Anlässlich des Erscheinens des Bandes „Traumakonfrontation – Traumaintegration“ führten wir mit den Autoren Prof. Dr. Gertraud Müller und Dr. med. Helmut Rießbeck das folgende kurze schriftliche Interview:
- Was hat Sie dazu motiviert, ein Buch zum Thema „Trauma“ bzw. zur Behandlung von Traumafolgestörungen herauszugeben?
Gertraud Müller: Mittlerweile gibt es im Themenbereich „traumatische Erfahrungen als Ursache von psychischen bzw. psychosomatischen Störungen“ relativ gut ausgearbeitete, plausible theoretische Ansätze, die Wissen aus mehreren psychologischen Schulen betreffend Ursachen, Erscheinungsformen, Pathophysiologie und hilfreicher Therapien sinnvoll bündeln. Ziel der therapeutischen Maßnahmen ist u. a. die Integration traumatischer Erfahrungen, wofür Techniken, die die Patientinnen und Patienten mit traumatischen Erinnerungen konfrontieren, hilfreich sind. Mehrere solcher Verfahren wurden zeitgleich in Deutschland entwickelt, aber noch nicht gemeinsam, im vergleichenden Überblick, veröffentlicht. Dies fiel uns während eines Symposions für psychotherapeutisch Tätige am Traumahilfezentrum Nürnberg auf – das vorliegende Buch soll diese Lücke schließen, zum Wohle der betroffenen Patientinnen und Patienten.
Helmut Rießbeck: In meinen Seminaren habe ich regelmäßig beobachtet, wie sich die Kolleginnen und Kollegen mit verschiedenen Techniken und Methodiken begeistert beschäftigten, aber auch von der Vielfalt verwirren ließen und keinen Weg durch den Dschungel der Angebote fanden. Daher war es reizvoll verschiedene Methodiken in diesem Bereich vergleichend vorzustellen um v. a. das Gemeinsame herauszuarbeiten, aber auch den Therapeuten die Möglichkeit an die Hand zu geben, Methodiken und Techniken gemeinsam auszuhandeln.
- Welche Folgen können traumatische Ereignisse bei Menschen haben?
G. M.: Hier muss man unterscheiden, ob es sich um einmalige Traumatisierungen im Erwachsenenalter handelt oder aber um ein länger dauerndes traumatisierendes Umfeld in der Kindheit. Bei einem Monotrauma kann es zu Symptomen wie Flashbacks, Alpträumen, Vermeidung von Situationen, die an das Trauma erinnern usw. kommen, bei länger dauernden Kindheitstraumatisierungen kommt es hingegen ggf. zu Veränderungen der Persönlichkeitsorganisation, z. B. zu sogenannten Persönlichkeitsstörungen und/oder dissoziativer Symptomatik.
H. R.: Im günstigsten Falle übersteht ein Mensch die belastende Erfahrung ohne dauerhafte Folgen, integriert die Erfahrungen in sein Leben. Erschütterungen, die jedoch in sensiblen Lebensspannen einwirken, bringen eben häufig tiefgreifende Veränderungen der Persönlichkeit mit sich, mit den bekannten tiefgreifenden Folgen für den Alltag und die Beziehung zu den Mitmenschen. Das äußert sich dann keineswegs nur als komplexe posttraumatische Belastungsstörung, sondern auch als chronifizierende depressive Entwicklung, Angststörung oder somatoforme Schmerzstörung.
- Welche Herausforderungen stellen sich dadurch für Therapeutinnen und Therapeuten in der Arbeit mit traumatisierten Patientinnen und Patienten?
G. M.: Im Gegensatz zu anderweitig verursachten psychischen Störungen müssen sich Therapeutinnen und Therapeuten mit den traumatischen Erfahrungen der Patientinnen und Patienten auseinandersetzen – manchmal gleicht dies dem Hineinblicken in den Abgrund dessen, was Menschen Menschen antun. Gleichzeitig müssen Sie „draußen“ bleiben, um nicht ihre Handlungsfähigkeit zu verlieren und selbst sekundär traumatisiert zu werden. Eine weitere Herausforderung – bezogen auf die engere Thematik des Buches – bedeutet, das richtige Maß zwischen stabilisierender und konfrontierender therapeutischer Arbeit zu finden.
H. R.: Im Gegensatz zu der relativ einfach zu behandelnden Typ I Traumatisierung müssen die Integrationsschritte im Falle der komplexen Problematiken sehr viel behutsamer erfolgen, viel mehr regulative Schritte beinhalten, die konfrontativen Elemente müssen gut titriert und portioniert werden. Hierbei ist das sich verändernde Übertragungsgeschehen eine nützliche Hilfe aber auch Herausforderung.
- Inwieweit werden (angehende) Therapeutinnen und Therapeuten auf diese besondere Arbeit im Rahmen ihrer Ausbildung vorbereitet?
