Problemfall Nachbarland, oder: wie man in Polen Politik macht


Klaus BachmannDie politische Entwicklung Polens ist in den Medien allseits präsent. Prof. Dr. Klaus Bachmann kennt das politische System Polens wie kaum ein zweiter: Er lehrt an der Uniwersytet Humanistycznospołeczny SWPS (Universität für Sozial- und Geisteswissenschaften SWPS) in Warschau und lebt seit 1988 mit Unterbrechungen in Polen. Sein neues Buch „Politik in Polen“, das in der Reihe „Brennpunkt Politik“ erschienen ist, stellt das politische System Polens vor und erläutert nicht nur die einzelnen Politikfelder, wie Außen-, Europa-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, sondern auch die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland.

Ihr Buch betrachtet die Entwicklungen der politischen Institutionen und der Politikfelder in Polen seit der Transformation von 1989/1990 bis heute. Welche großen Entwicklungslinien kennzeichnen diesen Zeitraum?

Umschlag von "Politik in Polen"Zunächst machte Polen eine sehr schnelle und im Vergleich zu Ostdeutschland sehr erfolgreiche wirtschaftliche Transformation und Demokratisierung durch. Die Wirtschaftsreformen kamen sogar mit wesentlich weniger Transferleistungen aus als dies in Ostdeutschland der Fall war. Erstaunlicherweise führten die sozialen Härten, die damit einhergingen kaum zu einem Anstieg populistischer oder extremistischer Tendenzen. Bis 2015 gab es mehrfach Kohabitationen, bei denen ein linker Präsident mit einem rechten Regierungschef oder ein linker Regierungschef mit einem rechten Regierungschef auskommen musste. Nach einer anfänglichen Zersplitterung des Parteiensystems bildeten sich schnell zwei verfeindete Parteien-Blöcke, zwischen denen es nie zu Koalitionen kam, aber die Machtwechsel zwischen diesen beiden Lagern (zunächst einem postkommunistischen und einem antikommunstischen und danach zwischen einem konservativ-liberalen und einem rechtspopulistischen) verliefen geordnet und friedlich. Die ganze Zeit über hielt sich ein pro-westlicher, pro-markwirtschaftlicher und pro-demokratischer Konsens, der nur von kleinen Gruppen am Rande des Parteienspektrums in Frage gestellt wurde.

Was unterscheidet das politische System Polens von demjenigen in Deutschland?

Zum einen eine andere politische Kultur, in der Konflikte heftiger, direkter und spektakulärer ausgetragen werden als in Deutschland. Fast jeder Wahlkampf nach 1989 wurde von den Beteiligten geführt, als ginge es beim Wahlergebnis um Sein oder Nichtsein Polens. Institutionell betrachtet hat der polnische Präsident deutlich mehr Macht als der Bundespräsident und wird auch direkt gewählt, was solchen dramatisierten Wahlkämpfen entgegen kommt. Das ist ja in Frankreich auch nicht anders. Es gibt in Polen einen Senat, der aber nicht die Interessen der Regionen vertritt, sondern als eine Art Reflexions- und Korrekturkammer für das Unterhaus, den Sejm, dient. Das ist auch zugleich der wichtigste Unterschied zwischen Deutschland und Polen: Polen ist ein Zentralstaat, dessen Regionen zwar eigene Parlamente, aber keine Steuerhoheit haben und an der Gesetzgebung nicht beteiligt sind. Deutschland ist, aus polnischer Sicht, extrem dezentralisiert.

Karte, Plenarsaal des Bundesrates

Sitzungssaal des Sejm, Wiki Commons: CC BY-SA 3.0 pl

Sie machen in einem eigenen Kapitel zu den deutsch-polnischen Beziehungen deutlich, dass der Kontakt zwischen den beiden Ländern von Austausch und Annäherung, aber auch von zahlreichen Spannungen und Missverständnissen geprägt ist. Wo stehen die deutsch-polnischen Beziehungen heute?

