Prof. Dr. Frank Engehausen (Universität Heidelberg), Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Universität Freiburg im Breisgau) und Prof. Dr. Wolfram Pyta (Universität Stuttgart) sind Herausgeber des jüngst erschienenen zweibändigen Werkes „Die badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus“, das als 220. Band in der Reihe „Veröffentlichung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B Forschungen“ erschienen ist. Das Werk leistet bedeutete Forschungsarbeit. Was die zentralen Ergebnisse der Studie sind, erläutert Engehausen im Interview.
Ihre Untersuchung ist mit zwei Bänden und insgesamt 992 Seiten sehr detailliert und umfassend, auf welche Quellen konnten sie sich stützen?
Die Quellenlage hat sich für die einzelnen Ministerien sehr unterschiedlich dargestellt. Insgesamt ist sie für die badischen Ministerien günstiger als für die württembergischen, da in Stuttgart die kriegsbedingten Verluste größer waren. Aber auch in Baden sind beträchtliche Aktenbestände aus dem Geschäftsbetrieb der Ministerien verloren – zum Beispiel im Falle des Kultusministeriums, das 1943 komplett von Karlsruhe nach Straßburg ins deutsch besetzte und badisch verwaltete Elsass umgezogen war. Die Überlieferungen aus den Ministerien sind die Hauptquellen unserer Untersuchung: Aus den Sachakten ließ sich die Arbeit der Ministerien erschließen und aus den Personalakten rekonstruieren, wie groß zum Beispiel der Personaltausch 1933 war und wie die Karrieren von Landesministerialbeamten im Nationalsozialismus verliefen. Wo Personalakten ganz fehlten oder nur lückenhaft vorhanden waren, musste nach Ersatzüberlieferungen gesucht werden. Hier waren Nachkriegsquellen wichtig, zum Beispiel die Spruchkammerakten, die für das spätere Baden-Württemberg nahezu vollständig erhalten sind.
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich bei den einzelnen Ministerien in Baden und Württemberg im Nationalsozialismus feststellen?
Lediglich im badischen Kultusministerium kam es 1933 zu einem größeren Personaltausch in der höheren Beamtenschaft. Die übrigen Ministerien – in Baden wie in Württemberg – wurden nicht durch quereinsteigende Altparteigenossen „nazifiziert“, sondern durch politische Anpassung der alten Beamtenschaft. Graduelle Unterschiede gab es zwischen den Kultus- und den Innenministerien, die wegen ihrer Bedeutung für die Herrschaftssicherung stärker politisiert waren, auf der einen Seite und den Finanz- und Wirtschaftsministerien, in denen vielfach genauso verwaltet wurde wie bisher, auf der anderen Seite. Erkennbar sind diese Unterschiede zum Beispiel an den Anteilen der Beamten, die nicht Mitglieder der NSDAP wurden.
Wie gestalteten die Landesministerien ihre Handlungsspielräume?
Die Landesministerien agierten seit 1933 aus einer defensiven Position heraus, da etliche ihrer Kompetenzen auf das Reich übertragen wurden und die „Verreichlichung“ wenigstens zeitweise ihre Existenz ganz in Frage stellte. In der Praxis stellte sich jedoch bald heraus, dass die Kompetenzeinbußen keineswegs eine Marginalisierung bedeuteten, sondern in der Umsetzung reichsrechtlicher Vorgaben beträchtliche Handlungsspielräume erhalten blieben, auch wenn die Entscheidungswege komplizierter wurden. Diese Handlungsspielräume konnten dazu genutzt werden, Dinge zu bremsen und zu mildern – darauf hat man 1945 gerne verwiesen – oder sie zu beschleunigen und zu verschärfen – hierüber wurde später geschwiegen. Für besondere Beflissenheit in der Umsetzung von Vorgaben oder auch für Eigeninitiativen, mit denen in vorauseilendem Gehorsam die eigene Unentbehrlichkeit im Herrschaftsapparat demonstriert werden sollte, lassen sich aus fast allen Landesministerien Beispiele vorführen: etwa aus dem badischen Innenministerium die konsequente Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, die darin ablesbar ist, dass die Quote der Zwangssterilisationen in Baden besonders hoch war.
Wie verhielten sich die Landesministerien nach 1945 und wie ist ihr Verhalten zu erklären?
Kritik an der Arbeit der Landesministerien im Nationalsozialismus wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum geäußert. Dies dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass sie aus dem Fokus der Öffentlichkeit rückten, weil es nur indirekte institutionelle Kontinuitäten gab: Da die beiden Länder in drei Besatzungszonen unterteilt wurden, mussten sich auch die Landesverwaltungen neu formieren. Zu dem Bild eines durchgreifenden politischen Neuanfangs trug auch bei, dass nicht nur die früheren nationalsozialistischen Minister aus der Öffentlichkeit verschwanden, sondern auch ein Großteil der höheren Beamten der Landesministerialbürokratie vorübergehend aus dem Dienst entlassen wurde. Um sich politisch zu rehabilitieren und ihrer beruflichen Rückkehr den Weg zu ebnen, entwickelten diese dann in ihren Spruchkammerverfahren die langlebige Legende einer im Kern unpolitischen NS-Landesverwaltung, die sich im Kampf gegen den Berliner Zentralismus und die Einwirkungen der regionalen Parteistellen für das Gemeinwohl bis zur Selbstverleugnung aufgeopfert habe. Die Bereitschaft, solchen Äußerungen Glauben zu schenken, war groß, und so wurde die Reintegration zahlreicher politisch belasteter Beamter schon bald möglich. Welche Mechanismen dabei wirksam wurden, ist für die Vorgängerländer Baden-Württembergs noch nicht gut erforscht, und wir hoffen, nach dem bereits abgeschlossenen Projekt mit einem weiteren, jetzt angelaufenen Nachfolgeprojekt auf diesem Feld weiter aufklären zu können.
Herzlichen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte schriftlich Charlotte Kempf.