Sebastian Zimmermann (New York) zur neuen Auflage seines Bild- und Textbandes „Fifty Shrinks. Portraits aus New York“

Anlässlich des Erscheinens der 2. Auflage der deutschen Ausgabe des Werkes „FIFTY SHRINKS. Portraits aus New York“ führten wir mit dem Autor und Fotograf Sebastian Zimmermann das folgende schriftliche Interview:

  • Wie würden Sie den besonderen Ansatz Ihres Buches beschreiben?

In meinem Buch habe ich meine zwei Leidenschaften – die Psychotherapie und die Fotografie – miteinander verknüpft. „Fifty Shrinks” ist in erster Linie ein Fotografie-Buch. Mein Ziel ist, die Vielfalt des psychotherapeutischen Berufes aus einem künstlerisch-ästhetischen Blickwinkel erfahrbar zu machen. Als Fotograf schaue ich den Therapeuten bei ihrer Arbeit über die Schulter, portraitiere sie dabei. Ich versuche die Persönlichkeit der Therapeuten mit meiner Kamera einzufangen, was das Ziel eines jeden Portrait-Fotografen ist. Dabei erkunde ich das Umfeld, die Praxis, und ich ergänze die Bilder durch Interviews und Texte. Mir ist sehr daran gelegen, das menschliche Gesicht der Therapeuten zu zeigen. „Fifty Shrinks” richtet sich nicht nur an Fachleute, sondern auch an die breite Öffentlichkeit. Es ist mein Versuch, den Beruf durch Kunst zugänglich zu machen. Denn viele Menschen scheuen sich noch immer vor dem Gang zu einem Psychotherapeuten.

  • Was hat für Sie ganz persönlich in der Rückschau die größte Überraschung oder auch Herausforderung dargestellt?

Umschlag von "FIFTY SHRINKS"Was mich überraschte war die unglaubliche Vielfalt an Inneneinrichtungen, theoretischen Orientierungen und Charaktertypen, die sich mir auf meiner Reise durch die New Yorker Therapeutenwelt offenbarten. Die psychotherapeutische Praxis ist ein Raum wie kein anderer. An diesem privaten Ort treffen sich in regelmäßigen Abständen zwei Menschen, wobei der eine bemüht ist, sein Innerstes zu offenbaren und der andere versucht zu verstehen und zu heilen. Es ist ein Büro, Untersuchungszimmer, Beichtstuhl und Nest. Mit Überraschung stellte ich fest, dass sich besonders Innenarchitekten und Designer für meine Bilder interessieren. Denn die Räume selbst haben eine psychologische Ausstrahlung, eine Persönlichkeit, eine Psyche.

  • Unterscheidet sich Ihre Arbeit als Psychotherapeut in New York von der Ihrer Kolleginnen und Kollegen in Berlin, Zürich oder Wien, und wenn ja, wie?

Ich glaube, dass die Menschen in New York eher dazu neigen, sich emotionale Hilfe beim Fachmann zu holen, wenn sie erkennen, dass sie das brauchen. Es hat sich einfach herumgesprochen, dass das okay ist, und dass man sich nicht dafür schämen muss. Wenn ein Freund den anderen fragt: „Was machst du jetzt?“ und die Antwort lautet: „Ich gehe zu meinem Therapeuten“, dann wird das akzeptiert, ohne dass einer die Augenbraue hochzieht. Manchmal bin ich in New York auf einer Party und jemand erzählt mir, welche Medikamente er gegen Depression oder Angst nimmt, sobald ich ihm sage, dass ich Psychiater bin. Ich empfinde diese Art von Offenheit als etwas Fortschrittliches. Ich habe den Eindruck, in Berlin, Zürich oder Wien werden psychische Erkrankungen und deren Behandlung noch etwas mehr stigmatisiert.

  • Welches Bild besitzen die New Yorker im Allgemeinen von ihren Shrinks und wer von ihnen kann es sich leisten, einen Psychotherapeuten aufzusuchen?

Insgesamt, so glaube ich, stehen die New Yorker der Arbeit ihrer „Shrinks” überwiegend positiv und wohlwollend gegenüber. Die Bezeichnung „Shrink” ist ja ein neckender Begriff. Vielleicht ist da was von den vielen Woody Allen-Filmen durchgesickert, in denen sich der Protagonist selbst-ironisierend auf die Couch begibt.
Wie schon erwähnt wird es in New York akzeptiert, wenn Menschen einmal oder sogar mehrmals in der Woche ihren Therapeuten aufsuchen, fast so wie man zu einem Personal-Trainer ins Fitness-Center geht. Das Dasein in New York ist geprägt von Stress, Konflikten, Rückschlägen, Niederlagen. Es ist ein ständiger Überlebenskampf, und da ist es verständlich, dass man auch schon mal einen Lebensberater aufsucht.
Es ist nicht billig, sich in Behandlung zu begeben, aber wer eine ordentliche Krankenversicherung hat, kann es sich in der Regel leisten. Therapeuten haben oft eine „Sliding Scale”, das heißt, sie passen ihr Honorar an den Verdienst des Patienten an, um die Behandlung zu ermöglichen. Kliniken, Krankenhäuser und auch psychotherapeutische Institute bieten Behandlungen an, die sich auch Studenten oder weniger gut Betuchte leisten können.

  • Neu in der 2. Auflage der Fifty Shrinks ist u. a. ein Portrait von Irvin Yalom. Wie ist es dazu gekommen und was bedeutet dieses für Sie?

Im Winter 2018 machte ich mit meiner Familie Urlaub in Kalifornien. Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, Irvin Yalom zu fotografieren. Da wir an Palo Alto vorbeikamen, wo er lebt, arrangierte ich einen Termin mit ihm. Dr. Yalom praktiziert in einem Gartenhaus, umgeben von idyllischem Grün, Blumen, Bäumen und Sträuchern.
Irvin Yalom ist Psychiater, begehrter Psychoanalytiker und internationaler Erfolgsautor von Lehrbüchern und psychologischen Romanen. Über die Jahre hinweg habe ich viele seiner Werke gelesen. Ihn für mein Buch zu gewinnen war mir eine besondere Freude. Fifty Shrinks spürt das Menschliche im Therapeuten auf, und da passt der Humanist, Künstler und Begründer der Existenziellen Analyse Irvin Yalom gut rein.

  • Was möchten Sie dem Leser mitgeben, bevor er Ihr Buch aufschlägt und zu lesen beginnt?

Blättern Sie in dem Buch, auch von hinten nach vorne. Halten Sie inne, wenn Ihnen ein Raum oder ein Therapeut besonders auffällt. Fragen Sie sich: Was gefällt mir an diesem Zimmer, was nicht? Würde ich zu diesem Analytiker hingehen? Warum? Lesen Sie den Text und machen Sie sich ein Bild von dem hier arbeitenden Menschen. Vergleichen Sie die Persönlichkeiten der Therapeuten und ihre Arbeitsweise. Lassen Sie sich Zeit. Genießen Sie das Buch in kleinen Häppchen.

Lieber Herr Zimmermann, vielen Dank für dieses interessante und anregende Gespräch!

Fachbereich(e): Psychoanalyse, Psychologie. Schlagwort(e) , , . Diese Seite als Lesezeichen hinzufügen.