G. M.: Das Maß in dem die Arbeit mit traumatisierten Patientinnen und Patienten in die Ausbildung von Therapeutinnen und Therapeuten eingebunden ist, ist sicherlich von Institut zu Institut verschieden. Wichtig ist in diesem Bereich vor allem die Fort- und Weiterbildung, auch nach der grundlegenden Ausbildung. In diesem Rahmen werden mittlerweile viele Seminare angeboten. Sehr wichtig erscheint uns, dass während der Ausbildung ein Verständnis für die Pathopsychophysiologie auf den ersten Blick „verrückter“ Symptome erarbeitet wird, die verständlicherweise auf dem Boden traumatischer Erfahrungen entstanden sind, ganz besonders auch bei Kindern und Jugendlichen.
H. R.: Leider ist die Behandlung traumatischer Belastungen, die ja so regelmäßig zu vielen Biografien gehören, in vielen Bereichen therapeutischer Ausbildung noch ein Stiefkind. Aus meiner Sicht muss zu Beginn jeder Therapie geprüft werden, ob ein wesentlicher Fokus im Bereich der traumatischen Erfahrung zu suchen ist. Der hat dann in der Behandlung Vorrang. Wird Patientinnen und Patienten auch nur ein Stück der traumatischen Last genommen, ergeben sich regelmäßig ganz neue Entwicklungsperspektiven. Aber insbesondere bei den Trauma integrierenden Methodiken gibt es massive Fortbildungsdefizite bei allen Professionen, die sich um die Behandlung bemühen.
- Im Buch stellen die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Methoden für die Therapie mit traumatisierten Menschen vor. Worin liegen die Schwerpunkte der einzelnen Herangehensweisen?
G. M.: Grundsätzlich geht es bei allen Methoden um eine nochmalige Auseinandersetzung mit traumatischen Material mit dem Ziel, dieses in das normale autobiografische Gedächtnis zu integrieren. Die Verfahren unterscheiden sich zum einen in der Methodik der Darbietung (Imagination, Zeichnen, Erzählen usw.) und zum anderen in der Intensität der Konfrontation.
H. R.: Die angeregten Prozesse haben mehr Gemeinsames als Trennendes, aber die Gestaltungsmerkmale sind unterschiedlich, ebenso wie die z. T. sehr unterschiedlichen Grundannahmen. Spannend ist zu sehen, wie man von sehr unterschiedlichen Modellen zu einer Praxis kommen kann, die doch sehr viel Übereinstimmung zeigt. Eine Reihe von Ansätzen zeigt die Arbeit aus dissoziationspsychologischer Perspektive, einige haben psychodynamisch imaginatives Herangehen. Die Mittel der Externalisation sind auch verschieden, vom Narrativ bis zum Malen.
- Gibt es Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die Methoden bzw. „Einigkeit“ unter den Autorinnen und Autoren bzgl. mancher Aspekte?
G. M.: Die wesentliche Übereinstimmung besteht darin, dass Trauma konfrontative Verfahren bei bestimmten Symptomkonstellationen erfolgreiche Therapieverfahren sind, die, sollte ein „Informed Consens“ vorliegen, unbedingt angewandt werden sollten.
H. R.: Alle Autoren sind sich einig, dass Trauma konfrontatives Arbeiten in eine Beziehung eingebettet sein muss. Der Prozess muss vorbesprochen und ausgehandelt sein. Hilfen bei der Selbstregulation nehmen einen breiten Raum ein. Insgesamt besteht im Großen und Ganzen auch Einigkeit über die Kontraindikationen.
- Wo sehen Sie im Hinblick auf die Therapie von Traumafolgestörungen bzw. deren Wirksamkeit noch Nachholbedarf?
G. M.: Ganz wichtig wäre eine intensive Forschung zu Wirksamkeitskriterien Trauma konfrontativer Verfahren, um z. B. die Frage zu klären, was das schonendste noch wirksame Vorgehen ist, um die Belastung der Patientinnen und Patienten so gering wie möglich zu halten. Auch die Frage der Dosis und des Verhältnisses von stabilisierenden zu konfrontierenden Vorgehen müsste weiterhin erforscht werden.
H. R.: Vieles ist noch sehr im Fluss. Wann ist ein günstiger Zeitpunkt für explizite Anwendung der Methodik? Wann führt Traumakonfrontation zur Verschlechterung, und wer profitiert von frühzeitigen integrativen Schritten? Viel wesentlicher ist aber Therapeutinnen und Therapeuten behilflich zu sein, das vorhandene Wissen regelmäßig auch praktisch einzusetzen. Viel zu häufig werden nur zwar schöne, aber letztlich nicht ausreichende Regulationshilfen angeboten. Das kann sogar zur Demoralisierung und Resignation von Betroffenen führen.
Das Buch soll Therapeutinnen und Therapeuten dahin bringen können, den vorhandenen therapeutischen Reichtum auch tatsächlich zu nutzen, nicht leichtfertig, aber mit Unerschrockenheit.
Vielen herzlichen Dank für das Interview!