Wie sich in Schwaben zur Zeit der SpätÂrenaissance künstlerisches und wissenÂschaftÂliches Leben gestaltete, welche AnziehungsÂkraft die kultuÂrellen Zentren besaßen sowie was der Begriff „Spätrenaissance“ meint, erläutert der Sammelband Spätrenaissance in Schwaben: Wissen – Literatur – Kunst, der als zweiter Band die Reihe Geschichte Württembergs. Impulse der Forschung des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins fortsetzt.
Einblicke in die vielfältigen Ergebnisse des Sammelbandes gibt der Herausgeber Dr. Wolfgang Mährle (Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart) im Interview.
Wo setzt Ihr Band forschungsgeschichtlich an und was haben die bisherige Forschungen vernachlässigt?
Das wissenschaftliche und künstlerische Leben in Schwaben im konfessionellen Zeitalter ist bisher sehr ungleichmäßig und insgesamt nur unzureichend erforscht worden. Die bisherigen Forschungen konzentrieren sich auf bestimmte Territorien bzw. Reichsstädte, vor allem auf das Herzogtum Württemberg und auf die Reichsstadt Augsburg. Bei den anderen Gebieten ist die Forschungslage unterschiedlich. Der Sammelband versucht einerseits, bestehende Forschungslücken zu schließen. Andererseits möchte er durch ausgewählte Beiträge ein vernachlässigtes Forschungsfeld konturieren und auf diese Weise auch das Potenzial des Themas „Spätrenaissance in Schwaben“ aufzeigen. Neu ist, dass der Band die frühneuzeitliche Region Schwaben als Ganzes in den Blick nimmt, einschließlich des heutigen Badens und Bayerisch-Schwabens.
Sie machen sich in Ihrem Aufsatz für den Epochenbegriff der Spätrenaissance stark, der auch im Titel verwendet wird. Welche Konzeptionen liegen dieser Epochenbezeichnung zugrunde?
Bislang gibt es in der deutschen Historiografie keinen etablierten Epochenbegriff, der die Gesamtheit der gelehrten und künstlerischen Entwicklungen im konfessionellen Zeitalter – also zwischen etwa 1530 und 1650 – umfasst. Der Begriff „Spätrenaissance“ eignet sich hervorragend, diese Lücke zu schließen. Ich nehme in dem Sammelband auf eine Publikation von Peter Burke Bezug, dessen Periodisierung des Renaissance-Zeitalters von einer kulturgeschichtlichen Konzeption ausgeht. Burke kann meiner Meinung nach besser als andere die offenkundige Vielgestaltigkeit der Wissenschaften und Künste in der Zeit um 1600 erklären. Sie ergibt sich aus einem Wechselspiel zwischen dem Festhalten an Modellen der klassischen Renaissance einerseits und aus intellektuellen und künstlerischen Innovationen andererseits. Wann sich in einzelnen Bereichen des kulturellen Lebens Neues durchsetzte, hing von verschiedenen Faktoren ab.
Ihr Band deckt ein breites inhaltliches Panorama ab: von der Literatur und der Bildungslandschaft über die Alchemie bis zur Sozialkritik, zum Theater und zur Architektur. Zu welchem übergeordneten Befund kommt der Band?
Der Sammelband zeigt die Ausprägungen der Kultur der Spätrenaissance in einer bestimmten Region, nämlich in Schwaben. Die Entwicklungen waren in den einzelnen Bereichen des kulturellen Lebens, also in der Literatur, in der Bildenden Kunst etc., natürlich im Detail unterschiedlich. Das Buch kann sehr gut zeigen, dass die Epoche der Spätrenaissance auch in Schwaben anders gewesen ist als man sie sich noch vor wenigen Jahrzehnten vorgestellt hat. Die Spätrenaissance war keine Zeit eines epigonenhaften Schulhumanismus oder einer lediglich formalistischen Kunst, sondern eine lebendige Zeit des Übergangs mit zahlreichen Innovationen in vielen Bereichen.
Im untersuchten Zeitraum von 1530 bis 1650 waren Augsburg und das Herzogtum Württemberg herausragende kulturelle Zentren. Welche kulturelle Bedeutung hatten diese Räume im Vergleich zum gesamtdeutschsprachigen Herrschaftsgebiet?
Die Reichsstadt Augsburg war im konfessionellen Zeitalter ein urbanes Zentrum von europäischem Rang, das sich durch weitläufige Verbindungen, beispielsweise nach Italien, auszeichnete. Das ist heute, zumindest außerhalb der Historikerzunft, nicht mehr so deutlich im Bewusstsein. Augsburg war die Stadt der Fugger und Welser. Der Reichtum, der in dieser Kommune vorhanden war, hat selbstverständlich auch die Wissenschaften und Künste beflügelt. Man denke nur an die zahlreichen repräsentativen Gebäude, die unter der Ägide des Baumeisters Elias Holl um 1600 entstanden sind, wie das im Zweiten Weltkrieg zerstörte, nach 1945 wieder aufgebaute Rathaus. Das Herzogtum Württemberg war hingegen um 1600 von der lutherischen Orthodoxie geprägt und hatte innerhalb des Heiligen Römischen Reiches nicht zuletzt aus diesem Grund ein spezifisches Profil. Württemberg war als Sitz der Universität Tübingen wichtig, die das unbestrittene geistige Zentrum des protestantischen Schwabens war und auf viele Reichsstädte und kleinere Territorien ausstrahlte.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Mühe.
Dieses Interview führte schriftlich Charlotte Kempf.