Was das Verhältnis zwischen den Bevölkerungen angeht, so haben sie sich unabhängig von den Regierungen, die in Bonn, Berlin und Warschau an der Macht waren, erstaunlich gut und stabil entwickelt. Wirtschaftlich sind beide Länder sehr stark miteinander verflochten und der Lebensstandard in beiden Ländern hat sich angenähert, auch wenn es natürlich immer eine Asymmetrie gibt. Zu Beginn der Transformation war ein Durchschnittsverdienst in Deutschland etwa zehnmal so hoch wie in Polen, heute ist das Verhältnis in etwa 1:3. Auch auf der politischen und diplomatischen Ebene hat sich seit dem Regierungsantritt von „Recht und Gerechtigkeit“ nicht viel verändert. Die polnischen Regierungen wurden seit 2015 immer wieder von den Regierungen Frankreichs, Israels, der Ukraine und der USA boykottiert. Mit Russland gibt es seit Jahren keine hochrangige Besuchsdiplomatie mehr, während sich polnische und deutsche Präsidenten, Regierungschefs, Minister und Bürgermeister genauso oft treffen wie vor 2015, allen Interessengegensätzen zum Trotz.

Die Kooperation mit Polen fällt der EU im politischen Tagesgeschäft nicht immer leicht. Weshalb tut sich die polnische Politik schwer, sich den Vorgaben der EU anzupassen und mit ihnen zu arrangieren?

In erster Linie, weil die Regierungen Szydlo und Morawicki ihren Widerstand gegen EU-Entscheidungen dazu nutzen, sich innenpolitisch profilieren. Die EU – und zum Teil auch Deutschland – dienen dabei als ein Feindbild, mit dem sie sich spektakuläre, aber meist folgenlose Schlagabtausche liefern. Diese Auseinandersetzungen konsolidieren die eigene Basis und erlauben der Regierungen die Opposition, wenn sie nicht mitmacht, als Verräter hinzustellen. Das ist umso leichter, als EU-Konformität bei weiten Teilen der Bevölkerung nicht als Wert verstanden wird. Dort sind Werte wie nationale Souveränität, Unabhängigkeit und nationale Einheit wichtiger und Vorgaben, Einschränkungen und Kritik aus Brüssel werden dann als Bedrohung oder Infragestellung dieser Werte angesehen. Für die Mehrheit der Bevölkerung – und besonders der Anhänger der Regierung – ist die EU keine Wertegemeinschaft, sondern ein großer gemeinsamer Markt mit Transferleistungen und offenen Grenzen nach innen.

Ihr Buch ist kurz nach den Parlamentswahlen in Polen Mitte Oktober erschienen. Wie beurteilen Sie das Wahlergebnis?

Es hat sich nicht viel geändert und es konnte sich auch nicht viel ändern. Nach 2015 haben die Regierungen von „Recht und Gerechtigkeit“ Polens liberale, repräsentative Demokratie mit ihren checks and balances in einen Obrigkeitsstaat verwandelt, in dem die Regierung fast alles und Parlament, Verfassungsgericht und ordentliche Gerichtsbarkeit kaum noch etwas zu sagen haben. Dieser Prozess ist mittelfristig auch dann nicht umkehrbar, wenn eine andere Regierung und andere Parteien an die Macht kommen würden: Dieser Obrigkeitsstaat würde dann eben von jemand anderem regiert werden. Das Wahlergebnis selbst war ziemlich paradox: PiS hat noch einmal mehr Wähler dazu gewonnen, doch aufgrund der höheren Wahlbeteiligung und der Einigung der linken Opposition exakt genauso viele Mandate im Sejm erhalten wie vor vier Jahren. Durch die Einigung der gesamten Opposition auf gemeinsame Kandidaten zum Senat (der nach dem Mehrheitswahlsystem in Einerwahlkreisen gewählt wird) hat „Recht und Gerechtigkeit“ dagegen seine bisherige Mehrheit dort verloren. Die Partei bleibt an der Macht. Ob sie auch weiter so regieren kann wie in den letzten vier Jahren, hängt vor allem vom Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2020 ab, denn der Präsident ist nach der Ausschaltung des Verfassungstribunals der einzige noch verbliebene Hemmschuh für die Regierung in diesem von „Recht und Gerechtigkeit“ demontierten System von checks and balances.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Mühen.

Dieses Interview führte schriftlich Charlotte Kempf.

Fachbereich(e): Politikwissenschaft. Schlagwort(e) , , . Diese Seite als Lesezeichen hinzufügen.