Dissertationspreis 2023 für hervorragende Leistung auf dem Gebiet der klinischen Kinder- und Jugendpsychologie und -psychotherapie verliehen

2023 wurde der von der Interessengruppe Klinische Kinder- und Jugendlichenpsychologie und Psychotherapie ins Leben gerufene Dissertationspreis an Dr. Nele Dippel (Abteilung Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters, Universität Jena) verliehen. Frau Dippel promovierte an der Universität Marburg (Abteilung für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie) zum Thema „Kinder und Jugendliche mit depressiven Erkrankungen: Über die Bedeutung von interpersonellen Einflussfaktoren und der Optimierung der Psychotherapie durch Integration von Bezugspersonen“.

Wir gratulieren der Preisträgerin ganz herzlich!

Freundlicherweise hat uns Frau Dr. Dippel einige Fragen zu Ihrer Forschungsarbeit beantwortet:

Frau Dippel, unter den Erwachsenen zählen Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Wie relevant sind depressive Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter und woran erkennt man, dass Stimmungsveränderungen bei den Betroffenen nicht nur typische altersgemäße Erscheinungen (z. B. im Rahmen der Pubertät) sind?

Von einer klinisch relevanten depressiven Symptomatik spricht man, wenn die Stimmung bzw. das Verhalten von Kindern oder Jugendlichen für länger als zwei Wochen von der gewohnten Norm abweicht. Bei Kindern und Jugendlichen können sich die Symptome im Vergleich zu Erwachsenen allerdings unterscheiden. Es muss sich dabei nicht immer um eine gedrückte Stimmung handeln, sondern kann sich auch durch einen deutlichen Interessensverlust/Antriebslosigkeit oder überdauernde gereizte Stimmung zeigen. Nicht selten sind ein erhöhtes Aufkommen von Konflikten, somatischen Beschwerden oder aber auch eine deutliche Veränderung im Freizeit- und Aktivitätsverhalten von Kindern oder Jugendlichen. Depressionen sind also auch im Kindes- und Jugendalter sehr relevant. Studien zeigen, dass die Erkrankung bereits im Vorschulalter auftreten kann und mit zunehmendem Alter in ihrer Häufigkeit immer weiter zunimmt. Dabei nähern sich die Zahlen zur Häufigkeit im Jugendalter dann denen im Erwachsenenalter an. Auch bezogen auf die Beeinträchtigung durch die Erkrankung sind Depressionen bei Kindern und Jugendlichen hoch relevant. Es kommt während der Erkrankung zu einer deutlichen Verminderung der Lebensqualität (z. B. durch sozialen Rückzug oder Schwierigkeiten in der Schule oder dem familiären Kontext) und auch langfristig steigt bei fehlender Behandlung das Risiko für eine Chronifizierung der Erkrankung im Erwachsenenalter mit schweren Verläufen und einem erhöhten Risiko für Suizide.

Was versteht man unter „interpersonellen Einflussfaktoren“ und warum sind diese so relevant in Bezug auf die Erkrankung?

Das direkte Lebensumfeld und der Alltag von Kindern und Jugendlichen ist immer beeinflusst und auch teilweise bestimmt durch das direkte soziale Umfeld. Sie leben mit ihren primären Bezugspersonen zusammen und bestimmte Faktoren und Themen können im Alltag nur schwer vermieden werden. Das sind beispielsweise Faktoren wie Schule, Familie oder auch Freundschaften. Das bedeutet, dass psychische Erkrankungen immer auch in einem sozialen Kontext betrachtet werden müssten. Von interpersonellen Faktoren spricht man dann, wenn es um Faktoren geht, die die Situationen mit anderen Personen betreffen. Also zum Beispiel: Wie wirkt sich mein Verhalten auf andere aus oder wie beeinflusst das Verhalten von anderen mich?

Für Depressionen hat sich in unterschiedlichen Studien gezeigt, dass interpersonelle Faktoren sich auf sehr viele Aspekte der Erkrankung auswirken. Sie spielen eine Rolle in der Entstehung (z. B. durch schwierige Beziehungserfahrungen in der Kindheit und Jugend), Aufrechterhaltung der Erkrankung (z. B. in Form von Konflikten oder Streits, die aufgrund der Symptomatik entstehen und diese aber auch verstärken können) und schließlich auch in der Behandlung (z. B., indem Eltern oder Bezugspersonen ihr Verhalten aufgrund der Therapie verändern). Da Kinder und Jugendliche in so vielen Lebensbereichen soziale Kontaktpunkte haben, sind auch Depressionen in dieser Lebensphase sehr stark mit interpersonellen Faktoren verknüpft.

Wie werden depressive Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen behandelt? Was darf man sich unter „modularisierten Behandlungsprogrammen“ vorstellen und welche Chancen oder Vorteile bieten diese?

