Im Jahr 1120/1121 traf Norbert von Xanten eine kirchengeschichtlich bedeutende Entscheidung: Er gründete in Prémontré, einem Ort circa 20 km westlich von Laon, einen neuen Orden, der nach dem Gründungsort „Prämonstratenser“ genannt wurde. Norbert gelang es nicht nur, bereits zu Beginn 13 Gefährten für seinen Orden zu gewinnen, sondern mit seinem Charisma und seiner Tätigkeit als Wanderprediger sorgte er auch für einen schnellen Aufstieg und eine weite Verbreitung des Ordens in kürzester Zeit. Schon 1126 wurde der Orden durch Papst Honorius II. anerkannt – der Grundstein für eine Erfolgsgeschichte war damit endgültig gelegt. Im Jahr 2021 feiert der Orden sein 900. Bestehen. Prof. Dr. Dr. Ulrich G. Leinsle, selbst Präses der Historischen Kommission des Prämonstratenserordens, legt in seiner Monographie „Die Prämonstratenser“ die bewegte Geschichte dieses Ordens von seinen Anfängen bis in die Gegenwart dar.
Die Prämonstratenser sind der Allgemeinheit sicher weniger bekannt als etwa die Benediktiner oder die Zisterzienser. Was versteht man unter den „Prämonstratensern“?
Die Prämonstratenser sind ein im 12. Jahrhundert entstandener Orden von Regularkanonikern, d. h. von Klerikern, die in Gemeinschaft ein klösterliches Leben führen, als Gemeinschaft an einer Kirche vor Ort Liturgie feiern und Seelsorge ausüben. Vorbild ist dabei das Leben der Urgemeinde in Jerusalem und der Apostel, wie es in der Apostelgeschichte beschrieben wird. Charakteristika sind also gemeinsames klösterliches Leben, Gütergemeinschaft, stabile Bindung an eine lokale Gemeinschaft, gemeinsame Feier der Liturgie und Seelsorge. Der Orden besteht aus selbstständigen Kanonien (Abteien, Propsteien, selbstständigen Prioraten) mit je eigenem Profil. Die Zentralgewalt (Generalkapitel, Generalabt) ist eher schwach ausgeprägt.
Bereits kurz nach der Gründung erlebte der Orden einen großen Zulauf. Wie lässt sich dieser schnelle und große Erfolg des Ordens erklären?
Das hat verschiedene Gründe: Da ist einmal die charismatische Gestalt Norberts von Xanten, die viele Menschen anzog, in der doppelten Rolle als Bußprediger und als Erzbischof von Magdeburg. Ein wichtiger Faktor sind die Reformbestrebungen innerhalb der Kirche. Es bildeten sich viele Gemeinschaften von Kanonikern, von denen sich manche dann dem Orden anschlossen. Die Bischöfe sahen in den Prämonstratensern Helfer in der Reform des Klerus und in der Missionstätigkeit (Ostmission, Kreuzzüge). Schließlich ist das religiöse und politische Interesse der Stifter der Klöster zu veranschlagen, die damit Orte der Memorialkultur ihrer Familie und geistliche Zentren ihrer Territorien schufen. Die Prämonstratenser waren auch dadurch attraktiv, dass sie meistens mit einer bescheidenen Besitzausstattung zufrieden waren.
Die Hochzeit der Prämonstratenser lag im 12. Jahrhundert, also zu einer Zeit als auch viele andere Orden ihre Blütezeit erlebten. In welchem Verhältnis standen die Prämonstratenser zu anderen Orden der Zeit?
Die engsten Beziehungen ergaben sich natürlich zu den anderen Kanoniker-Gemeinschaften, mit denen man die Augustinus-Regel teilte und deren Verfassung ein Vorbild für die eigenen Gebräuche waren (St-Ruf, Arrouaise, Klosterrath u. a.). Die Prämonstratenser verschärften allerdings deren Lebensweise durch die Übernahme des für ein frühes Mönchskloster in Afrika geschaffenen „Ordo Monasterii“. Enge Beziehungen herrschten zum Reformorden der Zisterzienser, von denen man viele monastische Elemente und Organisationsformen übernahm (z. B. Filiation, Generalkapitel). Abgelehnt wurden die Prämonstratenser z. T. von den Benediktinern, die das Mönchtum dem Stand der Kleriker überlegen sahen und sich gegen die Seelsorge der „halbmonastischen“ Prämonstratenser wandten. Natürlich gab es auch Rivalitäten zwischen den Klöstern und Probleme, etwa bei Übertritten in einen anderen Orden.
Das Besondere an Ihrem Buch ist, dass es einen Bogen bis in die Gegenwart schlägt. Wie stellt sich die Situation der Prämonstratenser heute dar?
Der Orden gehört heute mit knapp 1 200 Mitgliedern in 39 selbstständigen Klöstern des männlichen und sieben des weiblichen Zweigs eher zu den kleineren Ordensverbänden. In Europa, dem Kerngebiet des Ordens, ist die Zahl der Mitglieder seit Jahrzehnten rückläufig. Die Konvente sind hier teilweise überaltert, doch gibt es auch erfreuliche Ausnahmen. Durch den allgemeinen Priestermangel wurden viele Aufgaben außerhalb der Klöster übernommen, worunter z. T. das Gemeinschaftsleben leidet. Anders ist die Situation beispielsweise in Indien und Lateinamerika, wo junge Gemeinschaften entstanden sind. Das Prinzip des Ordens einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft an einer lokalen Kirche ist allerdings diesen Ländern angesichts der vielfältigen Aufgaben in Seelsorge und Bildungsarbeit und anderer kultureller Traditionen relativ fremd.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Mühe.
Das Interview führte Charlotte Kempf aus dem LekÂtorat Geschichte/ Politik/ Gesellschaft.