber und konnte geradezu bestrickend charmant sein. Hitler war keineswegs der bloße Emporkömmling aus dem Wiener Männerheim, der Mann ohne Eigenschaften, der eher zufällig und durch das Wirken anderer an die Macht gespült wurde: er war zwar auch Demagoge, aber seine politischen und kommunikativen, insbesondere seine symbolpolitischen Fähigkeiten reichten weit über das begrenzte Wirkungsfeld eines Hetzredners hinaus. Demagogen und geschickte Rhetoriker gab es viele, Goebbels etwa. Aber Hitler hatte ihnen einen entscheidenden Vorteil voraus: er war ein begnadeter Selbstdarsteller, er verstand es, sich selbst zum Mittelpunkt des Geschehens und zum Fixpunkt von Erwartungen und Sehnsüchten zu machen, sich Charisma zu erwerben. Diese Begabung – und die Hingabe vieler Deutscher an ihren „Führer“ – machten Hitler so gefährlich, daß zuletzt fast die ganze Menschheit aufstehen mußte, um seine Schreckensherrschaft niederzuwerfen.
Wir danken Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.