Für die Behandlung von Depressionen im Kindes- und Jugendalter gibt es mittlerweile unterschiedliche Optionen. Leider sind diese noch nicht immer ausreichend beforscht, sodass nicht immer klar ist, welches Verfahren die beste Behandlungsoption darstellt. Das stellt BehandlerInnen oft vor eine Herausforderung, wenn es darum geht, die bestmögliche Psychotherapie für betroffene Kinder oder Jugendliche zu planen. Diese Planung ist auch besonders schwierig, weil natürlich jeder Krankheitsverlauf individuell ist und damit jede Behandlung in der Praxis anders verläuft.
Modulare Behandlungsprogramme haben das Ziel genau diese Problematik zu verändern. Sie bestehen (wie der Name sagt) aus unterschiedlichen Modulen, die die TherapeutInnen ganz flexibel in der Behandlung einsetzen können – je nachdem, welches Anliegen die PatientInnen haben, welche Schwierigkeiten ganz besonders relevant sind oder auch wenn noch andere Erkrankungen neben der Depression vorliegen.
TherapeutInnen haben durch die Anwendung von modularisierten Therapieprogrammen also deutlich mehr Möglichkeiten, die Therapie auf individuelle Krankheitsverläufe und Bedürfnisse anzupassen oder auch die Behandlung flexibel zu verändern, wenn das nötig werden sollte.

Welche Ergebnisse ergaben sich mit Blick auf das soziale Umfeld und die Integration von Bezugspersonen in die Behandlung?

In meiner Dissertation habe ich systematisch untersucht, ob (und auch wie) der Einbezug von Bezugspersonen in die Therapie von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen einen Einfluss hat. In Bezug auf die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, Bezugspersonen in die Behandlung einzubeziehen, hat sich in der Studie gezeigt, dass es einen kleinen Effekt gibt, der für einen Einbezug spricht. Gerade in aktuelleren Studien wurde das deutlich. Es scheint also grundsätzlich sinnvoll zu sein, in der Therapie nicht nur die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu betrachten, sondern auch wichtige Bezugspersonen aktiv einzubeziehen.
Für mich waren die wichtigsten Erkenntnisse in diesem Projekt einerseits die vielen unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich in unterschiedlichen Forschungsprojekten zu dem Thema zeigen. Es gibt viele Möglichkeiten, Bezugspersonen in die Therapie zu integrieren, und es ist lohnenswert, sich weiter damit zu beschäftigen. Andererseits ist aber auch deutlich geworden, wie viel weitere Forschung noch notwendig ist, um tatsächlich eine Einschätzung dazu abgegeben zu können, wie ein Einbezug optimalerweise ablaufen sollte.

Im Rahmen Ihrer Dissertation haben Sie ein Therapiekonzept für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen konzeptualisiert. Möchten Sie dieses kurz vorstellen?

Bei dem Therapiekonzept handelt es sich um CBASP@YoungAge. CBASP steht dabei für „Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy“ und wurde ursprünglich für erwachsene PatientInnen entwickelt, die von chronischen bzw. persistierenden Depressionen betroffen sind. Da gerade diese Erkrankung häufig auf schwierige Beziehungserfahrungen und einen Beginn der Symptome in der Kindheit und Jugend zurückzuführen sind, liegt es nahe, bereits in dieser Altersgruppe mit der Behandlung zu beginnen und CBASP für Kinder und Jugendliche zu adaptieren.
In der Entwicklung war mir besonders wichtig, dass das Programm modular umgesetzt werden kann und Bezugspersonen engmaschig in die Therapie einbezogen werden. Ziel war es, ein Konzept zu entwickeln, das von TherapeutInnen flexibel eingesetzt werden kann und zu einer langfristigen und überdauernden Verbesserung der Symptome führt. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen leben vor, während und nach der Behandlung mit ihrem engen Bezugsystem zusammen. Behandlungen sollten diese Bezugspersonen somit unbedingt miteinbeziehen. Die wichtigste Zielsetzung von CBASP@YoungAge ist also, den Betroffenen in der Behandlung zu ermöglichen, in dem sicheren Setting der Therapie neue und positive Beziehungserfahrungen mit der TherapeutIn, aber auch ihrem direkten sozialen Umfeld zu machen. Die unterschiedlichen Module in CBASP@YoungAge sind dabei darauf ausgelegt, dass die Betroffenen verstehen, wie es zu der Depression gekommen ist und sich die Depression im Verlauf der Therapie verändert.
Besonders schön während der Entwicklung des Programms war für mich die enge Zusammenarbeit mit unterschiedlichen TherapeutInnen in der Psychotherapieambulanz in Marburg, wo CBASP@YoungAge aktuell auch noch in einer Pilotstudie untersucht wird. Die direkten Rückmeldungen und praktischen Einblicke in die Therapie waren in der ganzen Zeit sehr hilfreich und haben viele Module um praktische Hinweise ergänzt.

Vielen Dank für diese interessanten Einblicke in Ihre Tätigkeit.

Das Interview führte Annika Grupp

Der Dissertations­preis der Interessen­gruppe Klinische Kinder- und Jugend­psycho­logie und Psycho­therapie berück­sich­tigt sowohl Grund­lagen­arbei­ten als auch Disser­tationen aus dem Bereich der Psycho­therapie­for­schung. Er wird von der Interessen­gruppe für Klinische Kinder- und Jugend­lichen­psycho­logie und Psycho­therapie für hervor­ragende Arbeiten auf dem Gebiet der klinischen Kinder- und Jugend­psycho­logie oder -psycho­therapie verliehen und durch den Kohlhammer Verlag gesponsert. Weitere Informationen finden Sie hier.

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